Editorial

Herausragendes Können erreichen – wie mache ich das?

Das Grundrezept für herausragende Leistung ist Leidenschaft und Liebe für die Sache. Mit diesen Zutaten ist es einfach, sich zu motivieren und sich ständig verbessern zu wollen. Ganz unabhängig davon, wie weit man es bisher geschafft hat.

Wenn ich 10.000 Stunden trainiert habe, bin ich Profi. Ist das so?

Aus meiner Sicht ist der Zeiteinsatz nur ein Mittel, das zum Erfolg führen kann.  Zusätzlich sind andere Faktoren entscheidend. Einer der wichtigsten Faktoren ist die Einstellung zur Sache. Beobachte genau, wie du trainierst und finde heraus, wie du noch effizienter werden kannst. Erfolg beginnt im Kopf.

Trainiere also sehr bewusst und arbeite konsequent an dir. Wiederhole Gelerntes unablässig, jedoch ohne automatisch zu werden – es soll keine Routine daraus entstehen. Sei immer achtsam und geistig präsent bei dem, was du tust. (siehe auch mein Artikel in der WT-Welt 41).

Wohin willst du genau?

Sei dir im Klaren, warum du ein Ziel erreichen willst. Willst du WingTsun herausragend können? Willst du ein guter Ausbilder, Lehrer oder gar Meister  werden? Oder ist es dein Ziel, ein sehr guter Kämpfer zu sein? Vielleicht auch ein richtiger Kampfkünstler? Die Ziele scheinen auf den ersten Blick ähnlich zu sein und doch ist ihre Ausrichtung unterschiedlich und bedingen jeweils eine andere Art des Übens.

Mein persönliches Ziel war und ist es, WingTsun möglichst herausragend zu können. Es macht mir auch unglaublich viel Freude, WingTsun zu unterrichten und es anderen Menschen zugänglich zu machen. Glücklicherweise entdeckte ich, dass Unterrichten die eigenen Fähigkeiten um ein Vielfaches verbessert.
 

Wenig mit voller Aufmerksamkeit ist mehr, als viel ohne Fokus

Arbeite an deiner Einstellung. Trainiere mit vollem Einsatz, das heißt, sei immer komplett fokussiert auf das, was du tust und wie du es tust. Spule nicht einfach Bewegungen ab.

Es ist besser, kurz und sehr konzentriert zu üben. Nimm dir lieber immer wieder mal einige Minuten Zeit, als in großen Abständen viel auf einmal. So sparst du Zeit und wirst stetig besser. Dadurch steigert sich deine Motivation – und die brauchst du nämlich, wenn du große Ziele hast.

Wenn ich Lehrgänge gebe oder Lektionen leite, bemerke ich oft, dass Schüler unkonzentriert üben und nicht bei der Sache sind. Und wiederum sehe ich andere, die voll fokussiert bei der Sache sind und ihre Zeit nutzen. Für den ersten ist der zweite ein Streber und für diesen wiederum der andere ein Spielverderber.

Wenn man den Effekt der beiden Übenden vergleicht, muss man leider sagen, dass der Unkonzentrierte schlicht seine Zeit vergeudet, weil er mit seiner Art zu Üben nur wenig lernen wird. Leider vergeudet er oft auch die Zeit seiner Trainingspartner.

Meine Erfahrung zeigt, wenn der Schüler nicht versteht, was er tun muss, oder wenn er zu lange üben muss, verliert er die Konzentration und somit einen Großteil des Nutzens.

Wenn du also merkst, dass die Konzentration nachlässt, frage dich, was du nicht verstanden hast? Der Lehrer hilft dir gerne. Oder brauchst du eine Pause? Dann mache lieber eine, statt unkonzentriert weiterzumachen und dich und deinen Partner um den Lerneffekt zu bringen.

Trainiere nicht härter, sondern schlauer

Mal funktioniert es nicht so, wie wir wollen. Vielleicht war die bisherige Übungszeit noch nicht lange genug, der Körper und das Nervensystem brauchen eine Weile, um Bewegungen zu verinnerlichen. Wenn es nach einer längeren Zeit immer noch nicht so geht, wie du dir vorstellst, gib nicht auf! Gedanken – oder gar ausgesprochenes „Das kann ich nie“ sind in keiner Weise hilfreich. Denke daran, Erfolg beginnt im Kopf.

