Die verbale Auseinandersetzung vor dem Zweikampf
Um den Stellenwert der Sprache vor der körperlichen Auseinandersetzung zu bestimmen, sollten wir zunächst die typische Kneipen- oder Diskothekenschlägerei genauer unter die Lupe nehmen. Wenn wir eine solche Situation genauer betrachten, so springen einem folgende Faktoren - die in wahrscheinlich 90% aller Kneipenschlägereien identisch sind - besonders ins Auge.
Als erstes brauchen wir da einen gewaltbereiten bzw. gewaltsuchenden Menschen, den wir der Übersicht wegen einmal Mister P (wie Prolo) nennen wollen. Diesen Typ Mensch findet man besonders häufig in Fußballstadien, überfüllten Diskotheken oder einschlägig bekannten Kneipen vor.
Gefährlich sind diese Typen allemal wegen ihrer niedrigen Hemmschwelle, was teilweise auch am jeweiligen Alkoholkonsum oder an alltäglichen Missgeschicken wie z.B. dem Verlust der Lebensgefährtin liegen mag. Wie dem auch sei, ein solcher Mensch hat mit Recht den Ausdruck Tretmine verdient. Sie sind für Laien schwer zu erkennen, und tritt man auf eine, hat man den größten Ärger.
Die zweite Voraussetzung, die wir benötigen, um eine Eskalation zu erreichen, ist sehr schnell herbeigeschafft. Da genügt ein kurzer Blick in die falsche Richtung, ein versehentlicher Rempler auf der Tanzfläche oder man hat einfach die falsche Hose angezogen. Große Mühe kostet eine notwendige Provokation jedenfalls in aller Regel nicht. Leute, die aufgrund ihrer Vorliebe für ausgefallene oder besonders bunte Kleidung eher eine Außenseiterrolle bekleiden, haben es hier sicherlich noch etwas einfacher. Deshalb sollte man z.B. die Haare nicht zu kurz tragen, zu lang auch nicht, nicht zu laut lachen, (am besten gar nicht) und nicht zu leise sprechen, so wie keine zu dunkle oder zu helle Hautfarbe haben etc. Eine solche Liste kann wohl jeder beliebig fortführen, der entweder die Geschichte der Menschheit ein wenig verfolgt hat oder auch mal ein Bier trinken geht.
Meistens entsteht jetzt ein weniger informatives als eher erniedrigendes Bombardement von Schimpfwörtern seitens Mister P. Eine Auflistung von Beispielen erspare ich dem Leser an dieser Stelle lieber.
Wann unsere Tretmine nun explodiert, hängt von ein paar Variablen ab, die ich im Folgenden aufgeführt habe:
- der Größenunterschied zwischen den Kontrahenten
- der Gesichtsausdruck des Opfers
- die Begleitung von Mister P (anfeuernde und geifernde Schützenbrüder
oder besänftigende Freundin)
- der Alkohol-/Drogenkonsum unserer potentiellen Gefahr
- die rhetorischen Fähigkeiten und Erfahrung des Opfers hinsichtlich solcher Situationen.
Was nun folgt, ist der Übergang in Handgreiflichkeiten. Da gibt es schon mal eine Ohrfeige, einen Schubser oder eine (freundliche) Umarmung. Diese Phase dient Mister P dazu, den anderen zu studieren, und sich selber Mut zu machen.
Reagiert das Opfer hier immer noch nicht, hat es entweder ein enormes Potential an Selbstvertrauen oder ist schlicht und ergreifend leichtsinnig. (Vorausgesetzt unser Opfer könnte sich entsprechend zur Wehr setzen)
In der weiteren Ausführung meiner Arbeit werde ich mich mit dem Wortgefecht vor der körperlichen Auseinandersetzung befassen.
Unterhält man sich mit fortgeschrittenen WT-lern, so hört man sehr oft die Aussage : „Ich hatte schon ewig keinen Ärger mehr!“. Und ich denke der Grund für die unbestrittene Tatsache, dass ein sehr selbstbewusster Mensch – sei es ein Kampfkünstler oder ein erfahrener Straßenkämpfer – in aller Regel weniger Ärger bekommt (vorausgesetzt er will auch keinen) liegt in dem verbalen Vorspiel, oder sogar noch weiter zurück. Nehmen wir als Beispiel nur mal den optischen ersten Eindruck. Wer würde schon freiwillig Leute wie Hulk Hogan oder Bud Spencer in ihren besten Jahren angreifen?
Als Leitsatz soll gelten:
Je überzeugender man seinem Gegenüber klarmachen kann, dass er/sie sich mit dem/der Falschen angelegt hat, desto schneller haben wir wieder Ruhe. Die Art und Weise, wie wir das anstellen, ist eigentlich völlig egal.
Dafür stehen uns folgende Mittel zu Verfugung: der Tonfall, die Wortwahl, der Ausdruck und die verbale Schlagkraft.
So kann z. B. der Ton, den ich meinen Wörtern mit auf dem Weg gebe, viel über meinen momentanen Gemütszustand aussagen. Sowohl für mich negativ wie auch positiv. Man stelle sich eine 1,54 m große Frau vor die mit zittriger und fast schon flüsternder Stimme sagt: „ Lass mich bloß in Ruhe, sonst setzt es was!“. Die allgemeine Belustigung wird wohl vorprogrammiert sein, wobei ich bemerken muss, dass in diesem Fall auch die Wortwahl nicht ganz zur beschriebenen Person passt. Ein Grund mehr, sich vorher über eine solche Situation Gedanken zu machen, und mit eventuellen Rollenspielen oder auch alleine vor dem Spiegel einmal zu proben. So kann der Ton mich aber nicht nur lächerlich erscheinen lassen, sondern auch Zeuge meiner Angst sein. Aber er kann mich auch entschlossen und selbstbewusst wirken lassen, was vielleicht Unsicherheit und somit ein kurzes Zögern für den vermeintlichen Angreifer zur Folge haben könnte. Und wer zögert – verliert.
