WingTsun

Schulleiter stellen sich vor: Sifu Mike Fischer

Wieder hatte Sifu Oliver Pfannenstiel eine Menge Fragen parat, die er stellen wollte. Beantwortet wurden sie dieses Mal von Sifu Mike Fischer, der WingTsun-Schulen in den am Main gelegenen Städten Offenbach und Hanau leitet.

Zur Person Sifu Mike Fischer:

 Alter: 
 40
 Graduierung:  3. TG WT
 Weitere WT-Qualifikationen:               
 Fachtrainer Kids-WingTsun, Fachtrainer EWTO-
 Gewaltprävention,  ChiKung-Trainer
 Mit WT begonnen:  1993
 Schulleiter seit:

 seit 1998

 WT-Lehrer und SiFu:
 Großmeister Keith R. Kernspecht (SiFu); DaiSifu Guiseppe Schembri,
 Sifu Mark Tietz, DaiSifu Thomas Schrön (Lehrer)
 Ausbildung/Beruf:  EWTO-Schulleiter und Schmerztherapeut
 Kinder:
 keine
 Hobbys neben dem WT:
 Tischtennis, Schach, Kochen, Autos, Fliegenfischen
 Lieblingsfilm:
 Aus der Mitte entspringt ein Fluss
 Lieblingsmusik:  Pink Floyd, Depeche Mode, Herbert Grönemeyer, Bob Dylan
 Lieblingsbuch:
 Der Steppenwolf und alle Krimis von Andreas Franz
 Lieblingsspeise:  im Moment Salat und Sushi, aber eigentlich Sauerbrate
 Lieblingsurlaubsziel:  St. Peter Ording, Waging am See, Island
 Ein schöner Tag ist für mich, wenn     
 die Sonne scheint und ich in der Natur, am Wasser bin.
   

Zur WT-Schule:
  

 Größe des Ausbilderteams: 
 8
 Ort:  Offenbach am Main, Hanau am Main
 Unterrichtsangebot:        
 WT/Kids/Jugend/Escrima/ChiKung
 6/3/2/2/2
 Termine pro Woche insgesamt:          
 15
 Anzahl Techniker:  5


Interview:

WTW: Warum hast Du 1992 mit WT angefangen?
Sifu Mike: Ich habe damals in Frankfurt Taekwondo und Kick-Boxen trainiert und dachte, es gibt nichts Besseres. Motiviert durch die Bruce-Lee-Filme waren damals in der Luft gedrehte hohe Tritte zum Kopf das Größte für mich. Im Urlaub erzählte mir dann ein Bekannter, dass er seit drei Monaten WingTsun macht und dass das der Hammer sei. Das hörte sich interessant an und ich wollte mehr erfahren. Wir haben dann auf der Wiese etwas Sparring gemacht und ich wurde erst einmal ganz schön überrascht; denn jedes Mal, wenn ich ihm zu nahe kam, stürmte der Kollege mit Kettenfauststößen und einer für mich damals sehr merkwürdigen geschlossenen Schrittarbeit auf mich zu. Ich konnte dann zwar meine Treffer landen, aber an hohe Tritte zum Kopf war nicht zu denken. Auf alle Fälle war ich wirklich sehr überrascht und dachte nur: Wenn er erst drei Monate trainiert und mich so überraschen kann, muss an dem System wirklich etwas dran sein.
Zurück aus dem Urlaub besorgte ich mir sofort Infos und besuchte eine Infoveranstaltung der WingTsun-Schule Frankfurt. Spätestens im Probetraining wurde ich dann noch einmal sehr überrascht und vor allem total überzeugt. Ich meldete mich sofort an und bin seitdem mit großer Begeisterung dabei.

Was waren für Dich die Gründe, auch mit ChiKung anzufangen? Welche Schwerpunkte wurden unterrichtet?
In Frankfurt wurde von Anfang an der gesundheitliche Aspekt des WingTsun mittransportiert. Es gab auch schon einen extra Gesundheitskursus – das legendäre Muskelverlängerungstraining. Die Muskelverlängerungsübungen und die Druckpunktmassage nach Dr. Packi waren der Beginn des Gesundheitssystems.

