In dieser Schule sind wir alle Schüler! Bischof von Hippo
Eigentlich müsste es sogar richtig heißen: „Leiste bitte nicht soviel Widerstand (, denn ich möchte dich endlich treffen)!“ Es besteht nämlich ein Unterschied zwischen einem verkrampften Gegner, der seine Gegenspielermuskeln gleichzeitig anspannt, seine Kraft gegen sich selbst einsetzt, also „steif“ ist, und einem, der seine Kraft gezielt gegen unsere Aktionen richtet. So ist es ist oft nicht das „Steifsein“ des Gegners, durch das sich mancher behindert sieht, sondern der „Widerstand“ gegen unsere Aktionen. Letztlich ist der Widerstand, den wir fühlen, unser eigener, weil wir der Kraft des Gegners nicht sofort nachgaben, sondern überrascht waren und auf die Veränderung des Gegners nicht mit eigener Veränderung reagierten!
Wohl dem WT-Anwender, der mein Buch, „Der Letzte wird der Erste sein“ gelesen und somit verstanden hat, dass man als unmittelbar auf den Impuls des anderen Reagierender, als der „der schon da ist“, immer im Vorteil ist. Denn gegen ihn ist Widerstand schlicht nicht möglich.
Vergesst es mir nicht: Wer „mit“ der Kraft des anderen arbeitet, dem kann der andere keinen Widerstand entgegensetzen! Meine Lehre beruht darauf! Nichts weniger als das versuche ich Euch zu vermitteln!
So widersprüchlich der Titel meines heutigen Editorials WT-technisch ist, so aufschlussreich und zum Selbstverständnis geeignet ist er im psychologischen Sinn:
Meister Schulze unterrichtet seinen Lieblingsschüler in Chi-Sao. Er prüft dessen Abwehr und freut sich insgeheim, dass er ihm noch lange nicht gewachsen ist. Schulze ist bestgelaunt und fühlt sich sicher in seiner Überlegenheit. Er greift schnell und spielerisch an, sein Schüler wehrt mit Bong-Sao ab. Aber er benutzt den Bong-Sao, der ihn entlasten soll, falsch: nämlich als harten Block nach oben.
Wie kann der so blöde sein, denkt Schulze, Bong Sao soll nachgeben, den Angriff abrutschen lassen, nicht heben. Wer den Bong-Sao hebt, kann leicht besiegt werden ...
Aber Schulze ertappt sich dabei, dass er zu spät reagiert, seinerseits mit roher Kraft dagegenhält und runterdrückt, um den Schüler daran zu hindern: „Du Idiot, sei nicht so verdammt steif!“
Warum macht die Härte des Schülers den Lehrer wütend? Weil sie ihn daran hindert, ihn zu treffen. Er ärgert sich, dass er zu langsam und falsch reagierte. Er ärgert sich über sich
selbst. Der Lehrer weiß es besser, als er es kann, er empfindet sich als Stümper und glaubt, dass sein Fehler für alle sichtbar ist, er schämt sich und verwandelt diese Scham in Aktivität, in befreiende Aggressivität gegen den, der ihm das Gefühl der Scham bereitet hat, gegen den armen unschuldigen Schüler. Lieber schuldig werden, als sich schämen zu müssen.
Ungerecht, aber menschlich und psychologisch nachvollziehbar. Wer von uns Lehrern kennt diese Situation nicht? Aber habt Ihr schon einmal vorher darüber nachgedacht?
Wer hat, nachdem die Chemie sich in ihm ausgetobt hatte, erkannt, dass er selbst denselben Fehler wie sein Schüler machte, indem er Härte mit Härte beantwortete, statt die gebotene Gelegenheit zu ergreifen und die Härte auszunutzen? Hatten wir den Mut und die Größe, es uns hinterher zuzugeben? Haben wir unseren Schüler eine halbe Stunde hinterher umarmt, von Mensch zu Mensch?
Oder ihm entschuldigend auf die Schulter geklopft oder ihm wenigstens zugezwinkert? Er wird uns verstehen.
Lasst es mich noch einmal wiederholen: Wenn der Lehrer ob der Härte des Schülers wütend wird, dann ist er im innersten, oft ohne es sich zuzugeben, nicht wütend wegen des Fehlers des Schülers, sondern wegen seiner eigenen Unfähigkeit, die Härte des Schülers auszunutzen, statt ihr mit eigener Härte schreckhaft zu begegnen. Tatsächlich ist er wütend auf sich selber, weil ihm seine Unfähigkeit bewusst wird, das regierende WT-Prinzip des Anpassens und Nachgebens anzuwenden, wenn der Schüler wild „rumzappelt“.
Obwohl (oder weil?) er so viele Chi-Sao-Sektionen auswendig gelernt hat, kam er sich wie ein WingTsun-Anfänger vor. Paradoxerweise kommt manchem Lehrer die Härte des Schülers immer dann gelegen, wenn er ihn damit besiegen kann, und er ärgert sich über die Härte nur dann, wenn er die Chance verpasst hat, sie zu seinem Vorteil auszunutzen.
Wenn diese Wahrheit verbreiteter wäre, dann könnten Lehrer u. Schüler künftig nicht nur „von“ sondern „miteinander“ lernen. „In hac schola omnes condiscipuli sumus“ liebte der Bischof von Hippo zu sagen: In dieser Schule sind wir alle miteinander Schüler. Der Lehrer ist nur besser ausgebildet, hat einen Wissensvorsprung und soll dem anderen als Ratgeber dienen. Beide arbeiten am gemeinsamen großen Ziel, mithilfe der taoistischen WT-Prinzipien mühelos zu siegen. Auswendig gelernte „tote“ Bewegungsfolgen helfen dabei ebenso wenig wie das Erhöhen der Kraft oder der Schnelligkeit.
Liebe Lehrer, lasst uns das nächste Mal, wenn wir uns dabei ertappen ärgerlich „Sei nicht so steif“ zu rufen, herzlich über uns lachen. Über sich selbst lachen schwächt das Ego, macht uns menschlicher und verbindet uns mit dem Schüler zu einer Einheit, die gemeinsam lernt.
Noch ein lateinischer Spruch: Discendo discimur: Durch Lehren lernen wir!