Prüfungen in der EWTO
Liebe Leser des Editorials!
Das Monatsende steht an und ich bin in Kiel kurz nach dem Ausbilderlehrgangs-Wochenende. Gleich muss ich wieder los zu SiFu, der in seiner Mini-iWT-Schule in der Dänischen Straße unterrichtet, aber erst einmal noch ein paar Zeilen an euch.
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Ein Thema, mit dem ich immer wieder konfrontiert werde, sind die Prüfungen. Es tauchen Fragen auf wie: Wann kann ich zur Prüfung antreten? Bin ich schon gut genug für die Prüfung? Warum darf ich noch keine Prüfung machen? oder einfach: Warum gibt es überhaupt Prüfungen?
Ich will einmal mit der letzten Frage anfangen:
Warum gibt es Prüfungen?
Im Schülerbereich gibt es Prüfungen aus zwei Gründen – erstens um dem Schüler das Programm strukturiert beizubringen (Schülerprogramme und abschließende Prüfung über Fertigkeiten und Fähigkeiten) und zweitens als Motivation für den Einzelnen. Motivation? Ich benötige keine Motivation! – Ja, das denkt sich manch einer, aber lernpsychologisch ist es klug, in festgelegten Lernabschnitten (Stufen, Schülergrade) das Programm systematisch, Schritt für Schritt zu erlernen, um dann am Ende sozusagen einen Überblick zu bekommen, eine Bestätigung dafür, dass der vorhergegangene Lernblock bewältigt wurde. Nun kann man sich getrost der nächsten Stufe widmen.
Gerade im WingTsun ist der Abstand vom Lehrer oder gar Meister zum Anfänger so groß, wenn es da keine strukturierten Programme gäbe, würden die meisten Schüler gleich wieder das Handtuch werfen, weil sie keinen merkbaren Fortschritt gegenüber ihrem Lehrer feststellen. Es ist nicht besonders motivierend, wenn der Lehrer sagt: „Mache das mal solange wie ich (bei mir z.B. wären das mehr als 35 Jahre), dann kannst du es auch …“
In der EWTO hat der Schüler ein sehr durchdachtes, wissenschaftlich ausgeklügeltes und an die Ziele – z.B. schnelle Selbstverteidigungsfähigkeit gleich am Anfang – und die jeweiligen Fähigkeiten des Schülers angepasstes Programm. Die einzelnen Lernziele sind übersichtlich und das Prinzip hat sich bewährt. Alle, die regelmäßig trainieren, erklimmen die Leiter der Programme und letztendlich kann es jeder mit dem nötigen Fleiß bis zum Meister bringen. Dies ist nicht dem Zufall oder dem Talent des Schülers überlassen, sondern hat Methode.
Im Lehrerbereich sind die Prüfungen strenger und zielen auf eine Qualitätskontrolle ab. Wie beim TÜV werden einzelne Fertigkeiten – z.B. Form, ChiSao-Partnerformen etc. – und Fähigkeiten (siehe „Die Großen 7“) in mehreren Teilen durchgecheckt und bei Bedarf verbessert, bis die Kandidatin bzw. der Kandidat die Bedingungen erfüllt.
Wann kann oder sollte ich zu einer Schülergradprüfung antreten?
Die Schülergradprogramme sind so aufgebaut, dass es bei einem regelmäßigen Besuch des Unterrichts zweimal in der Woche ca. drei Monate dauert, bis man die Inhalte durchgenommen hat.
Es gibt Schüler, die kommen fünf Mal pro Woche und nehmen zusätzlich noch Unterricht. Andere trainieren jede Woche vielleicht nur einmal. Wer mehr trainiert, kann natürlich in kürzeren Abständen Prüfungen absolvieren. Aber auch hier gilt: Qualität vor Quantität. Besser das Programm noch festigen und sich etwas Zeit lassen – das Körpergedächtnis braucht das!
Ich selbst kenne zwei extreme Gruppen von Schülern: Die einen wollen schon nach einer Woche zwei Prüfungen ablegen, die anderen wollen nach einem halben Jahr noch nicht antreten, weil sie glauben, sie sind noch nicht gut genug.
Wie kann ich wissen, ob ich schon reif für die Prüfung bin?
Ganz einfach: Den totalen Überblick hat der Ausbilder oder Lehrer des jeweiligen Schülers. Er hat den Vergleich und kann ganz genau abschätzen, wer schon bereit ist, und wer nicht. Deshalb ist es auch wichtig, dass innerhalb der WT-Schule eine Woche vor der Prüfung im Gruppenunterricht nochmals Programme wiederholt werden und der persönliche Lehrer dem Schüler mitteilt, ob er zur Prüfung gehen sollte oder nicht.