Was hat sich beim ChiKung gegenüber damals verbessert?

Heute werden die Übungen deutlich langsamer, sanfter und bewusster ausgeführt. Verschiedene Einflüsse machen das EWTO-ChiKung zu einem kompletten Gesundheitssystem, das physische und psychische Komponenten vereint.

Welchen Stellenwert besitzt für Dich ChiKung für das WingTsun?
Noch bewusster zu trainieren, Bewegungen ganz langsam in Zeitlupe auszuführen und in kleinste Teile zu zerlegen. Schon vor einigen Jahren zeigte mir Martin Wagner, wie man mit Hilfe von Feldenkrais-Übungen bewusster trainieren kann. Seitdem habe ich Spaß an Zeitlupentraining. Für mich hat das Thema Entschleunigung im Moment eine wichtige Bedeutung.

Welche Zielgruppe erreichst Du mit EWTO-ChiKung? Nehmen es überwiegend Deine WT-Schüler wahr?
Viele WingTsun-Schüler haben die positiven Effekte des ChiKung für sich entdeckt und nutzen das Angebot parallel. Oft empfehlen sie dann im Bekanntenkreis unsere Kurse weiter. Im Moment denke ich gerade intensiv darüber nach, wie wir noch mehr gesundheitsorientierte Menschen für unser ChiKung-Angebot gewinnen können. In diesem Bereich ist sicher noch viel mehr möglich.

Vor zwei Jahren hast Du ein Burn-Out-Syndrom erlitten und warst für längere Zeit „weg vom Fenster“. Hast Du Dich zu viel für die Gesundheit anderer eingesetzt, dass Du letztendlich selbst krank wurdest?
Das hatte sich schon langfristiger eingeschlichen. Ich habe einfach viel zu viel gearbeitet und vor allem keine richtigen Pausen gemacht. Irgendwann meldet sich dann der Körper, und wenn man nicht auf die Signale hört, wird es gefährlich. Ich habe dann den Fehler gemacht und wollte durch mehr Sport und Training gegensteuern, anstatt kürzer zu treten. Zusätzliche private Probleme ließen das Fass überlaufen und mein Körper reagierte mit den typischen Symptomen eines Burn-outs, die sehr oft unterschätzt werden. Ich bin auch leider noch nicht ganz über den Berg, bin aber für die Zukunft sehr optimistisch, dass es mir bald wieder gutgeht.

Wie hast Du diese Zeit als Schulleiter und auch persönlich bewältigt?
Das war eine sehr schwierige Zeit. Ich musste lernen, dass mein Tempo in der Vergangenheit viel zu schnell war und vor allem, dass ich nicht alles allein machen kann und es noch mehr im Leben gibt als Arbeiten. Wenn man dauerhaft erfolgreich sein will, braucht man ein gutes Team und Menschen, denen man vertrauen kann. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei meinem Ausbilderteam, meinen Schülern und Freunden sowie meiner Familie bedanken, die zu mir stehen und auf die ich mich immer verlassen konnte. Vielen Dank!

Was lernst Du heute als WT-ler und Schmerztherapeut aus dieser Zeit?
Ich habe gelernt, Ruhe zu bewahren und nicht alles zu ernst zu nehmen, meine Zeit besser einzuteilen und meine freie Zeit sinnvoll zu nutzen und zu genießen.
Vor allem weiß ich durch diese Krise ganz genau, was ich in der Zukunft machen will und was nicht. Das ist heutzutage manchmal gar nicht so einfach, bei den vielen Möglichkeiten, die es gibt. Eine wichtige Erkenntnis ist auch, dass man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen kann und manche Menschen einfach nicht anders handeln können, als sie es tun. Ich glaube, eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Dinge ist die Fähigkeit, loslassen zu können.

