Atemlos
Ein Mensch kann ca. eine Woche ohne Wasser leben, ca. einen Monat ohne Nahrung, einige Tage ohne Schlaf, aber nur wenige Minuten, ohne zu atmen.
Wie wichtig die Atmung für uns ist, zeigt uns bereits unser täglicher Sprachgebrauch.
Wir alle kennen Sätze wie: „Mir bleibt die Luft zum Atmen weg.“ oder „Ich muss erst einmal tief durchatmen.“, ebenso „Du raubst mir den Atem.“ oder „Ich bin atemlos!“
Aber was ist denn mit unserem Atem[los]?
Die Atmung wird in den verschiedensten Kulturen als eine Art persönliches Heiligtum angesehen, denn sie entscheidet darüber, ob wir leben oder nicht. Sie entscheidet darüber, ob es uns gut geht oder nicht. An ihr können wir unseren aktuellen Gemütszustand sehr schnell und leicht erkennen. Wenn wir aufgeregt sind, Angst oder Eile haben, atmen wir schnell und flach. Sobald wir uns aber in Ruhe befinden, entspannen oder einfach etwas genießen, verändert sich unsere Atmung wieder zu einem gleichmäßigen ruhigen und vor allem tiefen Atemfluss.
Man könnte also sagen, dass unsere Atmung eine Art Messfühler darstellt, der es uns erlaubt, uns selbst besser wahrzunehmen. Wie viele Momente im Leben lassen wir ohne tatsächliche Aufmerksamkeit verstreichen, ohne uns dessen bewusst zu sein? Wie oft stehen wir ungeduldig an der Kasse im Supermarkt oder im Stau und regen uns über diese nicht zu ändernde Situation auf? Wir hetzen durch den Alltag und nehmen nicht wahr, wie „atemberaubend“ unser Leben gerade verläuft.
Und dabei nehmen wir das Wort atemberaubend jetzt einmal wörtlich. Wir berauben uns selbst des Atems, den wir doch so dringend nötig haben, um ordentlich funktionieren zu können.
Dabei sind gerade diese kleinen Stresssituationen, in denen wir im Außen nicht weiterkommen, optimale Situationen, die wir nutzen können, einmal wieder „aufzuatmen“ oder „tief durchzuatmen“. Wir haben einen Freischein zum Herunterkommen. Eine Oase, um wieder neu mit Sauerstoff = purer Lebensenergie aufzutanken. Und wer die Rechtfertigung jetzt doch noch für sich braucht: Wir können ja eh nichts anderes machen, als abzuwarten, bis sich der Stau oder die Schlange wieder aufgelöst hat… Also handeln wir sozusagen völlig legal.
Wenn man sich bewusst macht, dass der Mensch aus ca. 100 Billionen Zellen besteht, welche alle atmen müssen, können wir nochmals mehr erahnen, wie wichtig Atmen für uns Menschen auch aus medizinischen Gesichtspunkten ist. Es gibt Ärzte und Heiler, die der Auffassung sind, dass alle Krankheiten stets mit einer falschen Atmung beginnen. Wenn wir uns vor Augen halten, dass Stress und Hektik unsere Atmung pathologisch beschleunigen, im Gegenzug Meditation sowie Entspannungsübungen die Atmung wiederum verlangsamen, dann ist es nicht schwer den gesundheitsfördernden Effekt der Atmung für sich anzunehmen. Stellen wir uns einfach bewusst die Frage: „Wann fühle ich mich persönlich wohler? Im Stress oder in der Ruhe?“
Entscheidend ist jedoch wie bei allen gewonnenen Erkenntnissen, die richtige Umsetzung. Daher hier ein paar kurze Tipps, wie man sich selbst nicht mehr „die Luft zum Atmen nimmt“.
Tipp 1: Die Macht der (Selbst)Erkenntnis
Sobald Du merkst, dass Deine Atmung sich in einer hektischen Situation des Alltags beschleunigt, ohne dass dies sinnvoll ist (wie beispielsweise bei einer echten Flucht oder Angriffssituation), so schalte mental wieder zurück. Stelle oder setze Dich für einen Moment an den Rand des Geschehens, schließe Deine Augen und führe einen kurzen Körperscan durch. Hängen Deine Schultern locker nach unten? Sind Deine Hände und Füße entspannt? Ist Dein Bauch weich? Wie ist der Status Deiner Kopf- und Gesichtshaut?
Mache nun einen tiefen Atemzug durch die Nase, bei dem Du Deinen unteren Bauchbereich weit nach vorne wölben lässt. Stelle Dir dabei vor, Deinen aktuellen Stress einfach auszuatmen und wiederhole dies mit so vielen Atemzügen, wie Du möchtest.
Danach kannst Du Dich wieder gelöster und gesammelter ins Geschehen stürzen.
Tipp 2: Die Kunst der Ablenkung
Lenke Dich ab! Die Kunst der Ablenkung hilft bei vielen Problemen, die plötzlich zu mächtig erscheinen, so dass man meint, sie nicht mehr bewältigen zu können. Beginne zunächst in Deinem Körper die ersten Lösungen umzusetzen. Setze Dich bequem aufrecht oder lege Dich hin und nutze entweder Deinen Herzschlag oder den Klang des Sekundenzeigers Deiner Uhr als Chronometer. Beobachte, wie viele Schläge bzw. Sekunden Du sowohl für die Einatmung als auch für die Ausatmung benötigst. Nach einigen Atemzyklen beginne, Deine Atemzüge auf die Schläge einzustimmen. Versuche Deine Ausatmung doppelt so lang auszuführen wie Deine Einatmung.
Beispiel: Atme 4 Sekunden tief ein, dann atme 8 Sekunden wieder tief aus.
Du kannst diese Übung steigern, indem Du Dich stets bemühst, eine zunehmend längere Einatmung auszuführen. Das anvisierte Ziel ist dabei, dass die Ausatmung mithält und Du doppelt so lange Ausatmungsschübe ausführen kannst.
Spiele mit dieser Technik, bis Du bemerkst, dass sich Dein Emotionszustand beruhigt hat. Nun kannst Du Dich wieder der Problemlösung außerhalb Deines Körpers zuwenden.
Ich frage mich in Stresssituationen: „Wie will ich nach außen entspannt reagieren, wenn in meinem Inneren ein Sturm tobt?“
In der englischen Sprache gibt es ein schönes Wort für unseren Gemütszustand, das wir uns vor Augen halten dürfen, wenn wir uns wieder einmal im Stress verlieren:
„Nowhere“ (= deutsch „nirgendwo“, bedeutet frei übersetzt soviel wie „verloren sein“)
Wir können diesen Zustand durch unser neu erlangtes Bewusstsein nutzen und verändern zu:
„Now and Here“ (= deutsch „jetzt und hier; was soviel bedeutet wie: wieder ins Jetzt und zu uns selbst zu finden).
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Text: Sifu Constantin Mock
Fotos: