Zwei Großmeister „down under“
GGM Leung Ting, das Oberhaupt der internationalen WingTsun-Familie, kam genau 24 Stunden später mit dem gleichen Flug von Hongkong in Sydney, dem Sitz der AUEWTO, an. Da Tony P., ein Pauschalschüler von Sifu Stefan Fischer, am Flughafen arbeitet, konnte er GGM Leung Ting die zeitaufwendige Quarantäneabfertigung, bei dem das Gepäck geröntgt wird, ersparen. Die „Aussies“ haben nämlich sehr strikte Gesetze, was das Mitbringen von Lebensmitteln betrifft.
Leider musste GM Kernspecht wegen eines Ohrenproblems (Barotrauma) seine geplante Teilnahme an dem Lehrgang absagen, bat aber seinen Si-Fu GGM Leung Ting, die Reise unbedingt – auch ohne ihn – anzutreten.
1. Lehrgangstag
Am Freitag war es dann endlich soweit. Die sichtlich aufgeregten australischen WT-Schüler konnten ihren Si-Jo zum aller ersten Mal hautnah im AUEWTO-Headquarter in Randwick, ein historischer Stadtteil Sydneys, erleben!
Nach der traditionellen Begrüßung ging es dann auch gleich los. Da keine Technikergrade anwesend waren, wurden alle kurzerhand zu einer Gruppe zusammengefasst. Si-Jo erzählte von seinem Untericht bei seinem Lehrer, GGM Yip Man, und wie dieser ihn über die wirkliche Zentrallinie aufklärte. Dieses wichtige WT-Basiswissen gab Si-Jo sehr ausführlich und anschaulich an seine ihm gespannt zuhörenden „WT-Ur-Enkel“ weiter. Nach diesem sehr interessanten Exkurs waren dann Fragen zu einem anderen Thema erlaubt, was dann zum berühmten „One-inch Punch“ führte, den Bruce Lee, der ja auch ein paar Jahre Schüler des verstorbenen GGM Yip Man war, so gerne in seinen Filmen zeigte.
GGM Leung Ting erklärte daraufhin die verschiedenen Kraftquellen, die man bei einem Fauststoß nutzt und ließ es sich nicht nehmen, ein paar Teilnehmer spüren zu lassen, wieviel Energie sich doch durch eine simple Handgelenkbewegung und dem richtigen Ellenbogeneinsatz übertragen lässt. Natürlich hat er nicht voll durchgestoßen, sonst wäre für den ein oder anderen der Lehrgang mit Sicherheit beendet gewesen. Zum Spaß imitierte er denn auch des öfteren mal die Mimik, den berühmten Schrei und die typischen Kampfbewegungen aus den Filmen mit Bruce Lee, um den Unterschied zwischen Filmeffekten und wirklich logischer Anwendung zu verdeutlichen. Überhaupt war Si-Jo den ganzen Lehrgangsverlauf in einer sehr guten Stimmung.
Nach dem Lehrgang ging es abends in ein thailändisches Restaurant, in dem Si-Jo und Sifu Stefan mit seinen Full-Time-Students (Pauschalschüler) ihren großen Appetit stillen konnten. Noch nicht müde ging es dann gemeinsam zum Darling Harbour, dem wunderschönen Hafen in Sydneys Zentrum mit seinen vielen luftoffenen Restaurants, Pubs und Clubs. Die gemeinsame City-Nachtrundfahrt mit der Monorail, eine Art Schwebebahn, die ca. 5-10 Meter über die Strassen Sydneys gleitet, beendete den ersten gemeinsamen Tag.
2. Lehrgangstag
Samstag fand der Unterricht dann im Freien statt, da sich die Sonne von ihrer besten Seite gezeigt hat. Leider unterschätzt man diese hier leicht und so gabs dann doch für ein paar Leute einen kleinen Sonnebrand.
Angefangen wurde ganz traditionell mit der ersten Form, der Siu-Nim-Tau, die dann auch zum Hauptthema des Lehrgangs wurde. Unglaublich wie viele kleine Details und Anwendungen doch diese Form beinhaltet, die man schon so unendlich viele Male bei jedem Unterricht gemacht hat. Immer wieder unterbrach GGM Leung die Übenden, um auftretende Fragen sehr ausführlich und fundiert zu beantworten. Speziell dem richtigen Durchstrecken der Gelenke und der Federkraft schenkte der Großmeister besondere Aufmerksamkeit.
