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Wunder der Schmiedekunst: Damaszenerklingen - Teil 2

John D. Verhoeven lüftete das Geheimnis hinter dem das gesamte Abendland jahrhundertelang her war. Wie schufen die orientalische Schmiede die unübertroffenen Damaszenerklingen. Aus Spektrum der Wissenschaft Oktober 2001

Um die Rolle der Verunreinigungen zu ergründen, untersuchten wir alte und neue Klingen mit der Elektronenstrahlmikroanalyse. Dabei zeigte sich, dass Fremdelemente wie Vanadium, die in den Barren nur 0,02 Prozent oder weniger ausmachen, an bestimmten Stellen angereichert sind. Offenbar sondern sie sich auf mikroskopischer Ebene aus dem Eisen ab, während der flüssige Stahl erkaltet und fest wird. Wie kommt es zu dieser Mikrosegregation? Stahl mit 1,5 Prozent Kohlenstoff kristallisiert aus der Schmelze in einer Form (Modifikation), die Austenit genannt wird. Beim langsamen Abkühlen und Erstarren schiebt sich dabei eine Front von kristallisiertem Austenit in die Flüssigkeit hinein; sie ist keine ebene Fläche, sondern gleicht einem Wald aus kleinen Tannenbäumen – wissenschaftlich Dendriten genannt (nach griechisch dendron, Baum). Austenit kann weniger Atome von Kohlenstoff und anderen Verunreini-gungselementen aufnehmen als flüssiges Eisen; daher reichern sich beim allmählichen Erstarren des Metalls in Form von wachsenden Dendriten die Kohlenstoff- und Fremdatome in der verbleibenden Flüssigkeit an. In den Regionen zwischen den Tannenbaum-Ästen, die als Letzte erstarren, kann ihre Konzentration daher recht hoch werden. Während die dicht nebeneinander aufgereihten Dendriten immer weiter in die Schmelze vordringen, sammeln sich an der Grenze zwischen ihnen also die Fremdatome in einer Reihe von erstarrten Tröpfchen, ähnlich einer Perlenkette. Beim mehrfachen Erhitzen und Abkühlen des Barrens bilden diese Anreicherungen dann offenbar die Keimzellen für das schnurartige Wachstum von harten Zementitpartikeln, die für die helleren Lamellen im Stahl sorgen.
Dafür gibt es einen überzeugenden Anhaltspunkt. Der Abstand zwischen den Spitzen der Dendriten beträgt etwa einen halben Millimeter, und er verringert sich, wenn der Barren beim Schmieden gestaucht wird. Der derart verkleinerte Abstand entspricht ziemlich genau dem zwischen den Lamellen im Damaszenerstahl.
Der zweite entscheidende Faktor ist die richtige Temperatur beim Schmieden. Nur so erhält man die gewünschte Mischung von Austenit- und Zementitpartikeln. Die niedrigste Temperatur, oberhalb welcher der gesamte Stahl als Austenit vorliegt, heißt A-Temperatur. Bei Stählen mit mehr als 0,77 Prozent Kohlenstoff spricht man speziell von Acm-Temperatur. Wird sie unterschritten, erscheinen im austenitischen Stahl mit der Zeit in zufälliger Verteilung Zementitteilchen, wie ich sie in den Klingen von Moser sah.

Die Entstehung der charakteristischen Lamellen war eines der größten Geheimnisse der Damaszenerklingen: Wieso ordnen sich die Carbidteilchen in Bändern an, wenn man die Stahlbarren schmiedet? Um das Rätsel zu lösen, untersuchten wir systematisch Querschnitte der Pucks auf ihrem Weg zur fertigen Klinge. Dazu erhitzten wir sie dicht unter die Acm-Temperatur und hämmerten sie anschließend. Dabei kühlte sich der Barren um etwa 200 Grad ab, und der Anteil an Zementitteilchen stieg entsprechend. Wir wiederholten diesen Zyklus von Erhitzen und anschließendem Hämmern mit Abkühlen mehrfach. Wie wir feststellten, waren etwa fünfzig solcher Schmiedevorgänge erforderlich, um den Barren auf eine Breite von 45 und eine Dicke von fünf Millimetern zu bringen, was den Maßen einer Klinge in Originalgröße entspricht.
Die Entstehung der Lamellen stellen wir uns folgendermaßen vor. Während der ersten Zyklen – bis etwa zum zwanzigsten – bilden sich die harten Carbidteilchen mehr oder weniger zufällig. Aber mit jedem zusätzlichen Zyklus haben sie die Tendenz, sich an den Grenzen zwischen den Dendriten anzuordnen. Woran liegt das? Beim Erhitzen des Stahls lösen sich immer ein paar Carbidteilchen auf. Die Atome der Fremdelemente hemmen diesen Vorgang, sodass in ihrer Umgebung größere Zementitpartikeln zurückbleiben. Bei jedem Zyklus wachsen diese Teilchen – aber sie tun das nur langsam, weshalb zur Ausprägung der Lamellen viele Zyklen nötig sind. Weil sich die Fremdelemente in den Bereichen zwischen den Dendriten anreichern, konzentrieren sich die Carbidteilchen ebenfalls dort.

