Sicherheit

BKA-Studie zu Gewalt an Schulen: „Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen – Untersuchungen von kognitiven und sozialen Bedingungen"

Gewalt an Schulen ist gerade in den letzten Wochen erneut ein großes Thema in den Medien. Das Bundeskriminalamt hat hierzu folgende Studie veröffentlicht.

Pressegespräch am 02. Juli 2003

Nicht erst seit dem Amoklauf in Erfurt reagiert die Öffentlichkeit sensibel auf aggressives Verhalten von Heranwachsenden. Berichte über Jugendliche, die straffällig geworden sind, werden häufig in den Medien veröffentlicht. Jugendkriminalität umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Delikte, etwa Mobbing von Mitschülern, Beschimpfungen, „Abziehen" (Raub oder Diebstahl von Marken-Kleidungsstücken), leichte Körperverletzung, aber auch Gruppengewalt bis hin zu massiven Ausschreitungen.
Das Phänomen Jugendkriminalität verdient gerade aus präventiven Gesichtspunkten große Aufmerksamkeit. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 2002 insgesamt 297.881 tatverdächtige Jugendliche (14 bis unter 18 Jahren) auf, im Jahr 2001 waren es 298.983.

Welche Faktoren beeinflussen aggressives Verhalten von jungen Menschen? Welche Faktoren führen dazu, dass Jugendliche ihre Konflikte gewaltlos beilegen? Wie sind die sogenannten „Bullies" einzuschätzen, die etwa 80 Prozent aller Gewalt und Aggressionsdelikte begehen? (Der Begriff „Bullying" umschreibt die absichtliche Schädigung anderer Schüler, die wiederholt und über einen längeren Zeitraum ausgeübt wird. Das Machtungleichgewicht zwischen den Tätern, den „Bullies", und deren Opfern äußert sich beispielsweise in Schlagen, Treten, Bedrohen, Erpressen, Hänseln, Beschimpfen, „Schlechtmachen" und Ausgrenzen.)
Diesen und weiteren Bedingungen zu den Gewaltrisiken unter Jugendlichen geht die neue Studie des Bundeskriminalamtes zur Schulgewalt in Deutschland „Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen – Untersuchungen von kognitiven und sozialen Bedingungen" nach. Das Kriminalistische Institut des BKA hat damit im Rahmen seiner Schriftenreihe „Polizei + Forschung" (Luchterhand-Verlag) eine differenzierte und umfassende Analyse von Ursachen erstellt und daraus entsprechende Präventionsmaßnahmen abgeleitet. Professor Friedrich Lösel von der Universität Erlangen-Nürnberg ist Hauptautor der Studie.

Zur Studie

Die empirische Untersuchung wurde mit den Erhebungsinstrumentarien „Standardbefragungen" von Schülern und Lehrern, „Rollenspiele", „Verhaltensbeobachtungen" und „Interaktionsanalysen" erstellt. Dieser breite methodische Ansatz macht die Ergebnisse nutzbar für die Praxis, für Schule, Jugendämter, Polizei, Presse und Kriminalpolitik.

Im ersten Teil wurden mehr als 1.000 Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse an allgemeinbildenden Schulen untersucht. Mittels Fragebogen wurden die Gewalterfahrungen in der Schule aus Täter und Opferperspektive, das straffällige Verhalten und andere Erlebens- und Verhaltensprobleme erhoben. Es wurde nach Merkmalen der Herkunftsfamilie, der Persönlichkeit, der sozialen Kompetenz, der Schulleistung, des Schulklimas, der Aktivitäten in der Clique, des Medienkonsums und des Freizeitverhaltens gefragt.
Um die interaktiven Bedingungen von aggressivem Verhalten aufzuklären, wurde 20 Monate nach dieser ersten Studie eine zweite durchgeführt. In ihr wurden „Bullies", Opfer sowie unauffällige und sozial besonders kompetente Jugendliche erneut untersucht.

Einige Ergebnisse

Die Studie ergab, dass 66 Prozent der Befragten in den vergangenen sechs Monaten zumindest einmal Mitschüler geschlagen hatten, 13 Prozent gaben ein Raub- oder Erpressungsdelikt zu, acht Prozent hatten bereits einmal mit Messer oder Pistole gedroht.

Wie die Studie zeigte, ist Schulgewalt im wesentlichen ein Jungenproblem und findet in den meisten Fällen auf dem Pausenhof oder auf dem Schulweg statt. Die Zahl der extrem schulschwierigen Schüler nimmt zu.

Typisch für „Bullies", auf denen für die Studie ein besonderes Augenmerk lag, sind ein ungünstiges Familien- und Erziehungsklima, Schulleistungsprobleme, wenig strukturierte Freizeitgestaltung („Herumhängen" in Jugendtreffs und problematische Sozialkontakte), problematischer Medienkonsum, ausgeprägter Substanz-Missbrauch von Nikotin und Alkohol, ausgeprägte Impulsivität und Aufmerksamkeitsstörungen sowie fehlende Normorientierung.

Bei den familiären Einflussfaktoren sind weniger strukturelle Merkmale wie „Scheidung" oder „Alleinerziehend" entscheidend, sondern funktionale Merkmale wie Wärme und konsistente Erziehung mit klaren Regeln.

Schulische Risiken für die Aggression von Schülern ergeben sich weniger aus der Schulgröße oder hohen Leistungsanforderungen an die Schüler als vielmehr aus dem problematischen sozialen Schul- und Klassenklima. Schulversagen und insbesondere inkonsequent geahndetes Schulschwänzen dagegen ist ein wichtiger und zentraler Marker für aggressives Verhalten von Schülern.

Ein weiterer Aspekt: Mangelnde Selbstkontrolle erhöht das Risiko für aggressives Schulverhalten und aggressive Schüler neigen dazu, anderen Feindseligkeiten zuzuschreiben.

Herausgeber: Bundeskriminalamt, 65173 Wiesbaden