WingTsun + Kommunikation = BlitzDefence – Zusammenfassung
Unsere Ausgangssituation im ersten Teil der Themenreihe war der Typ an der U-Bahnstation. Du befindest sich z.B. auf einem Bahnsteig. Beim Warten auf den Zug fällt Dein Blick auf eine Person, die beim Fahrplanaushang steht. Die Person ist offensichtlich alkoholisiert. Der eigene Blick streift kurz den Blick dieser Person. Die Person kommt plötzlich auf Dich zu und spricht Dich an: „Was glotzt Du so?“ oder „Suchst Du Streit?“
Die visuelle Phase:
Es erfolgt zunächst eine optische Wahrnehmung des Angreifers …
Die verbale Phase:
In der im ersten Teil dieser Artikelreihe beschriebenen Situation wäre es unangemessen, sich mit der BlitzDefence-Haltung aufzustellen und laut zu rufen: „Lassen Sie mich bitte in Ruhe!“. Das wäre vermutlich kontraproduktiv, da eigentlich noch keine konkrete Angriffsituation bevorsteht …
Die nonverbale Möglichkeit:
Wenn Du Dich entschließt, nicht zu antworten, solltest Du dabei körpersprachlich signalisieren, dass die Botschaft gar nicht angekommen sei …
Die verbale Möglichkeit (Deeskalation)
Wenn Du Dich entschließt zu antworten, sollte die Antwort immer im Rahmen des beschriebenen Vier-Seiten-Modells auf der Sachebene erfolgen. Eine mögliche Antwort wäre z.B.: „Sorry, ich hab nicht Dich angeschaut, sondern auf den Fahrplan gesehen!“
Sollte die Situation dadurch nicht beendet sein, wirst Du Dich hier auf eine mögliche körperliche Phase einstellen müssen ...
Die verbale Möglichkeit (Konfrontation)
Ich denke jetzt sind wieder alle im „Film“ und haben die Situation aus dem ersten Artikel wieder vor Augen. Während es zunächst nur um die nonverbalen inhaltlichen Elemente ging, so betrachten wir hier nochmals die verbalen Elemente im BlitzDefence, denn wir befinden uns ja noch in einer Sicherheitsdistanz. Wir verwenden das Vier-Seiten-Modell im BlitzDefence. Die Botschaft lautet vielleicht auch: „Kämpf’ oder halt´s Maul!“
Die Verteidigungshaltung
Durch die Verbindung der verbalen Elemente mit denen der Körpersprache werden die anderen Kommunikationsmittel unterstützt. So wird ein lautes: „STOP“ durch die zum Angreifer zeigenden Handfläche oder Zeigefinger verstärkt. Das „Fass mich nicht an!“ kann durch erhobene Zeigefinder zu psychischem Unwohlsein bei der betroffenen Person führen, da es sich um eine bedrohliche, dominante und respektlose Geste handelt und hervorragend die Worte untermauert. Auch Lautstärke und Tonlage der Stimme verstärken die Wirkung, wobei die Lautstärke nicht nur der Einschüchterung des Angreifers, sondern auch der Information umstehender Passanten dienen kann. Wenn es jetzt in der o.a. Situation zu einer feindlichen Überschreitung der Sicherheitszone kommen würde, könnte diese so aussehen, dass die Person zügig in bedrohlicher Körperhaltung auf Dich zukommt …
Reaktion auf Distanzunterschreitung
Unter „Reaktion auf Distanzunterschreitung“ oder „Prinzip des Magnetismus“ versteht man, dass auf die Unterschreitung der Distanz mit einer weiteren Veränderung der Distanz geantwortet wird. Der Begriff „Reaktion auf Distanzunterschreitung“ stellt dann die nächste Zeitschiene dar ….
Ist der Weg frei, stoße vor
Habe ich die Möglichkeit der Vermeidung verpasst, muss ich nun auf die tatsächliche Unterschreitung der Distanz reagieren.
Die Idee des Blitzschlages
Ein Blitz ist die plötzliche Entladung von sehr hohen elektrischen Energien. Dieses sehr kurze Naturereignis wird in der Regel von einem heftigen lautstarken Donnern begleitet. Die Angst vor diesem Naturschauspiel sitzt bei vielen Menschen tief. Durch die Kombination von einem kurzen Lichtblitz mit lauten Geräuschen wird man für kurze Zeit geblendet und gehörlos, gefolgt von einer kurzen Orientierungslosigkeit.