Wie siehst Du die Entwicklung des WingTsun der vergangenen zehn Jahre?
Ich finde die Entwicklung außergewöhnlich und genial. Ich verschlinge gerade das neue Buch von SiFu und bin total begeistert. Wir haben jetzt neben unserem Kettenfauststoß-WingTsun (Angriffs-WingTsun) noch das Mittelstufenprogramm mit der Idee der Coopetition (Angreifen & Kooperieren) sowie das Oberstufenprogramm mit der Idee des höchsten WingTsun (Strategie der Nichtstrategie). Das neue Buch beantwortet sehr viele Fragen, die ich mir früher oft stellte – vor allem, wie man dem Ideal der höchsten Stufe näher kommen kann. Die Definition der „Großen 7“ und der rote Faden durch die Programme sind schlichtweg genial.

Du spielst nebenbei Tischtennis im Verein. Was kannst du aus dem professionellen Tischtennis für das WT herausziehen und umgekehrt?
Tischtennis auf höherem Niveau ist für mich eine der schwierigsten und komplexesten Sportarten überhaupt. Ich hatte 15 Jahre kein Tischtennis gespielt und bin dann wieder eingestiegen. In der Zwischenzeit ist das Spiel deutlich schneller und ausgefeilter geworden. Ich machte aber mithilfe eines Privattrainers und meiner WT-Trainingserfahrung, komplexe Bewegungen in kleinste Teile zu zerlegen und erst einmal ganz langsam und bewusst zu trainieren, unglaubliche Fortschritte. Auch das im Tischtennis sehr wichtige Ballgefühl ist enorm ausgeprägt, was ich auf das jahrelange ChiSao-Training zurückführe.

Welche Rolle spielen Timing und Schrittarbeit beim Tischtennis?
Im Tischtennis ist das Wichtigste in Sekundenbruchteilen, im Ansatz, zu erkennen, was der Gegner macht und z.B. welchen Effet er dem kleinen Tischtennisball gibt (Überschnitt, Unterschnitt, Seitüberschnitt, Seitunterschnitt oder leer), um darauf die richtige Antwort zu geben bzw. optimal zum Ball zu stehen, damit man den Ball im richtigen Moment trifft und platziert.

Auch das Schach hat Dich in den Bann gezogen. Was kannst Du dort in Verbindung mit WT bringen?
Ich bin Hobbyspieler und um ein guter Schachspieler zu werden, bin ich leider noch viel zu ungeduldig. Schach ist wohl eines der genialsten Dinge, die Menschen erschaffen haben. Nach dem zweiten Zug können im Schach z.B. schon 72.084 verschiedene Stellungen entstehen. Im richtigen Moment das Richtige zu tun, ist die Kunst. Den Plan des Gegners zu lesen, zu durchkreuzen und einen eigenen zu entwickeln. Vorschieben, nachgeben, Zentrum oder Flanke besetzen, Drohungen aufbauen und schließlich matt setzen, darum geht es. Wie im WingTsun …

Zu Deinen Hobbys zählt auch die Beschäftigung mit Oldtimern. Was genau reizt Dich an den Autos? Ästhetik, Geschwindigkeit, Freiheitsgefühl oder die Liebe zum Detail?
Ich fahre unglaublich gerne Auto und hatte da schon immer einen Tick. Alles fing an, als ich mit ca. 12 Jahren auf dem alten Flughafen in Frankfurt von meinem Vater das Autofahren lernte. Das Gefühl von Freiheit spielt sicher eine übergeordnete Rolle. Die Autos, die ich als Kind oder Jugendlicher gut fand, sind jetzt ca. 30 Jahre alt und werden zu Young- bzw. Oldtimern und können mit historischem Kennzeichen gefahren werden. Ein 111er, 123er oder 126er Modell von Mercedes oder einen 911-Targa könnte ich mir stundenlang einfach nur anschauen. Mein Lieblingsauto ist und bleibt aber ein R5 Alpine Turbo. Das hat irgendetwas mit Liebe zu tun.