Die Wortwahl kann wie ein Tagebuch alles über uns aussagen, was der Angreifer an Informationen benötigt, um uns richtig einzuschätzen. Kennt man sich also in der Gossensprache nicht besonders gut aus und benutzt Wörter wie Rüpel, Schuft oder Doofmann, so disqualifiziert man sich im Grunde selber. Man könnte wohl ebenso gut hingehen und seinem Kontrahenten verraten, dass man sich ja noch nie geprügelt hat und gar keine Ahnung hat, was wohl als nächstes auf einen zukommt. Zumindest ein guter Bluff wäre hier wohl angebracht. Ich empfehle an dieser Stelle Nachschlagewerke wie „Der Terminator“, „Rambo 1 bis 4“ oder einfach die Hooligans in der nächtlichen Straßenbahn nach einem Bundesligaspiel.
Nach Möglichkeit sollte man bei der Äußerung von sogenannten Kraftausdrücken ein passendes Gesicht aufsetzen, womit wir dann beim Ausdruck angelangt sind. Der Wert meiner Aussage kann dadurch erheblich unterstützt werden. Ein bestehender, finsterer Blick wirkt sicherer als ein nervöses Zwinkern im Auge, während man sich auf die Unterlippe beißt. Es gibt sogar Studien darüber, wie Menschen aufgrund ihrer Blickrichtung bei Antworten auf bestimmte Fragen einzustufen sind. Eine wohl inzwischen verbreitete Methode beim FBI, um Befragungen besser auswerten zu können. Also am besten Augen zu und durch.
Wenn wir Menschen kennen lemen ertappen wir uns oft dabei, dass wir sie in sogenannte Schubladen stecken, ohne auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt zu haben. Das ist ebenso verwerflich, wie arrogant. Dennoch glauben wir oft mehr über diesen Menschen zu wissen, als wir eigentlich wissen können. Schauen wir in ein faltiges Gesicht mit ausdruckslosen Augen und nach unten gezogenen Mundwinkeln, so sehen wir eine verbitterte, alte Frau, meckert wahrscheinlich ständig und ist uns schon jetzt unsympathisch. Jedoch ein scharf geschnittenes Gesicht mit Lachfalten und einer modernen Brille wirkt lebenserfahren und deutet auf einen humorvollen Menschen hin.
Dass ein Mensch sich im Laufe seines Lebens ändern kann – und oft auch tut – wird bei solchen Beobachtungen nicht berücksichtigt. Und so muss unser Kontrahent nur ein paar Narben aufweisen können, was entweder heißt, dass er ein erfahrener Straßenschläger oder ein schlecht ausgebildeter Metzger ist, und schon haben wir viel mehr Respekt vor ihm als vor einem runden Gesicht mit faltenfreier Haut und einer dicken Hornbrille. Ein großer Fehler, wie schon so mancher Gegner meiner Schüler herausfinden musste.
Dann bleibt noch die verbale Schlagkraft als wichtiger Faktor. Hier sollte man sich einfach mal Gedanken machen, wie man die vier WT-Prinzipien anwenden kann, um den Gegner möglichst schnell Mundtot zu machen. Da haben wir das Vorstoßen – wenn der Weg frei ist. Wir kontern einen gefallenen Kommentar schnellstmöglich, und bringen Mister P ein wenig in Bedrängnis. Danach kleben wir verbal an ihm und lassen ihm kaum noch Luft für neue Beleidigungen. Merken wir jedoch, dass auch diese Taktik nicht den gewünschten Erfolg hat, so wiegen wir den vermeintlichen Angreifer in Sicherheit, indem wir nachgeben und stoßen im richtigen Moment physisch vor. Ein Folgen im verbalen Sinne dürfte hier nur einen Sinn machen, wenn man den Angreifer vollends blamieren möchte. Wie zum Beispiel ein „Das üben wir aber noch mal, wenn der Gegner längst geschlagen am Boden liegt.
Es lässt sich jedoch schwer sagen, welche der oben genannten Faktoren die wichtigsten sind und in welcher Reihenfolge sie stehen sollten. Es ist ganz einfach so, dass alles zusammenpassen muss, wenn man Erfolg haben will. Mit Erfolg wiederum meine ich den Sieg über den Gegner, ohne physisch gekämpft zu haben. Als erklärendes Beispiel möge man sich ein Auto bestehend aus fünf grundlegenden Elementen und zwar Motor, Getriebe, Bremsen, Fahrwerk und Sicherheit (Überrollbügel, Airbag usw.) vor stellen. Nehmen wir jetzt einen VW- Käfer und bauen einfach einen 500 PS Porsche Motor ein, ohne eines der anderen Elemente anzupassen, so dürfte dies ein sehr waghalsiges wie auch zum Scheitern verurteiltes Vergnügen sein. Spätestens beim ersten Bremsversuch ohne hochwertige Scheibenbremsen aus hohen Geschwindigkeiten wird einem klar, warum der Porsche mehr kostet.
Sehr wichtig ist bei der verbalen Auseinandersetzung Flexibilität und Anpassung. Egal, ob man solche Situationen schon kennt und als Routine betrachtet oder ob man schauspielern muss, um sein Ziel zu erreichen.