WingTsun

Schulleiter stellen sich vor: Manfred Reichert

Senftenberg liegt im Süden Brandenburgs. Die Festungsanlage mit dem Schlossbildet den wichtigsten Ausgangspunkt der Stadtentwicklung. Aus einer Urkunde des Jahres 1279 stammt die erste nachweisliche Erwähnung Senftenbergs. In diesem Ort leitet Manfred Reichert seine WingTsun-Schule und stellte sich dem Interview für den Monat Oktober.

Zur Person Manfred Reichert:

 Alter: 
 47
 Graduierung:  1. TG WT
 Weitere WT-Qualifikationen:               
 Trainer 2, Fachtrainer Kids-WingTsun, Leadership 1
 Mit WT begonnen:  1991
 Schulleiter seit:

 1993

 WT-Lehrer und SiFu:
 DaiSifu Thomas Mannes (7. PG)
 Ausbildung/Beruf:  Schlosser, Kriminalbeamter
 Kinder:
 1
 Hobbys neben dem WT:
 Motorradfahren, Ski (alpin), Skaten, Radfahren, Lesen
 Lieblingsfilm:
 Bodyguard
 Lieblingsmusik:  Pink Floyd, Led Zeppelin, Uriah Heep, Schiller, Rammstein
 Lieblingsbuch:
 „Das Parfüm“, die „Dan Brown“-Reihe
 Lieblingsspeise:  hausgemachter Kartoffelsalat mit kurz gebratener Lende
 Lieblingsurlaubsziel:  Zittauer Gebirge, Ostsee
 Ein schöner Tag ist für mich, wenn…     
 ausgeruht, gesund und gut gelaunt in den Tag starten und einem Menschen ein Lächeln auf das Gesicht zaubern
   

Zur WT-Schule:
  

 Größe des Ausbilderteams:                      
 6
 Ort:  Senftenberg (Land Brandenburg)
 Unterrichtsangebot:        
 Kids-WingTsun (3-6 Jahre)
 Kids-WingTsun (ab 7 Jahre)
 WT-Training
 Termine pro Woche insgesamt:          
 6
 Anzahl Techniker:  1


Interview:

WTW: Wie hast Du Dich schon vor der Wende in der DDR mit Kampfsport beschäftigt? Welche Möglichkeiten gab es in der DDR? Wie bist Du zum Kampfsport gekommen?
Manfred: Ich entstamme einer Traditions-Radsportfamilie aus Finsterwalde. Mein Vater hat 1951 mit drei Freunden die Sektion Radsport in Finsterwalde gegründet, in der er selbst aktiv war und später halt auch seine drei Kinder aktiv sein mussten. Meine Begeisterung hielt sich für den Straßenradsport in Grenzen, den ich vier Jahre als Kind ausüben „durfte“. Durch KungFu- und Karatefilme im Westfernsehen entwickelte sich bei mir das Interesse für Kampsport. In der DDR war das Angebot an Kampfsport sehr begrenzt. Da gab es Boxen, Ringen und Judo. Judo sagte mir am ehesten zu und so meldete ich mich beim Judoverein ASV Doberlug-Kirchhain, Sektion Finsterwalde an. Mein Trainer war Kurt Neumann. Beim Judo blieb ich bis zu meinem Studium und erreichte den 1. Kyo (brauner Gurt). Neben Judo galt mein Interesse natürlich immer wieder dem Karate. Mein Vater hatte als Briefmarkensammler Verbindungen in die BRD. Über diesen Weg besorgte er mir mein erstes Karatebuch von Albrecht Pflüger „25 Shotokan Katas“, mit dem ich ehrlich gesagt wenig anfangen konnte. Egal, es war ein erster Versuch.

