Editorial

Timing – Teil 4: Im WingTsun drehen sich die Uhrzeiger anders

In diesem Monat erscheint zur Königsdisziplin „Timing“ der letzte Vorabdruck aus meinem nächsten Buch.

Für den Meister des Timings scheint die normale Zeit zu stocken, stehenzubleiben, um ihm eine Lücke aufzutun. Oder bewegt er sich gar in einer anderen Zeit?
Im normalen Leben kann man nur in der Gegenwart sein, Vergangenheit und Zukunft erleben wir nie.
Der normale Mensch kann sich nicht vorstellen, dass sich alle Uhrzeiger nach links drehen und die Zeit rückwärts läuft. Muss der „Zeitpfeil“ nicht grundsätzlich die Richtung der Entwicklung angeben? Wissenschaftler – wie der englische Physiker Stephen Hawking oder der deutsche Kosmologe Jürgen Ehlers vom Max-Planck-Institut für Gravitationstechnik in Potsdam – bringen den Zeitpfeil mit der Expansion des Weltalls in Verbindung. Lawrence S. Schuman von der Clarkson-Universität in New York ist der Auffassung, dass die Zeit rückwärts liefe, wenn das Universum irgendwann aufhörte zu expandieren und wieder in sich zusammenfiele. Würden die Scherben einer gerade zerbrochenen Tasse dann wieder zusammenwachsen, als ob nichts gewesen wäre?
Auch unser Gegner macht die Erfahrung, dass sein anvisiertes Ziel, das er schon fast vor seiner Faust fühlt, sich umso mehr entfernt, je weiter seine Faust vordringt: Der Raum scheint vor ihm zurückzuweichen, zu expandieren. Und im gleichen Augenblick, indem der Angreifer sein Ziel, z.B. unseren Solarplexus, knapp verfehlt, erfolgt unser Gegenangriff mit der abwehrenden Hand, wobei die weitere Entwicklung des Kampfgeschehens auf ihn zugeht, d.h. der Zeitpfeil sich umdreht und gegen den Angreifer wendet.
Aber im WT ist Gegenwart das „Während“, Vergangenheit ist das „Hinterher“, das „Hintertreffen“, in das man nicht gelangen möchte, und die Zukunft ist das „Vorher“.
Sind wir im Kleben (ChiSao), sind wir beide im „Während“. Wenn es mir gelingt, mich dem Angriff als Ziel zu entziehen, ohne den Angreifer bei seiner Aktion zu behindern, dann drehe ich sofort den Zeitpfeil (U-Turn-mäßig) um und richte ihn auf den Gegner, wobei ich ihn weiter in die alte, aber nunmehr entgegengesetzte Richtung, also ins „Hinterher“ laufen lasse, während mein Gegenangriff schon im „Vorher“ auf das neue Ziel vorschießt.

Mit diesem vierten Teil zum Thema „Timing“ beschließe ich meinen kleinen Ausblick auf das neue Buch.

Viele Grüße
Euer SiFu/SiGung