Wenn ich auf Lehrgängen bin und Schüler stellen sich der Prüfung, dann sind ca. 50 % der Prüfung für mich, dass der eigene Lehrer den Schüler zu dieser Prüfung geschickt hat, denn er sieht seinen Schüler jede Woche und kann gut einschätzen, wie seine Entwicklung voranschreitet.
Die restlichen 50 % ergeben sich durch meine Beobachtung des Schülers, dessen Vorzeigen von Inhalten, Kontakt mit dem Schüler in Partnerübungen etc. Zeigen sich dabei Fehler, ist auf einem Lehrgang meist Zeit, diese auszumerzen.
Manch ein Schüler erwartet, dass er auf dem Lehrgang nun alles, was er gelernt hat, vorzeigen darf. Ich sehe mir aber die verschiedenen Inhalte nur stichprobenartig an und mir genügt aufgrund der Erfahrung oft schon ein Blick oder ein kurzes Berühren, um festzustellen, auf welchem Level sich der Schüler bewegt.
Der Schüler glaubt dadurch manchmal, dass er gar nicht geprüft wurde. Die Prüfung findet ja auch deswegen auf einem Lehrgang statt, damit speziell Anfänger keinen Prüfungsstress haben und sie im Rahmen des Unterrichts bzw. der Wiederholung der Programme geprüft werden und es so gar nicht merken.
Prüfungen im Lehrerbereich
Wer Prüfungen im Bereich „Höhere Grade“ oder „Lehrergrade“ ablegen will, muss sich strengeren Maßstäben stellen. Im Meisterbereich wird es dann noch schwieriger.
Antreten zu solchen Prüfungen setzt voraus, dass man sich intensiv mit den jeweiligen Programmen beschäftigt hat. Die Prüfung geht weit über das Vorzeigen von auswendig gelernten Formen oder ChiSao-Partnerformen hinaus. Es werden Fähigkeiten verlangt und diese benötigen oft mehr Übung und Unterweisung als manche glauben.
Es gibt für jeden Lehrer- und Meistergrad Mindestvorbereitungszeiten, die eingehalten werden sollen. Also bitte nicht vor dem frühesten Prüfungstermin, der auf dem Prüfungszettel vorgemerkt ist, antreten!
Gerade im Bereich der Höheren Grade kommt es immer wieder zu einer Selbstüberschätzung, da die Kandidaten normalerweise schon eigene Schüler haben und meist mit diesen arbeiten und hier ein großes Ego aufgebaut haben; denn beim eigenen Schüler ist so manches machbar, was im Training mit gleich guten Höheren Graden oder in der Prüfung gar nicht mehr funktioniert. Deshalb ist es erforderlich, auch immer wieder mit verschiedenen Trainingspartnern auf dem eigenen Niveau zu üben, und natürlich ständige Weiterbildung!
Es gibt bei jedem Höheren Grad eine Anzahl von Teilprüfungen. Das soll aber nicht heißen, dass zwangsläufig bei jedem Antreten ein Teil unterschrieben wird. Wer gewisse Fertigkeiten und Fähigkeiten noch nicht besitzt, der muss nacharbeiten und noch einmal erscheinen.
Bei den Meistergraden gilt dies umso mehr. Die Prüfung ist auch eine Charakterschulung. Nach einem Grad zu fragen, den Großmeister zu fragen, ob die Prüfung schon abgeschlossen ist, oder in irgendeiner Form Druck zu machen, disqualifiziert den Kandidaten schon von vornherein. Er zeigt damit, dass er noch nicht reif für einen Meistergrad ist. Die Etikette bei meinem SiFu GM Prof. Keith R. Kernspecht gebietet es, ihm den Prüfungszettel vorzulegen – wenn die Mindestvorbereitungszeit erreicht ist und der/die Kandidat/in die Programme ausführlich geübt hat – und wenn GM Kernspecht nach dem Unterricht denkt, dass der Prüfling wieder einen Teil bestanden hat, unterschreibt er diesen. Leider sehe ich immer wieder, dass manche dann den Zettel nehmen und um die Unterschrift „betteln“, das führt zum Gesichtsverlust des Prüflings und er zeigt, dass er sein Defizit noch nicht erkannt hat.
Dies sollte einen kleinen Einblick in die Prüfungsetikette der EWTO geben und sie verständlicher machen. Bis zur nächsten Prüfung wünsche ich euch viel Spaß beim Lernen und Trainieren!
Euer GM Oliver König
Fotos: André Walther/hm