Vielleicht liegt es daran, dass du auf eine andere Weise für dich üben solltest. Jeder ist anders gebaut und lernt anders, versteht anders. Suche also nach einer neuen Möglichkeit oder bitte deinen Lehrer, dir eine andere Art zu zeigen, anders zu erklären oder dich die Bewegung spüren zu lassen.

Vielleicht ist auch der Zeitpunkt nicht der Richtige. Wenn du früh am Morgen übst, weil du gehört hast, dass dein Lehrer dies immer so tut, kann es sein, dass er ein Morgenmensch ist – du aber nicht. Finde für dich die eigene richtige Zeit, die dir liegt. So machst du die besten Erfolge. Und das wird dir Freude bereiten.

Wie bei der Arbeit gilt auch im Training: setze dir kleine Etappenziele, die du gut erreichen kannst. Ich nehme mir beispielsweise vor, bei der ChamKiu darauf zu achten, dass ich mein Gleichgewicht halten kann. Oder beim ChiSao achte ich auf den Kontaktpunkt. Oder ich beobachte, wie mache ich einen Fauststoß mit Vorwärtsschritt mit Körpereinheit?
 

Habe nie Angst, etwas falsch zu machen, gehe an deine Grenzen

Und da du besonders gut werden willst – trainiere nicht einfach drauf los. Konzentriere dich auf das, was du machen willst. Wenn du merkst, etwas geht nicht so gut, frage deinen Ausbilder. Meistens kann er dir Tipps geben, wie du anders zu Ziel kommst. Glaube nicht, dass du dir mit Fragen eine Blöße gibst. Wenn du alles schon könntest, müsstest du ja nicht zum Unterricht kommen. Für mich persönlich ist es toll, wenn ich merke, dass der Schüler eine Schwäche erkennt. Es zeigt mir, dass der Schüler bewusst ist, in dem, was er tut, und jetzt in eine neue Phase kommt. Nur so kann er sich verbessern.

Für mich als Lehrer ist jede Frage ein Segen. Ich werde erst dann in einem Bereich wirklich gut, wenn ich es anderen erklären kann. Mit jeder Frage kann ich mich tiefer in die Sache versenken und sie noch besser verstehen. Für mich als Ausbilder ist es das tägliches Brot. Ich bin froh, dass ich sehr früh die Möglichkeit hatte zu Unterrichten. So habe ich schnell für mich verstanden: „Unterrichte und du selbst wirst besser. Erst dann, wenn du anderen etwas zeigst, lehrst, erklärst gehst du in diesem Thema richtig auf.“

Habe Mut und werde Ausbilder, es wird eine große Bereicherung für dich sein. Und ein Schritt zur Meisterschaft.

Sechs Punkte für ein erfolgreiches Training

  1. Lege dir ein Ziel fest: Welches Ziel möchtest du erreichen an diesem Tag/Woche/Monat.
  2. Finde die Schwierigkeit: Was gelingt dir noch nicht? Was möchtest du verbessern? Sei möglichst genau.
  3. Wie kannst du es verbessern: kannst du es anders trainieren? Solltest du mehr trainieren? Oder öfter Pause machen? Trainingspartner wechseln?
  4. Teste deine Lösungen: kannst du im Unterricht eine Verbesserung feststellen?
  5. Setze deine besten Lösungen ein
  6. Miss deine Entwicklung: Was hat sich verbessert? Vielleicht führst du sogar ein Trainings-Tagebuch.
     

Trainiere bewusst, so wirst du dich gut weiterentwickeln

Es wird sicher sehr lange dauern, bis man die Meisterschaft oder etwas Herausragendes erreicht hat. Doch kommt es nicht darauf an, wie viele Stunden wir investieren, es kommt auf die Menge an Achtsamkeit an, mit der wir trainieren können.

Du hast mehr erreicht, wenn du 10 Minuten voll bewusst an etwas arbeitest, als wenn du 10 Stunden unkonzentriert Abläufe wiederholst.
Darum trainiere voll bewusst und in Achtsamkeit, unsere Zeit ist zu kostbar.
Spüre die Energie in dir, wenn du auf diese Weise arbeitest. So wird dir nicht die Länge des Weges, sondern die Kraft des Momentes bewusst.

Euer Giuseppe Schembri