Schließlich zeigte er noch, wie der Bong-Sao richtig ausgeführt und angewendet wird. Nicht wenige konnten nach fleißigem Üben mit ihrem Bong-Sao in der Wendung gegen einen Fauststoß sogar auf einem Bein Stand halten.
An diesem Abend ging es gemeinsam in ein libanesisches Restaurant, wo dann zur späteren Stunde feierlich GMM Leung Ting ein besonders spezieller Boomerang, und GM Bill Newman eine Schlag- und Stichwaffe von Sifu Stefan Fischer, dem Leiter und Gründer der Australischen WingTsun Organisation im Namen all seiner Ausbilder und Vollzeitschüler/innen überreicht wurden. Diese beiden original handgefertigten Aborigini-Kunstwerke gehören wohl mit zu den ältesten Waffen der Welt überhaupt.
3. Lehrgangstag
Der letzte Lehrgangtag mit Si-Jo am Sonntag war dann das absolute Highlight. GGM Leung Ting zeigte, wie man einen hohen Tritt zum Kopf mit Leichtigkeit abwehren kann, indem man ganz einfach nur selbstsicher genug mit der richtigen Schrittarbeit, die aus der Doppelmesser-Form stammt, in Kombination mit einem Pak/Kwat-Sao & Lao/Fak-Sao in den Gegner hineingeht. Unter anderem zeigte er auch, wie man einen Schulterstoß mit Schrittarbeit richtig ausführt, um z.B. einen Hebelarm-Angriff zu kontern.
Auch der tollste Lehrgang hat leider mal ein Ende und GGM Leung Ting bedankte sich unter großem Beifall für die Begeisterung und den Trainingsfleiß, mit dem seine australischen Schüler seinem Unterricht folgten.
WT-Kleingruppe
Der Unterricht am Montag war nur für AUEWTO-Ausbilder. GGM Leung Ting nutzte die erste Hälfte des Unterrichts hauptsächlich für die äußerst interessante WT-Theorie und nahm sich genügend Zeit, um Fragen zu beantworten. In der zweiten Einheit war dann die SNT das Thema und wie man dabei richtig mit dem Bauch atmet. Er verdeutlichte das, in dem er immer wieder einen kraftvoll lauten Ton „aus dem Bauch“ heraus sang. Er war erst zufrieden, als es wirklich jeder geschafft hatte, diesen „Gesang“ nachzumachen. Diese ungewöhnliche Übung sollte sich dann sogar für den anstehenden Karaoke-Abend als ziemlich nützlich erweisen ...
Vor allem der 3.Satz nahm sehr viel Zeit in Anspruch, da die Bewegungen extrem langsam und intensiv zusammen mit der richtigen Atmung ausgeführt werden mussten. Si-Jo lief ständig durch die Reihen, um alle zu korrigieren, wobei dann wirklich jedem die Beine zitterten. Als alle mit der Form fertig waren, wurde geübt, wie man sich mit dem Doppel Fak-Sao komplett von seiner eigenen Kraft befreit. Anschließend zeigte GGM Leung Ting, wie man den 5. Satz in die 1. Chi-Sao Sektion einbaut, falls der Partner mit zuviel Druck arbeitet.
Zum Abschluss haben dann Peter Caro, der die WingTsun-Organisation in Chile im Namen von Sifu Stefan Fischer leitet, und Otto Heutling die Urkunde zum 1. Lehrergrad WT von ihrem Si-Jo erhalten.
Escrima
Mit großer Spannung wurde auch der Unterricht mit GM Bill Newman, der am Samstag und Sonntag Nachmittag stattfand, erwartet, da in Australien Escrima bisher nicht angeboten wird. Master Bill verschaffte sehr anschaulich schnell Klarheit darüber, dass es sich in dem von ihm unterrichteten System auf keinen Fall um Stockkampf handelt, sondern um realistischen Waffenkampf, dessen Konzept sich auf jeden Gegenstand übertragen, ja sogar waffenlos mit bloßer Hand anwenden lässt. Immer wieder konnten die staunenden WT-ler seinen meisterhaften Umgang mit den verschiedenen Waffen, sei es Rattanstock, Palmstick, Machete, Samuraischwert oder Messer bewundern.
Am nächsten Tag hatte dann Tony Petkovski ein riesiges „Conan“-Schwert mitgebracht, da Master Bill unbedingt das Warm Up damit zeigen wollte, um auch den letzten Zweifel zu begraben, dass es hier um ein universell anwendbares Konzept geht. Und natürlich hatte er auch sein Geschenk, die Aborigini-Waffe, dabei, mit der er in gleicher Präzision seine Escrima-Künste demonstrierte.
