Sicherheit

Als Täter drei Jahre – als Opfer lebenslänglich (Teil 1 von 3)

Im ersten Teil geht es um die Einführung in ein Thema, das vielen nicht geläufig ist: Täterbehandlung und Opferschutz. Da in eine WT-Schule auch immer wieder Opfer von Gewalttaten kommen, ist es wichtig, die nötigsten rechtlichen Grundkenntnisse des Opferschutzes zu besitzen. Der folgende Artikel will einen kurzen Einstieg verschaffen.

Laut heute.de/ZDFheute geschieht in Deutschland alle fünf Sekunden eine Straftat.

2004 wurden 6,6 Millionen Straftaten verzeichnet; die meisten davon in Berlin, Hamburg und Bremen, die wenigsten in Bayern. Die statistisch „sicherste" Großstadt ist München. Während im Vergleich zu 1999 Mord und Totschlag-Delikte (Aufklärungsquote bei fast 100%) abgenommen haben, verzeichnete laut Bundesinnenministerium die gefährliche Körperverletzung einen deutlichen Zuwachs. Von 2003 zu 2005 habe es eine Steigerung um 5,4 Prozent gegeben. Auch sexuelle Nötigung und Vergewaltigung nahmen zu.

Gängige Praxis ist es, dass die Täter gegenüber den Opfern vergleichsweise milde Strafen erfahren. Bei schweren Körperverletzungen kommen Täter oftmals für nur wenige Jahre hinter Gittern und werden vielleicht wegen „guter Führung" vorzeitig (bereits nach 50% der Haftstrafe möglich) entlassen. Schwere Körperverletzung wird häufig mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet (das hängt vom Richter ab). Die Opfer hingegen erhalten aufgrund traumatischer Erfahrungen und bleibender seelischer sowie körperlicher Schäden „lebenslänglich".

Die „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionssystems" kommt mit ihrem Abschlussbericht von 2000 zum Ergebnis, dass sich die Sanktionen im Bereich der „kleineren und mittleren Kriminalität" als „sehr begrenzt" darstellen. So können z.B. Geldstrafen für Körperverletzungsdelikte unerwünschte Folgen haben. Täter können in finanzielle Engpässe geraten. Ein Täter-Opfer-Ausgleich geht damit zu Lasten des Opfers. Außerdem erschweren finanzielle Probleme ihre Reintegration, so die Kommission. Deshalb bestehen seit mehreren Jahren Diskussionen um die Reform des Sanktionssystems (siehe Elektronische Fußfessel, Fahrverbot für Straftäter, etc.).

Bei vielen Gewalttaten ist Alkohol im Spiel. Vor Gericht hat sich das für den Täter meistens strafmildernd ausgewirkt. Damit wird Enthemmung und Einschränkung der Selbstkontrolle belohnt anstatt bestraft. Erst kürzlich hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in einem Fall entschieden, dass eine Milderung nicht in Frage kommt, wenn vor dem Alkoholgenuss bereits eine Absicht zur Gewalttätigkeit vorliegt. Für potenzielle Täter heißt das: Wenn sie sich erst entscheiden, jemanden zu verprügeln und sich dann betrinken, kann eine Strafmilderung ausbleiben. Wenn sie sich hingegen erst zukippen und dann gewalttätig werden, bekommen sie eher eine Verschonung. Ähnliches gilt für psychische Unzurechnungsfähigkeit.

Besonders prekär war es bislang, wenn ein Jugendlicher einen anderen Menschen halbtot schlug. Der Täter konnte bis 2004 nicht auf Schadensersatz verklagt werden („Adhäsionsverfahren"), weil das nicht dem Erziehungsgedanken unserer Rechtsprechung entsprach. Diese Regelung ist zwar seit dem Opferrechtsreformgesetz (ORRG) vom 01.09.04 zugunsten der Opfer überarbeitet worden. Ob und wie sie Anwendung findet, wird sich in Zukunft zeigen.

Summa summarum hat der Täter beste Chancen, vor Gericht wegen schwerer Körperverletzung, Misshandlung oder Vergewaltigung glimpflich davonzukommen, wenn er als Jugendlicher verurteilt wird, dem starker Alkoholgenuss vorgeworfen wird und dessen Tatentschluss erst während dessen Rauschzustand nachgewiesen wurde. Schadensersatzforderungen des Opfers an den Täter sind realistischerweise oftmals schwerlich umzusetzen; es sei denn, der Täter ist vermögend. Einen Trost verspricht das Opferentschädigungsgesetz. Laut Weißem Ring hat derjenige Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), „der in Deutschland infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat."

Das OEG von 1976 gewährt Personen, die im Geltungsbereich des Gesetzes als unmittelbare Folge eines vorsätzlich, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen sich oder andere eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, auf Antrag Versorgung.

„Vorrangiges Ziel ist die Wiederherstellung der Gesundheit und die Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft (Heilbehandlung/Rehabilitation). Bei nicht nur vorübergehenden schwerwiegenden Gesundheitsstörungen kann auch die Gewährung einer Rente in Betracht kommen. Die Heilbehandlungs- bzw. Rehabilitationsleistungen werden generell ohne Zuzahlungen oder Eigenbeteiligungen gewährt. Ein Schmerzensgeld wird nicht gezahlt. Sach- und Vermögensschäden werden dem Geschädigten grundsätzlich nicht ersetzt. Ausnahmen gelten für die am Körper getragenen Hilfsmittel, Brillen, Kontaktlinsen oder den Zahnersatz." (versorgungsverwaltung.nrw.de)
Ferner werden folgende Leistungen durch das OEG abgedeckt: Beschädigtenrente, Pflegezulage, Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen und Krankenbehandlung, Bestattungsgeld und Sterbegeld, Hinterbliebenenrente, Orthopädische Versorgung, Badekuren.

Scheinbar ist dieses Gesetz den Wenigsten (auch Behörden und Rechtsanwälten) bekannt. Laut den Landesversorgungsverwaltungen haben im Jahr 2003 von den rund 204.000 Betroffenen nur etwa 10 Prozent einen entsprechenden Antrag gestellt, so der Weiße Ring. Die Anerkennungsquote liegt nach sorgfältiger Prüfung durch die Versorgungsämter konstant bei etwa 50%.

Fazit

Es ist jedem Opfer von Gewaltverbrechen anzuraten, sich Informationen bei einem der Opferschutzverbände zu beschaffen. Die bürokratischen Hürden für einen Ausgleich sind leider sehr hoch. Es bestehen Möglichkeiten, finanziellen Ausgleich zu erhalten.
In der nächsten Ausgabe der WT-Welt online geht es mit dem Thema weiter.

Der Autor ist kein Jurist. Alle o.g. Angaben erfolgen ohne juristische Gewähr.

Text: Oliver C. Pfannenstiel