Wie hast Du Deine WT-Schulen in Offenbach bekannt gemacht?
Ich wendete genau das System, das ich in Frankfurt lernte, an und das dort sehr erfolgreich war und heute in fortgeschrittener Form an alle Schulleiter im EWTO-Leadership weitergegeben wird. Ich verteilte damals Flyer, schaltete Anzeigen und lud die Interessenten sofort in eine Infoveranstaltung und anschließend in ein Probetraining ein. Die erste Gruppe in Offenbach bestand aus ca. zehn Jugendlichen, die immer mehr Leute mitbrachten und so waren es schnell 50 Schüler. Nach und nach steigerte sich dann die Schülerzahl durch konzentriertes Arbeiten auf über 200 Schüler.

Welche Schwierigkeiten gab es anfangs und wie hast Du sie gelöst?
Bis auf die Tatsache, dass ich fast alles selbst machte, was sich im Nachhinein als nicht so günstig erwies, ist alles sehr gut gelaufen. Etwas Neues aufzubauen, vor allem mit so einem super Produkt wie dem EWTO-WingTsun, ist nicht so schwer. Einen Laden oder eine WingTsun-Schule langfristig erfolgreich zu führen und auszubauen: Das ist die Kunst.

Was nimmst Du aus dem Leadership mit?
Die Schulungen, die ich bis jetzt mitgemacht habe, waren echt super und sehr professionell. Ich kann nur jedem Schulleiter empfehlen, das Angebot wahrzunehmen.
Es gibt sehr viel Motivation und bringt eine Menge neue Möglichkeiten. Danke, EWTO, für dieses tolle Angebot. Auch die Idee, die Ausbilder vor Ort weiter zu schulen, ist klasse und macht sehr viel Spaß.

Wie ist das Verhältnis Männer/Frauen/Kinder (in Prozent) in Deiner Schule?
60 % Männer, 30 % Kinder und 10% Frauen.

Welche Übungen kommen am besten an?
Wenn man dem Schüler genau erklärt, für was diese und jene Übung gut ist, kommen eigentlich alle Partnerübungen gut an. Besonders beliebt ist immer noch „freies LatSao“.
Wir haben sehr gute Programme und es gibt sehr viele Übungen. Wir Ausbilder müssen jetzt angepasst an die Trainingszeiten und Fähigkeiten der Schüler die richtigen Übungen finden.

Welche Erfahrungen hast Du mit den ReakTsun-Übungen?
Die Übungen sind genial. Man darf nur anfangs den Schwierigkeitsgrad nicht zu hoch ansetzen – sonst droht Frustgefahr.

Worauf legst Du besonderen Wert im Unterricht?
Ich lege besonders großen Wert auf eine gute Basis, ein stabiles Fundament, also einen stabilen Stand, auf korrekte Positionen und eine flexible, nicht festgelegte Schrittarbeit sowie die Universallösung.

Mit welchen Eigenschaften siehst Du Dich selbst als WT-Lehrer?
Ich habe einfach großen Spaß, anderen Menschen etwas beizubringen und die Fähigkeit zu spüren, was der Schüler braucht, um sich weiterzuentwickeln. Oft gehört auch eine Portion Humor zu meinem Unterricht; denn ängstliche, verkrampfte Schüler können nicht richtig WingTsun lernen.

Was bedeutet das Unterrichten für Dich?
Schülern eine gute Basis und gute Fähigkeiten zu vermitteln und sie z.B. zum 12. Schülergrad oder weiter zu bringen. Das verdient Respekt und ist, wenn man es ernst mit seinen Schülern meint, harte Arbeit.

Was willst Du den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?
Cogito ergo EWTO!

Das Interview führte Sifu Oliver C. Pfannenstiel
Fotos: WT-Schulen Offenbach und Hanau