Sicherheit

Im Urlaub vor Gericht (Teil 1)

Stell’ dir vor, du verbringst irgendwo im Ausland einen wunderschönen Urlaub. Jemand stört die Idylle und es kommt zu einer handgreiflichen Meinungsverschiedenheit mit rechtlichen Folgen. Am Ende wirst du bezichtigt, eine Straftat begangen zu haben. Daraufhin folgt eine Anzeige. Selbst, wenn du schnell nach Hause abreist, muss die Geschichte lange noch kein Ende haben … Die folgende Beitragsreihe setzt sich mit der rechtlichen Seite eines solchen Szenarios auseinander. In diesem Teil geht es um den Europäischen Haftbefehl.

Wer weiß schon, was ihm oder ihr blüht, wenn man im Ausland in eine Straftat verwickelt wird? Dieser Teil will Auskunft über die wichtigsten juristischen Regelwerke geben, die in einem solchen Fall zur Anwendung kommen. Juristen sprechen vom Internationalen Recht.

Internationales Recht
Im internationalen Recht unterscheidet man Martin Heger („Europäische Beweissicherung“ in: Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik 14/2007) zufolge drei Ausdrucksformen von grenzüberschreitender Kriminalität: reisende Kriminelle, Angriffe gegen Rechtsgüter der EU und kriminelle Reisende. Im ersten Fall handelt es sich beispielsweise um Täter, die die lasche Gesetzgebung anderer Staaten für ihre Straftaten ausnutzen, um Schleuser, Terroristen, bzw. um organisierte Kriminalität. Beim Angriff auf die Rechtsgüter der EU sind z.B. Subventionsbetrug und andere wirtschaftliche Straftaten gemeint, die den Wettbewerb innerhalb der EU verzerren. Die dritte Kategorie der kriminellen Reisenden umfasst Heger zufolge Delikte, die von reisenden Geschäftsleuten und Touristen begangen werden. Darum soll es hier später gehen, nachdem wir in diesem Teil die wichtigsten rechtlichen Grundlagen beleuchtet haben.

Europäischer Haftbefehl
Um in der Europäischen Union Recht reibungslos grenzübergreifend anwenden zu können, gibt es seit dem 07.08.2002 den so genannten „Europäischen Haftbefehl“, der innerhalb der 27 EU-Mitgliedsländer in das Rechtshilferecht integriert wurde. Er ist nicht unumstritten und besitzt viele Kritiker. Nach einer Überarbeitung (wegen einer Verfassungsbeschwerde, Deutsche nicht ans Ausland auszuliefern) trat das Gesetz in Deutschland am 02.08.2006 in Kraft. Damit ist die BRD nun an das EU-Rechtshilfeabkommen gebunden.

Es existieren Heger zufolge drei Teilbereiche, die zwischen den EU-Staaten für eine Rechtshilfe bei Strafsachen relevant sind: die Vollstreckungshilfe (z.B. Gefängnisaufenthalt), Auslieferung und die kleine Rechtshilfe. Zu Letzterer zählt beispielsweise die Beweissicherung in Ermittlungsverfahren. Sie kann ein Hebel dafür sein, Beweismaterialien vor Gericht nicht zuzulassen, die nach deutschem Recht mit einem Grundrechtseingriff gesammelt wurden. Übersetzt heißt das: Wenn du beispielsweise in Spanien von der dortigen Polizei (vor Zeugen) massiv unter Druck gesetzt wurdest, eine (womöglich nur in spanischer Sprache abgefasste) Aussage zu unterschreiben, wird diese unter Umständen in Deutschland vor Gericht nicht verwertet.

