ChiKung

Kraft sammeln

Stelle dir die Lebenskraft als etwas in ein Gefäß Gespeichertes vor. Kraft kann in mehr oder weniger großem Maße zugeführt werden. Sie kann jedoch auch durch ein oder mehrere Löcher wieder verloren gehen. Nimmt man dieses einfache physikalische Bild, so lassen sich Zustände und Veränderungen viel klarer verstehen.

Das Modell des Gefäßes hat zwei Aspekte:

   1. Man muss dafür sorgen, dass etwas in das Gefäß zufließt.
   2. muss ein etwaiges Leck (undichte Stelle) wieder schließen, durch das das Angesammelte verloren geht.

Sind wir in einer typischen Situation von Kraftverlust, bemerken wir unseren Zustand in der Regel zunächst gar nicht. Wir gleiten langsam, schleichend aus einer inneren Harmonie und Ausgeglichenheit in ein langsam wachsendes Unwohlsein. Die Spannkraft und Lebensfreude lassen nach.
Das typische Kennzeichen für den Kraftverlust ist schleichende Depressivität. Das Fröhliche, Zuversichtliche ist auf einmal fort und man fragt sich, wohin es verschwunden ist.
Die einzige Möglichkeit die Richtung wieder ins Positive umzukehren, besteht in einer nüchternen Bestandsaufnahme. Wir sollten unseren Zustand zuerst einmal so lassen und betrachten können und nicht gleich versuchen, den Zustand zu manipulieren.
Als allererstes sollten undichte Stellen gefunden werden, bevor wir neue Energie „nachfüllen“.

Wodurch verlieren wir nun Kraft? Was schwächt uns?

   • einseitig intellektuelle Tätigkeiten
   • zu viel Reden, Denken, Diskutieren
   • Zigaretten und Alkohol
   • Jammern und Sich-Beschweren, ohne selbst etwas dagegen zu tun
   • andere für unsere Situation und unser Befinden verantwortlich machen
   • zu viel Nachdenken über: was andere tun, denken oder wie glücklich andere sind
   • zu viel Leben aus zweiter Hand: Fernsehen, Videos usw.
   • Bewegungsmangel
   • Misstrauen
   • die eigene Situation als negativ, falsch oder ungerecht ansehen
   • zu starke Beschäftigung mit Negativerfahrungen

Wenn wir herausgefunden haben, was uns schwächt, müssen wir es ändern. Dazu gibt es keine Alternative.
Manchmal hilft es auch, mit jemandem darüber zu reden, um einen zweiten Standpunkt zu hören und die Sache klarer zu sehen.

Schließlich können wir beginnen, neue Kraft zu gewinnen. Oft setzen wir jedoch den zweiten Schritt vor den ersten. Wir glauben, wir müssten Kraft gewinnen, um die Dinge zu bereinigen, die uns schwächen. Das ist aber ein Irrtum, denn den Kraftzuwachs, den wir erlangen wollen, bekommen wir nie, da er sofort wieder durch die alten Fehler vergeudet wird.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann ganz aufgibt, ist in dem Fall sehr groß.

Die Kraft, um Löcher zu stopfen und eine weitere Schwächung zu unterbinden, hat jeder von uns bereits in sich. Er muss nur seine Lage klar sehen und aufhören, die schädigenden Verhaltensweisen zu wiederholen oder die ungünstigen Situationen, die ihn schwächen, aus Gewohnheit immer weiter aufzusuchen.

Womit erlangen wir wieder Kraft? Was stärkt uns?

   • Humor
   • Überwindung der eigenen Trägheit
   • unseren eigenen Ängsten ins Auge schauen, ihnen nicht aus dem Weg gehen
   • Naturerfahrung
   • Meditationspraxis
   • neue Aufgaben und Projekte
   • Gipfelerfahrungen jeder Art
   • Ungeklärtes, Aufgeschobenes, Verdrängtes klären
   • körperliche Aktivität
   • Urlaub, Abenteuer
   • Erotik (praktisch gelebt statt nur fantasiert)
   • Annehmen des Hier und Jetzt
   • Ehrlichkeit

Damit gehen wir die Sache an:
Wir bringen Ordnung in unser Dasein, räumen auf, begleichen Schulden. Wir übernehmen Verantwortung für das, was wir getan haben, was wir sind, und für das, was wir nun einmal nicht sind.
Viele Menschen denken, dass Humor eine Ursache braucht. Dem ist jedoch nicht so. Humor ist eine Lebenseinstellung. Mit ihm und Zuversicht schaffen wir eine Grundeinstellung, die anziehend wirkt und die positive Dinge, Menschen und Ereignisse in unser Leben zieht.
Das größte und gefährlichste Hindernis wirklich Kraft zu sammeln, liegt jedoch in einem falschen Selbstbild und den Forderungen und Vorstellungen dieses Selbstbildes vom Leben.
Wahre Kraft kommt immer aus der Wirklichkeit und daraus, diese zu erkennen und anzuerkennen.
Ein großer Helfer gegen Depressivität und die Gespenster der Vergangenheit jedoch ist körperliche Betätigung. Deshalb herunter vom Sofa und auf zum nächsten WingTsun-, ChiKung- oder Escrima-Training!

Text: Sifu Alfred-Johannes Neudorfer
Fotos: Fotolia; hm