Selbstbewusst Sitzen
Weniger Sauerstoff
Eine zusammengesunkene, nach vorn gebeugte Haltung führt zu gepresster Atmung. Hängen die Schultern nach vorne und rundet sich der Rücken nach hinten, bleibt viel weniger Raum, um die Lungen im Bereich des Brustkorbs mit Luft zu füllen. Da die wenigsten dies durch gezielte Bauchatmung ausgleichen, bleibt die Atmung insgesamt flach. Dadurch ist ein hoher Anteil unseres Atemvolumens nur hin und her geatmete verbrauchte Luft, statt durch tiefes Ein- und Ausatmen vornehmlich frischer Luft den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Gleichzeitig steigt der Druck auf den Magen: Magensäure kann in die Speiseröhre zurückfließen und Sodbrennen oder Aufstoßen verursachen.
Erhöhter Druck
Aufgrund der Ruhigstellung durch die in aller Regel starre Sitzfläche wird die Durchblutung des Beckens vermindert, teilweise sogar innere Organe und Blutgefäße durch den erhöhten Druck mechanisch beengt. Folgen können z.B. Krampfadern der Beine und das Erschlaffen der Beckenboden- und Bauchmuskulatur sein.
Verspannungen
Auf der anderen Seite entstehen durch die vorgebeugte Rundrückenhaltung oft Rückenprobleme durch Verspannungen. Wenn wir im Sitzen Bewegungen mit dem Oberkörper ausführen, wirken hohe Kräfte auf unseren 5. Lendenwirbel, der diese anstatt des belastbareren Kreuzbeins oder der Hüftgelenke als unterstes dynamisches Element des Oberkörperskeletts ungefedert verarbeiten muss.
Aktiv werden
Was können wir tun, um diese negativen Auswirkungen abzumildern? Wie im WT gilt: Aktiv werden, d.h. zum einen öfter einmal aufstehen und sich recken und in alle Richtungen strecken. Im Sitzen häufig die Position wechseln. Kleine Kinder haben meist noch ein gutes Körpergefühl und tun das automatisch, indem sie auf dem Stuhl herumrutschen – solange man dies nicht unterbindet durch Sätze wie: „Sitz still!“, „Hör‘ auf herumzuzappeln!“…
Hilfreich für eine gesunde Haltung ist es, im Sitzen die Hüfte aufzurichten und die Wirbelsäule auszurichten, wie wir es am Anfang der SiuNimTau oder ChiKung-Form praktizieren. Dazu tut es gut, im Sitzen besonders bewusst den Brustkorb aufzurichten, als würde ein Faden am Brustbein uns hochziehen. Wenn wir dann noch den Kopf schweben lassen, als wäre es ein mit Helium gefüllter Ballon, befreit das die Trapezius-/Kapuzenmuskulatur. Unser Nacken kann frei werden, unser Kopf beweglich – auch geistig! Indem die Schultern statt nach vorne seitlich nach unten sinken, öffnen sich die in der chinesischen Tradition „Angstpunkte“ genannten Stellen unter dem Schlüsselbein – wir fühlen uns gleich besser.
Positive Wechselwirkungen
Die Wechselwirkung zwischen Körper und Geist wirkt hier genauso wie in Situationen physischer Auseinandersetzungen. In einer als bedrückend empfundenen Situation kann erzwungene Unbeweglichkeit zu einem „Freeze“, einer Starre, führen. Dem beugen im Sitzen – wie auch im Kampf – kleine Bewegungen vor (hier vornehmlich des Beckens). Auch wenn wir uns im Sitzen „niedergeschlagen“ fühlen, lassen sich die psychologischen Komponenten der bewusst eingenommenen Körperhaltung aus dem BlitzDefence nutzen. Neueste Forschungen weisen darauf hin, dass unser Unbewusstes auf die Körperspannung reagiert und die Gefühlslage darauf abstimmt. Insofern könnte ein jahrtausendealtes Programm in uns anspringen: Aufrechte Haltung = Dominanz, gebückte Haltung = Unterwerfung.
Indem wir uns im Sitzen aktiv aufrichten, können wir uns also bewusst „aufbauen“ und von Zwängen befreien. Wir wirken dann auf andere nicht nur selbstbewusst, wir sind es auch…
Text: Petra Weipert
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