Editorial

Wir können unser Leben nur verändern, wenn wir uns verändern!

Die 3. und wichtigste Ebene des WingTsun entscheidet, was für ein Mensch Du bist, wie Du Dich fühlst, ob Du ein zufriedenes, glückliches und harmonisches Leben führst ...

Vorwort zum Mai-Editorial:

In diesem Monat hatte ich keinen ruhigen Augenblick, um mich hinzusetzen und ein neues Editorial für Euch zu schreiben: Ich war für unser WingTsun in Irland, beim Int. saarländischen Polizei-Lehrgang (SEK, MEK, GSG9, Feldjäger, Zoll, österreichische Cobra). Danach mit Victor Gutierrez in Paris, wo wir hohe Karate-Dan-Träger bis zum 8. Dan für WT interessieren konnten und schon eine neue Einladung zu einem Lehrgang am 23.6. erhielten.
Von Paris ging es gerade direkt nach Mallorca zu einem mehrtägigen Lehrgang mit Victor, Oliver, Giuseppe, Andreas und Roland.
Von Mallorca wird es direkt nach London zum England-Lehrgang und dann zum nächsten Deutschland-Lehrgang nach Hannover gehen.
So viele Reisen bieten eine prächtige Gelegenheit, sich zu üben, sich nicht von der Hektik des Geschehens vereinnehmen zu lassen, denn sonst verpassen wir das Beste: uns selbst!
Zum Glück kann ich auf einen größeren Vorrat früher von mir angefertigter Texte zurückgreifen. Da ich zur Zeit „sehr körperlich“ und „politisch“ bin und mich vor allem mit Tasten, Fühlen und Körperarbeit und strategischen Überlegungen der Verbandsleitung beschäftige, und beides erschwerender Weise höchst erfolgreich, hätte ich dieses Editorial der 3. Ebene in dieser Verfassung gar nicht schreiben können.
So dient es nicht nur Euch, meinen Lesern, sondern auch mir, zur Erinnerung an und Besinnung auf mich selbst.
Wir dürfen uns nicht vergessen, denn wir sind alles, was wir haben.

Der Mönch sagte zum weisen Narren:
„Dank meines tiefen Glaubens bin ich so innerlich frei,
dass ich überhaupt nicht mehr an mich denke,
sondern nur an meinen Nächsten.“
Der weise Narr entgegnete ihm:
„Und ich bin so objektiv wie eine Videokamera,
deshalb kann ich mich betrachten,
als wäre ich eine fremde Person,
Darum kann ich es mir auch erlauben,
an mich selbst zu denken.“

 

Wir können unser Leben nur verändern, wenn wir uns verändern!

WingTsun hat mit Veränderung zu tun, das erkennt man beim äußeren WingTsun (Selbstverteidigung) sehr deutlich: Man wird vom Verteidiger zum Angreifer, wenn die Kraft des anderen stärker wird, wird aus unserem Fauststoß ein Bong-Sao oder ein Djam-Sao, aus dem Vorwärtsschritt eine Wendung oder gar ein Rückwärtsschritt. Wenn wir starr oder unwandelbar sind, verlieren wir unser Gleichgewicht.
Am Angriff des Gegners können wir nichts ändern, den müssen wir als gegeben hinnehmen, aber wir können an uns etwas ändern. Statt den Arm des Gegners wegzudrücken, drücken wir uns selbst weg. Wenn man sich den Arm des Gegners so unverrückbar vorstellt wie eine Mauer, wird einem das Problem klar: Wir können die Mauer nicht wegdrücken, aber wir können uns von der stärksten Mauer wegdrücken. „Seid keine Wandwegdrücker!“ mahnt mein Si-Fu Leung Ting auf jedem seiner Tutorials. „Drückt Euch selbst weg!“

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich nun mit dem inneren WingTsun, mit der 3. Ebene des WingTsun. Hier geht es nicht mehr darum, sich vor einem Angreifer zu verteidigen. Das Thema ist auch nicht Kontrolle oder Einfluss über andere zu gewinnen oder zu Wohlstand und Ansehen zu gelangen. Diese 3. und wichtigste Ebene hat mit Dir selbst zu tun. Sie entscheidet, was für ein Mensch Du bist, wie Du Dich fühlst, ob Du ein zufriedenes, glückliches und harmonisches Leben führst. Du kannst mehrere Millionen Euro gewinnen, aber wenn Du glaubst, dass das Dein Leben entscheidend verändert, dann täuschst Du Dich. Du kannst von Berlin nach New York ziehen, aber wenn Du hoffst, dass Dein Leben ein anderes sein wird, dann wirst Du ent-täuscht werden. Egal, ob Du einen neuen Mercedes oder einen alten Käfer fährst, ob Du arm oder reich bist, Du wirst Dich nicht viel anders fühlen, eher noch schlechter, denn Du wirst immer wieder auf dieselben Probleme stoßen, mit demselben Typ von Mensch dieselben Schwierigkeiten haben, Dich wie vorher nicht richtig beachtet, vom Schicksal benachteiligt oder verfolgt vorkommen. Kurz, Du wirst leiden. Dirwird die Welt erscheinen wie eine einzige große Fabrik, die Leiden produziert.Der Grund liegt darin, dass Du glaubst, Dein Leben verändern zu können, indem Du Deine Lebensumstände veränderst. Du glaubst, dass Du Probleme lösen kannst! Dann bist Du aber das, was Großmeister Leung Ting als „Wallpusher“ bezeichnet, also jemand der glaubt, dass er die Wand wegdrücken kann!

