Konfuzius sagt …
Unser Thema dieses Mal: Konfuzianismus – die dritte philosophische Lehre aus China. Kung Dsi war ursprünglich für die ethisch-soziale Welt in Ostasien, inzwischen aber weltweit stark prägend. Der Konfuzianismus ist nicht ganz unkritisch zu sehen, wurde er doch häufig als – vor allem politisches – Instrument genutzt und in der Vergangenheit häufig umgedeutet. Wir beleuchten hier die ursprünglichen Gedanken der Lehre des Kung Dsi. Außerdem sollen einige Ideen formuliert werden, wie die chinesische Kampfkunst WingTsun im Unterricht davon beeinflusst worden sein könnte.
Der Begriff Konfuzianismus geht auf die Jesuiten zurück. Sie machten, da ihre Sprache vorwiegend Latein war, auch den Namen des Begründers zu Konfuzius. Hier sei angemerkt, dass sich die drei Lehren [Chan-]Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus in der Praxis unterschiedlich stark miteinander vermischen – je nach den Bedürfnissen und Lebensumständen des einzelnen Menschen. Unsere „künstliche Trennung“ der drei Philosophien soll lediglich die jeweiligen Kernaussagen verdeutlichen.
Das Leben des Kung Fu DsΪ
Den meisten Quellen zufolge lebte Kung Dsi zwischen 551 bis 479 v.Chr. und wurde in der Stadt Qufu in der heutigen nordchinesischen Provinz Shadong geboren. Er gehörte zu einer Familie mit einer langen Tradition. Obwohl sein Vater starb, als Kung Dsi noch ein Kind war, eignete er sich trotzdem früh viel Wissen an. Als junger Erwachsener hatte er bereits ungewöhnlich große Kenntnisse über seine (Vor-)Geschichte und die Gegenwart. Er überarbeitete sogar Quellen der chinesischen Urzeit – nicht ohne seine eigene Lehre mit einfließen zu lassen. Geschichte hatte für ihn einen hohen Stellenwert. Sie betrachtete er als möglichen Spiegel für die Zukunft: Lerne aus der Vergangenheit.
Sehr schnell erarbeitete er sich einen Ruf als wertvoller Ratgeber und Lehrer. Viele Menschen wollten von ihm lernen. Eher ungewollt wurde er so zunächst Privatlehrer. Sein eigentliches Ziel war allerdings, etwas an der Situation der Gesellschaft zu verändern. Deshalb fand er es wichtiger, öffentliche Ämter zu bekleiden und mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Er begann als Schreiber, wurde Verwaltungschef, dann Minister und schließlich Zeremonienmeister am Hof des Fürsten von Lu.
Prinzip statt Technik!
Für Kung Dsi wurden die großen sozialen Missstände in der Gesellschaft durch ein verkommenes Wertesystem und das Machtstreben der Menschen hervorgerufen. Sie führten zu einer Vernachlässigung von Tradition, Riten, Moral und Charakter. Die Vernachlässigung der Pflichten gegenüber der Allgemeinheit war seiner Meinung nach Schuld, dass die Gesellschaft zerbrach: Chaos und Anarchie in einer Gesellschaft erzeugen Zwänge, unter denen die Menschen leiden müssen.
Sifu Kernspecht, der Vater der WingTsun-Familie
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Dementsprechend brachte er den bei ihm lernenden Menschen nicht einfach nur Techniken oder Abläufe des Miteinanders – Verhaltensgrundsätze und Vorschriften – bei. Er wollte, dass sie sich moralisch entwickeln und die Prinzipien verstehen, nach denen Menschsein und das Zusammenleben in einer Gesellschaft – das Allgemeinwohl – funktionieren. Dies beinhaltete das Verständnis für eine gesunde Ordnung, in der Achtung an zentraler Stelle steht: vor anderen Menschen und unseren Ahnen, von denen wir abstammen und die uns Orientierung geben können. Diese Ordnung bringt erst die Freiheit für den Einzelnen. Sie eröffnet einen Spielraum, in dem menschliches Handeln einen Sinn erhält!
Die Ordnung spiegelt sich in den fünf (zwischen-)menschlichen Elementarbeziehungen wieder, die man in der Gesellschaft findet: Vater/Mutter – Sohn/Tochter; Ehemann – Ehefrau; Regierung – Volk; älterer Bruder – jüngerer Bruder; Freund – Freund.
Im WingTsun finden wir Ähnliches: Es gibt den SiFu, den Vater-Lehrer, und die ToDai, die Schüler, die als Tochter oder Sohn zur WingTsun-Familie gehören. Wie alle anderen Beziehungen sind sie durch wechselseitigen Respekt geprägt.
Der edle Mensch – Chüntzû
Um diese Ordnung zu verstehen, bedarf es nach Kung Dsi persönlicher Vervollkommnung und eines rechtschaffenen Herzens. Man strebt danach, ein immer wertvollerer Teil des Ganzen – der Gesellschaft – zu werden und damit zum Wohlergehen aller und dem Frieden beitragen zu können.
