BlitzDefence

Selbstverteidigung aus Sicht der Kommunikationswissenschaften – Teil 2

Kommunikation ist gerade in Extremsituationen wie einer Selbstverteidigungssituation von großer Bedeutung.

Die Bedeutung nonverbaler Kommunikation

Man kann zwei Arten der Kommunikation unterscheiden, verbale und nonverbale. Nonverbale Kommunikation heißt übersetzt soviel wie Verständigung ohne Worte. Üblicherweise sind damit alle Verständigungsmöglichkeiten gemeint, die nicht den Regeln einer Sprache, also Worten, folgen. Dieser Bereich der Kommunikation ist eine Teildisziplin der Kinesik. Der Begriff „Kinesik“, stammt aus dem griechischen und bedeutet „Bewegung“. Kinesik ist die Wissenschaft, die sich mit den bewegungsspezifischen Aspekten der Kommunikation beschäftigt. Darin wird kommunikativ relevantes Bewegungsverhalten wie folgt unterteilt:

Motorik (Bewegungsverhalten)
- Mimik
- Gestik
- Pantomimik

Taxis (Bewegungsausrichtung)
- Axialorientierung
- Taktile Kontakte
- Visuelle Kontakte

Lokomotorik (Fortbewegung)
- Proxemik (Distanzregelung)
 
 
Die wissenschaftlichen Ergebnisse finden in den verschiedensten Bereichen der Kommunikation Anwendung. Wenn das eigene Bewegungsverhalten zielgerichtet eingesetzt werden soll, ist es unbedingt erforderlich, das Bewegungsverhalten des Gegenübers lesen zu können. Dies ist in der Rhetorikschulung wichtig, wenn es darum geht, öffentlich aufzutreten oder in der Öffentlichkeit zu agieren. Eine besonders große Rolle spielt dies beim Kommunikationsverhalten von Sicherheitskräften. Von der Einschätzung des Bewegungsverhaltens kann die Deeskalation einer Situation abhängen. Es ist daher wichtig, die Grundsätze der nonverbalen Kommunikation nicht nur zu kennen, sondern sie auch zielgerichtet einsetzen zu können.

Wie können wir dieses Wissen beim WingTsun anwenden?

In der im ersten Teil dieser Artikelreihe beschriebene Situation wäre es unangemessen, sich mit der BlitzDefence-Haltung aufzustellen und laut zu rufen: „Lassen Sie mich bitte in Ruhe!“. Das wäre vermutlich kontraproduktiv, da eigentlich noch keine konkrete Angriffsituation bevorsteht. Dies wäre erst dann der Fall, wenn die Person in feindlicher Absicht Deine Sicherheitszone passieren würde. Bei der beschriebenen Situation handelt es sich um die sogenannte verbale Phase. Denn eigentlich ist bereits zuvor ein Fehler passiert.

Visuelle Phase – Verbale Phase – Körperliche Phase

Der Blick hätte noch kürzer ausfallen müssen, da die Person als potentieller Angreifer frühzeitig wahrgenommen wurde. Dies ist in diesem Beispiel nicht passiert, daher ist die Auseinandersetzung direkt in die nächste Phase, die verbale, übergegangen. Durch die Ansprache des Angreifers, bist Du jetzt im Zugzwang. Es bleibt Dir nur eine Alternative, zu antworten oder nicht.

1.) Die nicht-verbale Möglichkeit

Wenn Du Dich entschließt, nicht zu antworten, solltest Du dabei körpersprachlich signalisieren, dass die Botschaft gar nicht angekommen sei. Entweder gibt der potentielle Angreifer auf oder er versucht es ein zweites Mal. Besser ist es in diesem Fall, dem dritten WingTsun-Grundprinzip zu folgen und einfach nachzugeben, indem Du weggehst. Wenn das jedoch auch nicht hilft und Dir die Person folgt, befindest Du Dich bereits in einer Phase, in der wahrscheinlich eine körperliche Auseinandersetzung nicht mehr vermieden werden kann. Da auch das Ignorieren vier Seiten hat (siehe Teil 1), kann es sein, dass die Person sich gerade dadurch provoziert oder herabgesetzt fühlt.