In seiner typischen witzigen-lockeren Art ging er auf alle Fragen ein und brachte den Teilnehmern die wichtigsten Escrima-Basics bei, die er in der knappen Zeit unterbringen konnte. Nach diesen zwei außergewöhnlichen Einheiten hatten dann auch alle „Blut geleckt“ und man ist gespannt, wie es wohl mit dem Escrima in der AUEWTO weitergehen wird.
Am Freitag, dem letzten Tourtag, gab es Nachmittags eine kostenlose Escrima-Kleingruppe, die nur für AUEWTO-Ausbilder stattfand.
Zur großen Freude und Motivation aller graduierte GM Bill Newman alle Teilnehmer zum 1.SG !
Die Tour:
Ab Dienstag stand dann die Ausflugstour auf dem Plan, die am ersten Tag in die Blue Mountains führte. Diese riesige Gebirgskette wird vom blauen Dunst der ätherischen Öle zahlloser Eukalyptusbaume eingehüllt. An manchen Stellen waren die Spuren der vergangenen Buschfeuer vor einem Jahr noch sehr gut zu erkennen.
Wer schon immer mal frei lebende Delphine im offenen Meer live erleben wollte, konnte dies am nächsten Tag in der Jervis Bay tun. Keiner hatte damit gerechnet, gleich ungefähr zwei Dutzend der intelligenten Meeressäuger auf einmal zu erleben. Unglaublich wie nah man mit dem Boot an sie herankam. Anschließend ging es dann noch in einen nahegelegenen Nationalpark, wo sich die hungrigen Bäuche schon auf das leckerste Barbecue freuen konnten. Der verantwortliche „Chefkoch“ Stephan Mai hatte es allen insbesondere mit seinen eingelegten Lachsfilets angetan, die Master Bill tagelang schwärmen ließen. Die vielen wunderschönen bunten Papageien, die immer um uns herum waren, rundeten diesen idyllischen Nachmittag perfekt ab.
Donnerstag wurde eine Hafenrundfahrt gemacht und das Wahrzeichen Sydneys, das berühmte Opernhaus mit der gigantischen Stahlbrücke im Hintergrund, besichtigt.
Das absolute Highlight am Abend: Nach einer leckeren afrikanischen Mahlzeit, bei der GGM Leung Ting in bester Laune alle mit lustigen „Zaubertricks“ in Stimmung brachte, ging es anschließend in die City in einen Karaokeclub. Si-Jo, der ja bekanntlich nicht erst seit dem Jubiläumslehrgang in Hockenheim leidenschaftlich gerne singt, hat zum Warm Up ein paar chinesische Klassiker zum besten gegeben. Anfangs noch etwas schüchtern hat dann doch der erste sich überwunden und ein Lied zum Besten gegeben. Dann kam Master Bill an die Reihe und so nach und nach sind auch alle anderen aufgetaut. Und mal ganz ehrlich, wer wollte nicht schon immer mal zusammen mit seinem Si-Fu und seinem Si-Jo den Song „KungFu-Fighting“ zum Besten geben. Bis spät in die Nacht hinein fanden alle möglichen Evergreens, unter anderem „Love Me Tender“, „Hotel California“, „Funky Town“ oder „La Bamba“ in ausgelassener Stimmung ihren Weg in das Mikrofon.
Zum krönenden Abschluss wurde dann gemeinsam „Yellow Submarine“ von den Beatles gesungen. Diese Nacht wird allen mit Sicherheit ewig in Erinnerung bleiben!
Am darauf folgenden Morgen fand der Ausflug in den Featherdale Wildlifepark statt, wo man sich in Ruhe Kangaroos, Emus, Koalas, Krokodile und die vielseitige Vogelwelt Australiens ansehen konnte. Nicht zu vergessen die vielen Schlangen und Spinnen, die zu den giftigsten der Welt gehören.
Der letzte gemeinsame Abend führte dann auf die Nordseite über die Hafenbrücke, wo bei einem Picknick unter anderem Emu- und Kangaroofleisch probiert werden konnte.
Zwischenzeitlich wurde von Frank Fernandez eine sehr leckere Paella, das spanische Nationalgericht, in einer riesigen Pfanne auf einem Grill zubereitet. Auch kulinarisch ließ diese aufregenden Woche wirklich keine Wünsche offen.
Bleibt nur zu hoffen, dass es genauso zu einem regelmäßigen Großmeister-Event „Downunder“ kommt, wie es z.b. in Deutschland mit dem traditionellen Schloss-Osterlehrgang der Fall ist.