Im Buch Lunyu listet Kung Dsi die fünf Tugenden auf, die das Ideal des Edlen verkörpern: Menschlichkeit, Rechtschaffenheit, Gewissenhaftigkeit, Weisheit und Güte.
Aus diesen leiten sich die drei sozialen Pflichten ab: Loyalität, Verehrung der Eltern und Ahnen (kindliche Pietät) und die Wahrung von Anstand und Sitte.
Der Schlüssel, um diesem Ideal möglichst nahezukommen, ist Bildung! Es bedarf der Fähigkeit selbstständig denken und Zusammenhänge verstehen zu können, um sich in eine Gemeinschaft einzubringen.
Der edle Mensch wird durch permanentes Weiterlernen geformt. Anders ausgedrückt: Erst Bildung macht den Menschen zum Menschen – keine eigennützige, sondern eine gemeinnützige Bildung, um den Staat und die Gesellschaft zu stützen. Daher darf sie auch keinem Menschen gleich welcher Herkunft oder welchen Standes verwehrt werden. Es geht dabei nicht darum, einfach nur Wissen anzusammeln, sondern eher darum es weise anzuwenden (Weisheit).
Das Streben nach Harmonie, um dadurch den Einklang von Mensch und des Weltganzen zu erleben, macht den Edlen aus. Für Kung Dsi gilt dies eben nicht nur im Hinblick auf die Natur, sondern auch für Familie, Gesellschaft und Staat, die man als Teile des Ganzen versteht.
„Wenn Familien in Harmonie sind, ist es auch das Dorf.
Sind Dörfer in Harmonie, ist es auch die Provinz.
Sind Provinzen in Harmonie, dann ist es auch das ganze Reich.
Deswegen soll der Mensch auch stets das Gemeinwesen
und das Staatsinteresse im Auge haben.“
Das WingTsun-Training
Lehrende und Lernende im familiären WingTsun-Verhältnis stehen in einem gegenseitigen, harmonischen Vertrauensverhältnis, das von oben erwähnten Eigenschaften geprägt wird. Der Lehrer fördert den Schüler individuell nach dessen Fähigkeiten. Der Schüler kann daraus ein Verantwortungsbewusstsein für die Gemeinschaft entwickeln und sich als wertvollen Teil von ihr erleben. Sein SiFu, der permanent nach der Vervollkommnung der fünf Tugenden strebt, dient ihm als Vorbild. Der Unterricht zeichnet sich durch sportliches und faires Miteinander aus, weil wir dem Trainingspartner helfen, sich zu verbessern und weiterzubilden. So lernt der Schüler im Unterricht die wichtigste Funktion für das praktische Leben: Die Achtung vor allen Menschen und somit eine positive Wirkung auf die Gesellschaft!
Dies kann bereits im Kids-WingTsun-Training beginnen: Die ausgebildeten Trainer der EWTO achten darauf – begleitend zu Familie und Schule – den Kindern beizubringen, wie sie durch ihr Mitwirken ihr Umfeld positiv verändern können. Im Unterricht probieren sie es spielerisch aus. Sie erfahren, wie es sein kann, Dinge miteinander zu tun, sich gemeinsam zu verbessern und sie erfahren ihre Selbst-Wirksamkeit innerhalb der Gemeinschaft: Spielend lernen und sich weiterbilden!
Verhalten im Unterricht
Am Anfang des Unterrichts steht die gegenseitige Begrüßung von Lehrer und Schüler. Mit der Verbeugung vor den Großmeistern – unseren Ahnen – vorweg zeigen wir unsere Dankbarkeit, dass sie uns die Möglichkeit gaben, von ihnen zu lernen und das Wissen weiterzugeben. Hier handelt es sich keineswegs um eine religiöse Handlung! …
Verbeugung vor den Großmeistern als Zeichen des Respekts
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Ein freundliches, respektvolles Miteinander im Unterricht zeigt sich allgemein durch kleine Gesten, wie etwa sich kurz zu verbeugen, wenn der Lehrer einem bei einer Übung geholfen hat, oder indem man bei Erklärungen aufmerksam zuhört. Man unterlässt körpersprachliche „Abwehrhaltungen“ oder sich zu verschließen. Beispiel: Verschränken der Arme vor der Brust. Gemäß amerikanischer Studien verhindert dies tatsächlich die Aufnahmefähigkeit.
Kung Dsi sagt: Die Pflege der eigenen Werte und das Streben nach dem Ideal des Edlen gilt für alle Menschen, hinauf bis zum Fürsten. Dieser kann nur dann seine Aufgabe gebührend wahrnehmen. Als weiser Regent ist es ihm möglich, die Ordnung des Staates wiederzuherstellen und die Gemeinschaft friedlich zu führen.
Da Kung Dsi aber keinen Fürsten fand, der seinen Ansprüchen an einen Herrscher genügte, zog er sich schließlich entmutigt aus der Öffentlichkeit zurück. Er ging auf Wanderschaft und kehrte zu guter Letzt in seine Heimat zurück, um sich seinen Schriften zu widmen.
Leben wir es unseren Schülern und Kindern besser vor!
Text: Dominque Brizin
Fotos: mg