2.) Die verbale Möglichkeit

Wenn Du Dich entschließt zu antworten, sollte die Antwort immer im Rahmen des oben beschriebenen Vier-Seiten-Modells auf der Sachebene erfolgen. Eine indirekte Konfrontation über die Beziehungs- und Appel­lebene sollte in jedem Fall vermieden werden. Eine oppositionelle Antwort auf der Sachebene bringt Dich allerdings auch recht schnell in die nächste Phase. Es nützt also nichts abzustreiten, dass Du geschaut hast, denn es war ja schließlich so. Eine mögliche Antwort wäre z.B.
„Sorry, ich hab nicht Dich angeschaut, sondern auf den Fahrplan gesehen!“

Durch die vorweg geschickte Entschuldigung sorgst Du dafür, dass er Dir Deine Unterstellung, nicht richtig geguckt zu haben bzw. Deinen Blick falsch eingeschätzt zu haben, nicht als Provokation ansieht. Die Antwort auf der Sachebene sollte in jedem Fall glaubhaft und ohne körpersprachlich missverständliche Zeichen erfolgen. Sollte die Situation dadurch nicht beendet sein, wirst Du Dich auch hier auf eine mögliche körperliche Phase einstellen müssen.

Vier-Seiten-Modell im BlitzDefence

Die dazu notwendigen Verteidigungshaltungen für BlitzDefence 1 und 2,  sowie für 3, bei denen auf die unterschiedlichen Angriffshaltungen (Recht- bzw. Linksauslage) reagiert wird, setze ich hier als bekannt voraus. Die offenen, dem Angreifer zugewandten Handflächen sagen nonverbal aus, dass Du unbewaffnet bist. Alleine durch die Verbindung der verbalen Elemente mit denen der Körpersprache werden die anderen Kommunikationsmittel unterstützt. So wird ein lautes: „STOPP“ durch die zum Angreifer zeigenden Handfläche verstärkt. Wenn es jetzt in der o.a. Situation zu einer feindlichen Überschreitung der Sicherheitszone kommen würde, könnte diese so aussehen, dass die Person zügig in bedrohlicher Körperhaltung auf Dich zukommt.
Das „Fass mich nicht an!“ kann durch erhobene Zeigefinder zu psychischem Unwohlsein bei der betroffenen Person führen, da es sich um eine bedrohliche, dominante und respektlose Geste handelt und hervorragend die Worte untermauert. Auch Lautstärke und Tonlage der Stimme verstärken die Wirkung, wobei die Lautstärke nicht nur der Einschüchterung des Angreifers, sondern auch der Information umstehender Passanten dienen kann. Die verschiedenen Gesten und Körperhaltungen sollten fließend die Kommunikation unterstreichen und dürfen nicht gestellt wirken. Daher ist das Üben der Gesten vor dem Spiegel sinnvoll, da hier deren Wirkung direkt gesehen und korrigiert werden kann.

Beim ritualisierten Kampf spielen diese nonverbalen Faktoren eine entscheidende Rolle. So sind in den BlitzDefence-Programmen Verhaltensmuster integriert, die das eigene Bewegungsverhalten auf Verteidigung ausrichten. Das bedeutet, dass wir nach außen, also für einen objektiven Beobachter, nicht nur Verteidigungsbereitschaft und Entschlossenheit signalisieren, sondern auch defensiv taktische Verhaltensweisen zeigen. Das führt dazu, dass unabhängig vom Ausgang einer körperlichen Auseinandersetzung, die Rollenverteilung des Aggressors und des Verteidigers für etwaige Zeugen sofort erkennbar ist.

Auf die Ausgestaltung und Wirkungsmechanismen von Körpersprache und nonverbaler Kommunikation wird in einem der nächsten Teile noch ausführlicher eingegangen.

 

Sifu Thorsten de Vries, 3. TG WT