BlitzDefence

WT-Training half bei einer bedrohlichen Situation im Alltag

Seit gut einem Jahr trainiere ich in Kassel in der WT-Akademie von Sije Swantje und Sifu Michael König. Im Training sowie auf Lehrgängen habe ich erfahren, wie man sich in Bedrohungssituationen verhalten sollte, um nicht zum „Opfer“ zu werden bzw. wie man durch sicheres Auftreten und setzen von Grenzen in der Vorkampfphase eine körperliche Auseinandersetzung evtl. vermeiden kann. Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass ich das Gelernte so schnell im Alltag würde anwenden müssen.

Vor einiger Zeit ging ich um 9 Uhr morgens (!) zur Straßenbahnhaltestelle in Kassel, um zur Arbeit zu gelangen. Kaum hatte ich die Haltestelle erreicht, als plötzlich ein völlig betrunkener und äußerlich verwahrloster junger Mann neben mir „wie aus dem Nichts“ auftauchte. In der Hand hielt er eine fast leere Wodkaflasche, die er mir entgegenstreckte und mich in undefinierbarer Sprache zum Trinken aufforderte. Freundlich, aber bestimmt lehnte ich sein „großzügiges Angebot“ ab. Da mir die Situation bzw. die Erscheinung des betrunkenen Mannes unangenehm war und ich von Sifu Michael im Training eingeschärft bekommen hatte, dass „man immer wachsam sein müsse“, richtete ich noch beim Ablehnen der Wodka-Flasche, wie im Training gelernt, meinen Körper erst einmal zu ihm aus.

Über die Zurückweisung des Wodkas war mein Gegenüber nicht gerade erfreut, was er mir unmissverständlich durch Gesten und einen verärgerten Gesichtsausdruck zu verstehen gab.
Gleichzeitig fing er an, auf mich weiter in seiner mir unverständlichen Sprache einzureden, wovon ich allerdings kein Wort verstand, was ich ihm auch sagte (ich glaube aber, dass er mich wohl auch nicht verstanden hat, da er nicht ein einziges Mal Deutsch sprach …).

Der betrunkene Mann verstaute daraufhin seine Flasche in seiner Jacke und kam plötzlich wild auf mich einredend näher, so dass ich sofort meinen linken Arm nach vorne streckte, um einen „Sicherheitsabstand“ zwischen uns beiden aufzubauen. Leider konnte ich mir nur mit Links Abstand verschaffen, da ich mit dem rechten Arm meine Aktentasche festhielt, die ich nicht loslassen wollte, um nicht zu aggressiv zu wirken. Also hielt ich meine Tasche vor meinen Rumpf, um wenigstens die Tasche noch sinnvoll als Schutz verwenden zu können.

Mein linker Arm, der uns beide auf Abstand hielt, irritierte mein Gegenüber merklich und er versuchte kurze Zeit später mit seiner Hand, mir am linken Ärmel zu zupfen. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf: „Der Betrunkene zeigt genau das Verhalten, das wir im Training in Rollenspielen als Angreifer geübt hatten. Unglaublich!“). Laut sagte ich in bestimmtem Tonfall zu ihm: „Hände weg!“ Dabei stieß ich seine Hand mit meinem linken Arm weg. Diese Reaktion überraschte mein Gegenüber kurzzeitig und er wich etwas von mir zurück.

Aber nur Sekunden später näherte er sich mir wieder und versuchte nun abermals, meinen linken Ärmel zu fassen. Jetzt hatte ich allerdings langsam genug von seinen „Annäherungsversuchen“ und ich stieß seine Hand „aggressiver“ weg, wobei ich diesmal auch mit lauter, verärgerter Stimme rief: „Hand weg!“ Dies unterstrich ich, indem ich ebenfalls einen verärgerten Gesichtsausdruck aufsetzte, um eine eindeutige Grenze zu setzen. Gleichzeitig lockerte ich meinen Griff um meine Aktentasche, damit ich bei nochmaliger Überschreitung meiner gesetzten Grenze meinen rechten Arm schnell würde gebrauchen können. Zu meiner Erleichterung war dies jedoch überflüssig, denn der Mann hielt nach meiner unmissverständlichen Reaktion kurz inne, wich zurück und deutete mit seinen Armen bei mir ein „Freundliches-auf-die-Schulter-klopfen“ an, woraufhin er sich abrupt umdrehte und sich von mir entfernte und steuerte auf einen Passanten der gegenüberliegenden Haltestelle zu.

Nachdem die Situation vorbei war, wurde mir bewusst, dass ich während des ganzen Vorfalls – entgegen meiner Erwartungen – nicht einmal Angst bekommen hatte. Ich vermute, es lag daran, dass wir im WT-Training oft solche Bedrohungssituationen in Rollenspielen geübt hatten und sich der Betrunkene genau so verhielt, wie wir es trainiert hatten. Dadurch „wusste“ ich eigentlich während des gesamten Vorfalls, wie ich mich zu verhalten hatte, was mir eine gewisse Sicherheit bzw. „innere Ruhe“ verschaffte.

Ich bin froh, dass sich die für mich unangenehme und bedrohliche Situation durch mein im WT-Training eingeübtes Verhalten gewaltfrei aufgelöste. Aus diesem Grund möchte ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich bei Sije Swantje und Sifu Michael König sowie seinen Ausbildern bedanken, ohne deren genaues und intensives Training die Situation für mich vielleicht ganz anders ausgegangen wäre!

Text: Jörg Meyfarth
Fotos: WT-Akademie Kassel-Mitte