WingTsun-Prinzipien und Gesundheit
Dieses Prinzip zeichnet sich durch zwei Aspekte aus: den des Nachgebens und den des Ableitens.
Aspekt des Nachgebens
In unserem Leben müssen wir immer wieder nachgeben – körperlich wie geistig – damit wir ganz bleiben.
Die Muskulatur muss sich bei jeder Bewegung dehnen, genauer gesagt, die Gegenspielermuskulatur, damit die Bewegung optimal ausgeführt werden kann. Je besser die Gegenpartie nachgeben kann, umso effizienter, leichter und schneller gelingt die Aktion, desto mehr Kraft kann ausgeübt werden.
Fällt die Fähigkeit des Entspannens ganz oder teilweise weg, führt das dazu, dass wir uns nicht mehr effizient bewegen können. Wir wollen eine kräftige Bewegung machen und die Energie wird ganz oder teilweise neutralisiert durch den noch aktiven Gegenspieler. Auf Dauer führt dies zu muskulären Dysbalancen, zu Abnützungen. Im schlimmsten Fall kann es durch diese Blockade zu Unfällen und Schädigungen kommen.
Im ChiKung lernen wir den Aspekt des Nachgebens spezifisch durch:
• Dehnen
Die zu dehnende Muskulatur muss nachgeben, damit eine Dehnung überhaupt möglich ist. Durch
möglichst aufmerksames Ausführen wird das Entspannen ganz bewusst geübt und kann deutlich em-
pfunden werden.
• Ganzkörperübungen
Bei diesen Übungen wird Kraft ausgeübt und gleichzeitig eine langsame Bewegung
zugelassen, d.h. nachgegeben. Diese Kombination macht dem Gehirn diese beiden Elemente und die
notwendige Verbindung bewusst.
• ChiSao-Übungen
Durch noch feinere Impulse als im WingTsun und ganz ohne den kämpferischen Aspekt lernt das
Nervensystem sehr bewusst, was Nachgeben in seiner feinsten Form bedeutet. (Natürlich können
alle WingTsun-ChiSao-Übungen so ausgeführt werden, dazu braucht es lediglich die Bereitschaft.)
• Entspannungsübungen
Bewusstes gedankliches - und nervliches Nachgeben reduzieren den Muskeltonus und erleichtern
uns im alltäglichen Bewegen und Sein eine größere Lockerheit.
Aspekt des Ableitens
Korrektes Ableiten auftreffender Kraft ist in der alltäglichen Bewegung von zentraler Bedeutung. Kommt Kraft z.B. in Form von Gewicht –eine schwere Tasche, ein Rucksack – auf uns zu, muss die Oberkörperhaltung so angepasst werden, dass diese belastende Kraft möglichst direkt und gerade über die Wirbelsäule auf das Becken, von da in die beiden Beine, dann in die beiden Wadenbeine und schlussendlich flächig über die Füße in den Boden geleitet wird.
Anders sieht es aus, wenn wir irgendwo gegen rennen, z.B. mit der Schulter gegen den Türrahmen: Hier findet das Ableiten statt, indem wir sofort, wenn wir den Kontakt sensorisch über die Haut wahrnehmen, die getroffene Körperpartie (Schulter) mit Hilfe des Druckes des Türrahmens nach hinten bewegen. Entsprechend wird sich die gegenüberliegende Schulterpartie nach vorne bewegen, somit ist der Zusammenprall von Schulter und Rahmen auf ein Minimum reduziert worden.
Schaffen wir ähnlich leichtes Ableiten auch mit anderen Körperpartien? Hüfte, Oberschenkel, Rücken?
Ade, blaue Flecken!
Im ChiKung üben wir Ableiten folgendermaßen:
• Körpereinheitsübungen
Die Kraft des Gegenübers wird in den Körper und von hier in den Boden umge-
leitet. Hier erfahren wir die „hohe Kunst“, da jeder Partner anders drückt – einmal mehr, einmal weniger;
einmal gerade, einmal schräg; einmal lehnt er sich sogar mit dem Körpergewicht hinein.
• ChiSao-Übungen
Es muss ja nicht gleich der Türrahmen sein: Ein feiner Druck vom Partner ist doch
wesentlich angenehmer zum Lernen!
