Editorial

Was die Partnerformen leisten

Täglich habe ich mehrere Stunden meiner Forschungsarbeit für die Sportuniversität gewidmet und bin auf verblüffende Resultate gekommen, die in die Praxis umgesetzt werden und allen Mitgliedern zugute kommen sollen.

Unser aktuelles Unterrichtsprogramm soll von den letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen profitieren, nachdem ich damit lange genug in Privat-Stunden und Kleingruppen-Unterrichten experimentiert habe.
Ebenso muss der Erkenntnis, was die früher „Chi-Sao-Sektionen“ genannten „Partnerformen mit Kontakt“ wirklich leisten können und was nicht von ihnen zu erwarten ist, Rechnung getragen werden.
Solo- und Partnerformen sind zum Teil unerlässlich, um von den „Großen Sieben Voraussetzungen“ sechs (!) zu entwickeln: Bewusstsein, Beweglichkeit, Gleichgewicht, Körpereinheit und zum Teil sogar Timing und verblüffenderweise Kampfgeist. Das heißt, dass sie mit Recht einen großen Teil der Trainingszeit beanspruchen. Meines Erachtens sind sie für das, was sie leisten, unersetzlich.
Das Missverständnis, dem weltweit aber sogar Meister erlagen, liegt im Ausdruck „Chi-Sao“-Sektionen begründet, von dem ich nicht einmal mehr weiß, ob ich ihn nicht sogar selbst in den 1970er Jahren erfand. Er ist ja auch insofern richtig, als dass man bei diesen „Sequenzen“ die ganze Zeit über in Kontakt (= „Chi-Sao“) bleibt.

Irgendwann ist der irrtümliche Eindruck selbst in Lehrerkreisen entstanden, dass diese Partnerformen, bei denen im Gegensatz zu „Lat-Sao“ (= Arme frei) Kontakt gehalten wird, ein geeignetes Mittel wären, um den im Nahkampf nötigen Tastsinn zu erwerben. Dabei warnte doch mein Si-Fu Leung Ting schon 1978 in seinem Klassiker „Wing Tsun Kuen“ davor, den Kampf nicht wie einen Tango-Partnertanz üben zu wollen.

Als ich das Missverständnis endlich mitbekam, dem so viele aufgesessen waren, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es ist unglaublich, was ein scheinbar unschuldiges Wort anrichten kann. Die meisten asiatischen Stile bestehen ausschließlich aus Solo- und Partnerformen, aber im WingTsun haben wir nicht zuletzt aufgrund unserer wissenschaftlichen Studien erkannt, dass der taktil-kinästhetische Sinn durch speziell zu schaffende kurze Übungen systematisch entwickelt werden kann. Diese Übungen habe ich inzwischen konzipiert und mit überwältigendem Erfolg in Einzel-Unterrichten erprobt und immer wieder verbessert, so dass ich jetzt endlich zufrieden mit dem Programm bin.
Es handelt sich um reine von den Prinzipien abgeleitete WT-Bewegungen, wie sie in den Partnerformen zum großen Teil vorkommen. Allerdings sind die Reihenfolgen nicht festgelegt, so dass anders als in den Partnerformen Entscheidungen zu treffen sind. Aber in Wirklichkeit trifft der durch diese Spezialübungen hochentwickelte Tast- und Spürsinn selbst die Entscheidungen, wodurch wir kostbare Zeit (bits) sparen.

Prinzipiell geht es um das, was Großmeister Leung Ting das „Aufbrechen der (die Partnerformen zusammenhaltenden) Ringe in kleinste Einheiten“ nannte und dies mit sog. Entscheidungszwängen, die der Tastsinn bravourös für uns meistert.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal daran erinnern, dass Großmeister Leung auch in diesem Jahr wieder die EWTO besucht, um in Livorno (Italien) während der Tage des Livorno-Lehrgangs auf eigene Rechnung seine beliebten Tutorials durchzuführen.