Andererseits kann der Spanienurlauber, der nach der Straftat schnell nach Hause geflohen ist, wieder nach Spanien überstellt werden. Denn es gibt innerhalb der EU die Möglichkeit, in das Heimatland oder auch ins Ausland ausgeliefert zu werden. Im Europäischen Haftbefehlsgesetz (EuHbG) § 80 heißt es: „(1) Die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung ist nur zulässig, wenn gesichert ist, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes zurück zu überstellen.“
Hinzu kommt in § 81, dass nur dann ausgeliefert wird, wenn bei einer Strafverfolgung eine Mindeststrafe von zwölf Monaten und bei einer Vollstreckung eine Mindeststrafe von vier Monaten zu erwarten ist. Das heißt: Der Spanienurlauber kann zum Verhör nach Spanien ausgeliefert werden, wenn die zu erwartende Strafe mindestens zwölf Monate beträgt. Wurde er aber bereits in Abwesenheit von einem spanischen Gericht zu einer Gefängnisstrafe von mindestens vier Monaten verurteilt, so wird ebenfalls ausgeliefert. Voraussetzung für jede Auslieferung ist immer der direkte Bezug zum Land, das den Antrag hierfür stellt.

Wird man in einem EU-Land gerichtlich bestraft, so kann man aufgrund des Doppelbestrafungsverbotes (Artikel 54 SDÜ) in einem anderen Land nicht noch einmal für dieselbe Tat belangt bzw. ausgeliefert werden. Auch ist die Verlegung in ein Gefängnis des Heimatlandes möglich, insofern dort die Tat, für die der Gefangene sitzt, als Straftat gesehen und ähnlich bestraft wird. Im anderen Fall ist die Auslieferung nur theoretisch möglich: wenn das gleiche Delikt im Heimatland als solches gar nicht im Strafgesetzbuch steht. Doch über bestimmte Rechtslagen des Gastlandes sollte man sich vor dem Urlaub informieren.

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Wenn man nicht mit den rechtlichen Gepflogenheiten des Urlaubslandes vertraut ist, kann es unverhofft zu einer bösen Überraschung kommen. Was hierzulande nicht unter Strafe steht (z.B. eine geringfügige Menge Cannabis konsumieren, Trunkenheit am Steuer) kann in anderen Ländern zu Gefängnisstrafen führen. Im Sinne des EU-Haftbefehls gilt auch hier der Leitsatz „Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.“ So gibt es insgesamt 32 Straftatbestände, nach denen ausgeliefert werden muss; ganz egal, ob die Tat des ausliefernden Staates verjährt oder nicht strafbar ist.
Dazu gehören beispielsweise schwere Körperverletzung, Rassismus, Vergewaltigung, Brandstiftung, Umweltkriminalität oder Betrug.
Jedoch sehen es Rechtsexperten als problematisch an, dass es innerhalb dieser „Positivliste“ schwammige, nicht näher definierte Begriffe gibt, die den Straftatbestand näher eingrenzen. Das kann z.B. im Falle von Betrug, Sabotage, Rassismus oder Kunstraub justiziarer Willkür Tür und Tor öffnen.

Großzügige Strafen
Dass aber die Gesetze im Ausland oftmals enger ausgelegt werden bzw. vergleichsweise härtere Strafen drohen, kann man immer wieder feststellen. Beispielsweise ist letztes Jahr im August ein britischer Tourist in Griechenland zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er im Verlaufe einer Schlägerei einen Polizisten mit einem Biss in den Oberschenkel verletzt hatte.
Im EU-Anwärterland Türkei wollten beispielsweise zwei deutsche Urlauber als Reiseandenken einen schönen „Stein“ mit nach Hause nehmen, den sie am Strand gefunden hatten. Der Zoll durchleuchtete und klassifizierte ihn als antikes Kulturgut. Auf die Ausfuhr von antiken Gegenständen steht in der Türkei eine Strafe von zwei bis zehn Jahren. Beide kamen mit einem sechswöchigen Gefängnisaufenthalt gegen eine Kaution von insgesamt über 12.000 Euro frei und konnten zurück nach Deutschland kehren.
So schnell kann man im Urlaub vor Gericht landen. Mehr folgt in Teil 2.

Der Autor ist kein Jurist und übernimmt keine rechtliche Gewähr.

Sifu Oliver C. Pfannenstiel, 4. TG