• Entspannung
Ableiten von störenden Gedanken durch Konzentration auf bestimmte Inhalte, Bilder Geräusche, Körper-
wahrnehmung – wir werden buchstäblich auf andere Gedanken gebracht! Gleichzeitig wird die nervliche
und muskuläre Anspannung fühlbar reduziert.
• Atmung
Durch bewusstes, tiefes Ausatmen leiten wir nicht nur verbrauchte Partikel und CO2 aus unserem Körper
ab, sondern helfen noch zusätzlich, unser Nervensystem zu entlasten!
Begleite, was geht
Begleiten ist eine Art des aktiven Nachgebens nach vorn. Auch das Begleiten kann uns vor Schaden schützen. Zudem ist es das Prinzip der Aktivität, der Zielstrebigkeit, des Vorwärtsschauens, des Dranbleibens.
Hätte unsere Muskulatur nicht die Fähigkeit, sich zu verlängern, würde sie schlicht reißen, wenn die Gegenspielermuskulatur aktiv wird. Und auch wenn die Grundfähigkeit des Verlängerns körperlich gegeben ist, hilft es ungemein, wenn wir die Fähigkeit zum aktiven Entspannen der Antagonistenmuskulatur haben bzw. grundsätzlich sehr beweglich sind.
Auch das Dranbleiben ist ungemein gesundheitsfördernd – wie anders könnten wir uns überwinden, auch einmal anstrengende Übungen wiederholt auszuführen? Und wie sonst könnten wir im Leben unsere Wunschziele aktiv umsetzen, egal in welchem Bereich?
Folgende ChiKung-Übungen lehren dieses Prinzip:
• Dehnen
Die Muskulatur begleitet die durch die Gegenspielermuskulatur oder den Partner ausgelöste
Bewegung in die Dehnung. Der nervliche Kontakt ist konstant vorhanden, unser Nerven-
system bleibt dran - sonst könnte der Schutzreflex nicht rechtzeitig ausgelöst werden.
• Ganzkörperübungen
Wir üben Kraft aus und begleiten gleichzeitig die Bewegung des Partners in dem Ausmaß, wie
er/sie nachgibt.
• ChiSao-Übungen
An den Armen, Beinen oder am Körper des Partners dranbleiben mit irgendeinem eigenen
Körperteil lehrt das Fühlen nicht nur der eigenen Bewegung, sondern ebenfalls die des anderen.
• Entspannung
Wir können aktiv Gedanken erkennen und gehen lassen, die nicht mehr benötigt werden.
Bewusstes Begleiten mit unseren Sinnen macht uns wach und präsent.
• Atmung
Heißt ausatmen, bewusstes „nach außen begleiten“ verbrauchter Partikel.
Leicht ist richtig
Dieses Prinzip des EWTO-ChiKung ist kein original WingTsun-Prinzip und doch ist es in allen integriert. Ohne das Prinzip der Leichtigkeit funktionieren die Prinzipien nicht. In einem WingTsun-Kraftsatz ausgedrückt: Mache dich frei von deiner eigenen Kraft.
Kann eine Bewegung leicht ausgeführt werden, ist sie richtig, ist sie gesund, ist sie effizient und ökonomisch.
Spezifisch üben wir im ChiKung die Leichtigkeit wie folgt:
• Körpereinheitsübungen
ChiKung-spezifische KE-Übungen im speziellen und sogar Kräftigungsübung jeder Art müssen
sich leicht anfühlen, um richtig zu sein. Tun sie das nicht, wird zu viel Kraft eingesetzt, mit mehr
als ertragbarem Widerstand gearbeitet oder die Bewegung selbst nicht optimal ausgeführt.
• Dehnung
Auch eine Dehnung muss sich leicht anfühlen, ansonsten blockiert der Muskel (Schutzreflex vor
Zerreißen) und eine Dehnung ist nicht mehr möglich.
• ChiSao-/Senso-Übungen
Fühlübungen müssen sich leicht anfühlen – ohne Leichtigkeit ist Fühlen nur sehr eingeschränkt
möglich, da unsere Nerven sehr feine Unterschiede wesentlich besser ausmachen können, als
grobe.
Text: Regula Schembri
Fotos: mg