Du kannst in das schönste Südseeparadies reisen, aber Du wirst nach einiger Zeit wieder vor denselben Problemen stehen, denn Du hast Dich mit in dieses Paradies gebracht. Und Du bist derselbe geblieben. Die Art, wie Du bist, Dein Wesen zieht wie ein Magnet ein bestimmtes Leben an. Egal, wie groß Dein Wissen, wie dick Dein Bankkonto oder wie PS-stark Dein Auto oder wie gefährlich Dein Hund ist.
Aber Du kannst Dein Leben verändern, wenn Du Dich veränderst. Solange Du bleibst, wie Du jetzt bist, wirst Du dasselbe Leben und dieselben Schwierigkeiten anziehen. Die Art, wie Du bist, bestimmt Dein Leben und stellt Dich immer wieder vor dieselben unlösbaren Probleme. Deine Probleme werden nicht lösbar, wenn sich Deine äußeren Lebens-Umstände ändern, wenn Du einen besseren Job oder eine andere Wohnung oder eine hübschere Freundin oder einen attraktiveren Mann hättest. Nach kurzer Zeit stündest Du vor derselben leidvollen Situation.
Deshalb hat die höchste Ebene des WingTsun mit Dir selbst zu tun, damit, wie Du Dich von der „Wand“ der Ereignisse wegdrücken kannst. Wenn Du das könntest, dann könntest Du Dein Wesen verändern, ein anderer, neuer Mensch werden, der ein anderes, neues Leben anziehen wird.

Wie wird man ein anderer Mensch? Nur aufgrund eigenen Wollens. Wenn der Leidensdruck zu groß wird, entsteht in solchen Menschen der Wunsch, das Leiden zu beenden.
Der erste Schritt ist eine Art Selbstbeobachtung. „Erkenne dich selbst!“ Der Mensch weiß nicht wirklich, wer er ist, obwohl die meisten darauf bestehen würden, sich genau zu kennen. Aber während wir andere oft ziemlich gut einschätzen und ihre Schwächen nennen könnten, bleiben uns unsere eigenen negativen „Charakterzüge“ immer verborgen. Würde sie jemand uns gegenüber erwähnen, würden wir vehement leugnen, dass wir so sind. Irgendein eingebauter Stoßdämpfer in uns verhindert, dass wir die Wahrheit über uns, die unserer Umwelt so deutlich ist, sehen.
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Wir sind nicht die angenehme, freundliche, liebenswerte Person, die wir zu sein glauben. Alle Schwierigkeiten, die wir haben, haben mit uns, mit unserem Wesen zu tun, an allem haben wir selber Schuld, niemand sonst.
Wenn der Lichtstrahl innerer Beobachtung auf uns fällt und wir zu erkennen beginnen, dass wir nicht der wunderbare Mensch unserer Vorstellung sind, dann beginnt schon ein Prozess der Veränderung* einzusetzen. Obwohl sich an Deinen Lebensumständen nichts geändert hat, obwohl Du noch in derselben Etagenwohnung wohnst, bei Aldi einkaufst und Dir keinen Südseeurlaub leisten kannst, hast Du begonnen, Dich zu verändern und damit Dein Leben.
Noch mal zur Erinnerung: Versuche nicht, Deine Lebensumstände zu ändern oder die Wand wegzudrücken, drücke Dich von der Wand weg und ändere Deine Position, ändere Dich selbst!
Um Dich zu ändern, musst Du wie eine unbeteiligte Kamera Schnappschüsse von Dir machen und erkennen, wie Du wirklich bist.
Und Du musst Dir bewusst werden, wie selten Du bewusst bist. Wir Menschen sind wie Roboter, wie Maschinen, die vom großen Rad des Lebens getrieben werden, aber wir wissen es nicht. Wir leben in der Illusion, unser Leben selbst zu steuern und selbstverantwortlich und jederzeit bewusst zu handeln.
Deshalb müssen wir mittels Selbstbeobachtung erkennen, wie selten wir bewusst handeln. Indem wir unsere Unfähigkeit realisieren, werden wir automatisch ein Stück bewusster. Beobachte also dieses Lebewesen, das Deinen Namen trägt, ertappe Dich dabei, wenn Du hässliche Dinge tust. Entschuldige Dich nicht vor Dir selbst. Suche keine beschönigenden Gründe für Dein Verhalten. Erkenne, dass Du nicht besser bist als der, den Du wegen derselben Handlungen verurteilst. Denn das bist Du selbst! Alles, was Du in einem anderen verdammst, überprüfe daraufhin im Inneren, ob Du nicht selbst solch ein Verhalten gegenüber anderen zeigst!
An allen Problemen, die wir so gerne anderen in die Schuhe schieben, sind wir selbst schuld. Denn wir kennen uns selbst nicht wirklich und sind uns nicht darüber im Klaren, dass wir, als die Person, die wir sind, ein bestimmtes Leben anziehen. Wir geben jedem anderen die Schuld, den Umständen, dem Pech, der fehlenden Chance im Leben, dem Neid und der Missgunst anderer, wir vermuten lieber Verschwörungen und Mobbing, aber eine unbekannte Größe lassen wir aus in unserer Lebensgleichung: uns selbst!

Vielleicht sitzen unsere Schöpfer oder Schutzengel auf irgendeiner Wolke und schließen Wetten ab, welcher Mensch es als nächster schafft, sein wahres Wesen und seine größte Schwäche zu erkennen und damit den ersten Schritt seiner langen Reise der individuellen
psychologischen Evolution und Transformation zu beginnen.