Sicherheit

Gewalt gegen Kinder – Teil 3

In diesem dritten und letzten Teil geht es um praktische Interventionsmöglichkeiten. Was tun, wenn wir mitbekommen, dass Kinder permanenter Gewalt durch ihre Eltern ausgesetzt sind? Hier sind einige Tipps – nicht nur für WT-Unterrichtende.

Erkennungsmerkmale

Wer im Alltag viel mit Kindern zu tun hat, sei es im Kindergarten, in der Schule, im Freizeitbereich bzw. in der WT-Schule, kann unfreiwillig zum Zeugen für Misshandlung werden. Ein Hamburger Leitfaden für Ärzte (von der Stadt Hamburg, 2000) nennt folgende Kriterien, die auf Misshandlung bzw. sexuelle Gewalt hindeuten können:

• Körperliche Symptome, z.B. eine ungeklärte Fraktur beim Säugling oder Zeichen mangelnder Hygiene. Dazu gehören auch Blutergüsse (med.: Hämatome) z.B. am Gesäß, am Rücken oder im Gesicht. „Geformte“ Hämatome lassen auf einen Schlaggegenstand schließen. Aber auch Verbrennungen oder Verbrühungen können von Gewalttätigkeiten stammen. Kommen solche Verletzungen häufiger vor? Reagiert das Kind auf „normale“ Berührungen körperlich angespannt?
• Auffälliges Verhalten des Kindes, z.B. plötzlich eintretender Schulleistungsknick mit sozialem Rückzug. Der Ratgeber hält folgende Verhaltensweisen des Kindes fest, das Gewalt ausgesetzt ist: „Das Kind zeigt eine ‚gefrorene Aufmerksamkeit’ (frozen watch-fulness). Es sitzt still auf seinem Platz und beobachtet seine Umgebung quasi aus dem Augenwinkel her aus, ohne sich zu bewegen. Es bewegt sich erst dann, wenn es sich unbeobachtet fühlt. Als weitere typische Symptome für misshandelte Kinder werden emotionale Störungen (anhaltende Traurigkeit, Ängstlichkeit, Stimmungslabilität und mangelndes Selbstvertrauen) und Schwierigkeiten im Sozialverhalten beschrieben. Die Kinder sind entweder auffallend ruhig und zurückgezogen oder aber besonders aktiv, unruhig und schwierig (Aggressivität, Distanzlosigkeit).“ Natürlich darf man nicht voreilig Schlüsse ziehen, wenn man einmalig Kinder im o.g. Zustand antrifft. Es handelt sich vielmehr um Befunde, die über einen längeren Zeitraum zu beobachten und mit viel Fingerspitzengefühl herauszufinden sind.
• Bei sexueller Gewalt sind laut dem o.g. Ratgeber noch weitere Symptome zu finden, die beim betroffenen Kind über einen längeren Zeitraum verstärkt hervortreten: „Gestörtes Essverhalten, Schlafstörungen, Rückfall in ein Kleinkindverhalten (Regression), Weglaufen von zu Hause, Distanzlosigkeit, sexualisiertes Verhalten, Ablehnung des eigenen Körpers, Sexualstörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Affektlabilität, Depressivität, erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, Albträume, unklare Angstzustände, Schmerzen (z.B. Bauchschmerzen), Sprachstörungen, Stehlen und anderes delinquentes Verhalten, Beziehungsschwierigkeiten, Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Konversionssyndrome.“
• Gestörte familiäre Interaktion, z.B. mangelnde Zuwendung der Mutter oder feindseliges Verhalten gegen das Kind. Hier kann man unter Umständen die oben genannten Symptome mit dem Verhalten der Erziehungsberechtigten abgleichen und deren Umgang mit dem Kind unter die Lupe nehmen. Verhalten sich die Eltern(teile) liebevoll, fürsorglich und vertrauensvoll dem Kind gegenüber? Wirken sie überfordert? Übergehen sie Signale des Kindes?

Umgang mit dem betroffenen Kind

Der Hamburger Leitfaden rät Ärzten, dass es wichtig ist, das eigene Gefühl in der Situation zu klären, wenn Missbrauch vermutet wird. Darin heißt es: „Bleiben Sie in einem Fall von Kindesmisshandlung oder sexuellem Missbrauch dem Kind gegenüber unbefangen. Entsetzte oder empörte Äußerungen wie ‚Das ist ja schrecklich, was Dir angetan wurde!’ helfen nicht weiter. Geben Sie dem Kind ein Gefühl der Sicherheit. Auch das Verhalten gegenüber der Begleitperson sollte freundlich sein. Vorwürfe, Vermutungen und Vorurteile gegenüber Erziehungsberechtigten oder ein Dramatisieren des Falles helfen nicht weiter.“
Als WT-Lehrer würde ich stets professionelle Hilfe aufsuchen, die mich im konkreten Fall berät und gegebenenfalls handelt.