Unserer Theorie zufolge verursacht also die Absonderung der Verunreinigungselemente die Mikrosegregation der Zementitpartikeln und damit die Lamellenbildung. Um das zu beweisen, zeigten wir zunächst, dass die Lamellen verschwinden, wenn die Mikrosegration der Carbidteilchen unterbunden wird. Dazu nahmen wir kleine Stücke von alten und modernen Klingen mit guter Lamellenstruktur und erhitzten sie auf etwa 50 Grad Celsius über die Acm-Temperatur. Dabei lösten sich alle Carbidteilchen im Austenitstahl. Dann schreckten wir die Klingen in Wasser ab. Als Resultat der schnellen Abkühlung erhielten wir die so genannte Martensit-Phase von Stahl. Sie ist sehr hart und fest und enthält keine Carbidteilchen. Mit diesen waren aber auch die Lamellen verschwunden.

Um die Zementitpartikeln wiederzugewinnen, erhitzten wir die Klingen mehrfach bis 50 Grad unterhalb der Acm-Temperatur und ließen sie anschließend langsam an der Luft abkühlen. Dies gab den Zementitkristallen Zeit zu Wachstum und Segregation. Schon nach dem ersten Erwärmungs-Abkühlungs-Zyklus erschienen die Carbidteilchen wieder. Zwar waren sie zunächst noch zufällig verteilt, aber nach einem oder zwei zusätzlichen Zyklen begannen sie sich bereits wieder in Schichten anzuordnen, die nach sechs bis acht Zyklen deutlich ausgeprägt waren. In einem anderen Versuch erhöhten wir die Temperatur weit über den Acm-Punkt bis auf 1200 Grad Celsius, also knapp unter dem Schmelzpunkt von Stahl, und behielten sie 18 Stunden lang bei. Danach schreckten wir die Probe wiederum mit Wasser ab. Diesen Stahl konnten wir anschließend so vielen thermischen Zyklen unterwerfen, wie wir wollten: Die Zementitbänder kamen nicht wieder. Wie Rechnungen bestätigten, hatten sich bei dieser Hochtemperaturbehandlung die Fremdelemente durch Diffusion gleichmäßig im Stahl verteilt, und das anschließende Abschrecken gab ihnen keine Gelegenheit, sich erneut abzusondern. Schließlich führten Pendray und ich auch sorgfältig kontrollierte Experimente mit Barren ganz ohne Fremdelemente durch. Noch so viele Erwärmungs-Abkühlungs-Zyklen erzeugten bei diesen Proben keine Ansammlungen von Carbidteilchen oder gar Lamellen. Diese erschienen erst nach Zugabe der Fremdelemente und der üblichen Behandlung.
Höhepunkt unserer Nachschöpfung der Damaszenerklinge war die Beantwortung einer weiteren Frage: Wie entsteht das berühmte Muster von Mohammeds Leiter? Hier stützen unsere Untersuchungen eine frühere Theorie, wonach die islamischen Schmiede die Sprossen durch Einkerbungen hervorbrachten. Nachdem wir die Klinge fast bis zur endgültigen Dicke geschmiedet hatten, ritzten wir quer dazu kleine Rillen ein. Danach schmiedeten wir den Stahl weiter, um die Furchen aufzufüllen. Dabei verringert sich besonders an den Kanten der Rillen der Abstand zwischen den hellen und dunklen Linien auf der Oberfläche. Indem wir zwischen den Einkerbungen zusätzlich flache Löcher in die Klinge bohrten, konnten wir auch eine Rosette zwischen den Sprossen erzeugen, die sich auf älteren Krummsäbeln findet und als Rosenmuster bekannt ist.

Warum ging das Wissen um die Herstellung des Damaszenerstahls vor etwa zwei Jahrhunderten verloren? Vielleicht enthielten nicht alle indischen Eisenerze die zur Bildung von Carbid-Lamellen notwendigen Fremdelemente. Die vier Klingen aus der Sammlung Moser waren durchweg mit Spuren von Vanadium „verunreinigt". Möglicherweise wurde für die Stahlbarren aus Indien jedoch irgendwann ein anderes Eisenerz verwendet, sodass ihnen die nötigen Fremdelemente fehlten.

Dann konnten die orientalischen Schmiede und ihre Söhne auf einmal keine Klingen mit diesen wunderbaren Mustern mehr herstellen, und sie wussten wahrscheinlich nicht einmal warum. Dauerte dieser Zustand an, so lässt sich leicht vorstellen, dass nach einer oder zwei Generationen das Geheimnis der legendären Damaszenerschwerter verloren ging. Erst jetzt wurde dank einer Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Handwerk die alte Kunst wieder entdeckt.

Autor: John D. Verhoeven