Diesen Effekt machen wir uns in der Kommunikation zu Nutze. Wir reden auf unser Gegenüber ein, so dass dieser abgelenkt ist. Z.B. durch einen psychologischen Trick. Es könnte z.B. die Frage gestellt weden: „Wann hat Deine Mutter Geburtstag?“ Das Gehirn kann sich kaum dagegen wehren, sich auf die Suche nach der, in diesem Augenblick unwichtigen Information zu machen. Alternativ können wir das Gegenüber auch „zulabern“, also mit Worten überfluten. Dadurch wird kurzeitig sein Gehirn nicht mehr in der Lage sein, unseren darauf folgenden, blitzartigen Gegenangriff abzuwehren.
Der Blitzschlag und vernichtende Treffer
Die Techniken im BlitzDefence für die unteren Schülergrade funktionieren auf der Basis, dass der Angreifer nicht zuschlägt, sondern lediglich damit droht und seinen Angriff noch vorbereitet. Unsere Aktion erfolgt, nachdem wir für Außenstehende mit unserer nonverbalen Körpersprache deutlich gemacht haben, dass wir der Verteidiger sind.
Reflexartige Verformung
Bewegt sich der Gegner auf mich zu und hat er dabei die richtige Distanz, muss ich dort bereits weg sein, wo er seinen Angriffszielpunkt erreichen wird. Dies erreiche ich durch Aufnahme der Angriffsenergie, deren Umwandlung in eigene Bewegung, um mich dadurch vom Gegner in Sicherheit bringen zu lassen. Diese Fähigkeit nennt sich „Chi-Sao“ und wird durch das Einpflanzen von Reflexen durch den Si-Fu erworben und dann in den Chi-Sao-Sektionen geübt. Diese Unterrichtsprogramme beginnen in Regel ab dem 4. Schülergrad, da hier der Angreifer tatsächlich auch aktiv wird und zuschlägt.
Daher kommen wir hier mit unserem „Blitzschlag“ nicht weiter. Tatsächlich bewegt uns die Angriffsenergie des Angreifers in unsere Sicherheitszone. Dafür benötigen wird dann das Chi-Sao. Sowie ich die Sicherheitszone erreicht habe, erfolgt dann ebenfalls die blitzartige Entladung der uns zusätzlich vom Angreifer gegebenen Energie.
Was bedeutet das für unser tägliches Training?
1. Ich muss mir den oben erläuterten Verlauf ständig wieder neu bewusst machen und die dafür erforderlichen Fähigkeiten üben.
2. Ich muss wissen, dass ein Angreifer nicht zwangsläufig nach einem Treffer zusammenbricht. Er kann aufgrund von Alkohol, Drogen oder durch Kampferfahrung schmerzunempfindlich sein.
3. Ich muss daher eine Fortsetzung des Kampfes gerade nach dem ersten Treffer üben.
4. Ich muss einen kompromisslosen Fauststoß bzw. -schlag immer und immer wieder z.B. an der Pratze üben.
5. Ich muss die fortlaufende Überbrückung der verschiedenen Distanzen üben, so dass nach einem Erstschlag auch ein Zweitschlag mit dem Ellenbogen erfolgen könnte.
6. Ich muss davon ausgehen, im Kampf getroffen zu werden. Ich darf den Treffer nicht fürchten, sondern muss dennoch weiterkämpfen. Dass heißt nicht, dass man zwangsläufig körperlich härter trainieren, sondern dass man seine Psyche stärken muss.
Man muss lernen, sich auf die WingTsun-Fähigkeiten zu verlassen und vom Sieg überzeugt zu sein. Mit den folgenden Mottos möchte ich dann auch diese Themenreihe abschließen:
„Wenn Du Deinem Gegner höflich den Vortritt lassen willst, dann solltest Du gar nicht erst ans Kämpfen denken!”
Oder auch der anders formuliert:
„Wer freundlich zu seinem Gegner ist, ist grausam zu sich selbst!“
Sifu Thorsten de Vries
3. Lehrergrad WingTsun