Rechtliche Sofortmaßnahmen

Denn wenn man nun aufgrund der oben genannten Kriterien einen starken Verdacht auf Kindesmisshandlung hegt, der sich beispielsweise über einen längeren Zeitraum erhärtet oder aufgrund eindeutiger Bemerkungen des Kindes zu bewahrheiten scheint, so sollte man sich nicht davor scheuen, solche Schritte einzuleiten:
Man hat die Möglichkeit, beim Jugendamt oder in akuten Fällen direkt die Polizei anzurufen. Vielleicht geht man die Gefahr ein, sich einmal geirrt zu haben. Vielleicht kann man einem Kind aus einer Gewaltsituation helfen. Sich an Dritte zu wenden und sich auszutauschen, erscheint der erste wichtige Schritt.
Die Polizei kann direkt vor Ort einschreiten und das betroffene Kind vor weiteren Übergriffen schützen. Gegenüber Behörden bzw. Jugendeinrichtungen ist die Polizei dazu verpflichtet, eine Strafanzeige zu stellen. Gemäß § 223b Strafgesetzbuch (StGB) droht dem Täter für Vernachlässigung, Misshandlung von Schutzbefohlenen oder Kindesmisshandlung eine Strafe zwischen drei Monaten bis zu fünf Jahren. Sexuelle Gewalt wird nach den §§ 174 und 176 StGB bestraft. Wird einmal eine Strafanzeige gestellt, kann sie nicht ohne Weiteres zurückgezogen werden. Sie ist nur durch die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht zu stoppen.
 
Ist das Kind akut gefährdet, so wird es von der Polizei zu einer Kriseneinrichtung gebracht. Denn nach § 42 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes dürfen das Jugendamt bzw. der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) oder der Kinder- und Jugendnotdienst Minderjährige aufnehmen.
Wenn ein langfristiger Schutz des Kindes vor weiterer Gewalt nicht in Sicht ist, kann die Kriseneinrichtung das Familiengericht einschalten. Dieses wiederum erwirkt eine Sorgerechtseinschränkung. In harten Fällen kann ein Sorgerechtsentzug stattfinden.
Um das alles festzustellen und im Sinne des Kindes umzusetzen, ist ein hoher personeller und organisatorischer Aufwand nötig. Der Schritt, das Kind von den Erziehungsberechtigten zu trennen, muss nicht immer die beste Lösung sein. Der Hamburger Leitfaden für Ärzte hält fest: „Auch wenn Gewalt in der Familie oder in der näheren Umgebung ausgeübt wird, kann dennoch ein Verbleib des Kindes in seinem Umfeld von Vorteil sein.“ So zwiespältig das klingen mag, so sehr sind die Behörden vorerst bemüht, Familien intakt zu bringen. Der sozial-erzieherische Aspekt steht im Vordergrund. Dazu werden Familienhelfer bzw. Mediatoren, Psychologen und Sozialarbeiter etc. eingeschaltet. Sie übernehmen dann (unter anderem) eine Kontrollfunktion über das Wohlergehen des Kindes. Auch Ärzte sollen zukünftig enger in mit eingebunden werden.

Fazit

Die Diskussion über den Umgang mit Gewalt an Kindern hat im November und Dezember 2007 aufgrund jüngster dramatischer Ereignisse einen Höhepunkt erreicht. Wenn tatsächlich alle gesetzlichen Vorhaben umgesetzt werden, so wird es ein lückenloses soziales Netz geben, das u.a. aus Ärzten, Betreuern, Lehrern, Gesundheits- und Jugendämtern besteht und kontinuierlich nach Anzeichen für Gewalt an Kindern Ausschau hält. Bekommt man selbst Anzeichen für Gewalt an Kindern mit, so sollte man sich an professionelle Unterstützung (Jugendamt, Polizei, soziale Dienste) wenden.
Eine gute Unterstützung, die man Kindern als WT-Lehrer geben kann, ist es, Vertrauen aufzubauen, die Förderung ihres Selbstwertgefühls und ihrer Aufmerksamkeit für brenzlige Situationen. Es sollte in der Lage sein, sich bzw. anderen Kindern Hilfe von außen zu holen. 
 
Sifu Oliver C. Pfannenstiel, 4. TG
Der Autor ist kein Jurist. Alle o. g. Angaben erfolgen ohne juristische Gewähr.
Zum Thema Kinderselbstverteidigung bzw. Kids-WingTsun bietet die EWTO Ausbilderseminare an.