Dein SiFu ist DaiSifu Mannes aus Saarbrücken. Wieso bist Du von (damals) Halle ausgerechnet zu ihm gekommen und bei ihm geblieben?
Am 03.Oktober 1990, dem Tag der deutschen Einheit, lernte ich beim Feiern auf der Straße meinen späteren – inzwischen verstorbenen – WT-Bruder Harry Schönberg kennen. Wir kamen ins Gespräch und dabei stellte sich heraus, dass wir beide Judoka waren und immer noch das Interesse für Kampfsport in uns loderte. In den Tagen der Wende und dem politischen Umbruch in der DDR wussten viele Vereine nicht, wie es weitergehen wird. Selbstverteidigungskurse wurden keine angeboten. Diese Situation machten wir uns zunutze und Harry entwickelte Ausbildungsprogramme für Selbstverteidigungskurse, die für 12 mal 120 Minuten konzipiert und für den einfachen Bürger gedacht waren. Es waren Techniken aus allen möglichen Kampfsport- und Kampfkunstsystemen enthalten. Es ging um die Einfachheit. Die Techniken mussten nicht schön, sondern wirkungsvoll und effizient sein. Das Konzept kam super an und wir unterrichteten halb Finsterwalde in diesem Allkampf-System.
Eines Tages kam Harry völlig aufgeregt zu mir und erzählte von einem „Wing Schung“-System, das er in einer Sportsendung im Fernsehen gesehen hatte. Er war so fasziniert, dass wir in der Sportzeitschrift „Karate“ danach suchten. Wir fanden eine Telefonnummer der WT-Schule in Halle/Saale.
Wenige Tage später standen wir im Stadtbad Halle/Saale, dem damaligen Standort der WT-Schule. Als wir vorsichtig die Tür öffneten, sahen wir einen Mann in schwarzer Kleidung, der drei Angreifer gleichzeitig – und mit einer uns nicht erklärlichen Leichtigkeit – zu Boden brachte und „besiegte“. Für uns war klar: „Hier sind wir richtig!“
Der Mann in Schwarz wurde unser SiFu Thomas Mannes, damals 4. TG, die drei „Besiegten“ unsere Sihings, die damals den 6. SG innehatten und die Schule in Halle gemeinsam leiteten. Sifu Thomas betreute damals die Schule in Halle und später dann auch unsere. So ist der Kontakt zu ihm zustande gekommen und bis heute geblieben.
Warum ich bei ihm geblieben bin? Man hat nur einen SiFu und diesen ein Leben lang. Für mich zählen Werte wie Treue, Loyalität, Zuverlässigkeit, Dankbarkeit. Er besitzt einen unwahrscheinlichen Erfahrungsschatz, ich schätze sein Können, seine Persönlichkeit und seine Loyalität gegenüber SiGung Kernspecht. Wir haben gemeinsam in 20 Jahren so viel erlebt – das verbindet und schweißt zusammen, für ein Leben lang.

Dann bist Du nach Senftenberg gezogen und hast Deine eigene Schule 1993 als 8. SG eröffnet. Wie war damals das Unterrichten für Dich?
Seit 1993 habe ich in Senftenberg in verschiedenen Turnhallen und Speiseräumen WT für Kinder und Erwachsene unterrichtet. Erst 2001 ergab sich die Möglichkeit, eigene Räume beziehen und gestalten zu können.
Die Anfänge waren mühsam. WT kannte kein Mensch in Senftenberg. Ich war kein Senftenberger – wohnte noch in Finsterwalde. Verschiedene Vereine sahen in mir einen unerwünschten Konkurrenten und machten mir das Leben schwer. Ich unterrichtete teilweise drei bis sechs Leute am Abend. Bei den Kindern waren es ein paar mehr. In einer mit Arbeitslosigkeit gebeutelten Region (ehemaliges Braunkohlenrevier) saß das Geld nicht so locker und ich konnte nicht viel Schulgeld verlangen. Zudem war ich immer noch teurer als der Monatsbeitrag in einem Verein. Es war sehr, sehr anstrengend und ich investierte viel Zeit und finanzielle Mittel in den Aufbau einer WT-Schule in Senftenberg.
Erst 2001, als meine eigene Schule mit festem Standort eröffnet wurde, stiegen die Schülerzahlen kontinuierlich an.

Du bist schon seit 1991 kontinuierlich dabei und bereitest Dich erst jetzt auf den 2. TG vor. Wie schafft man das?
Seit 14 Jahren bin ich 1. TG und bereite mich gerade auf den zweiten vor. Ich weiß, ich müsste schon 4.TG oder gar 5.PG sein. Nach Erreichen des 1.TG drückte ich ein bisschen auf die Bremse. Die Familie unterstützte mich viele Jahre und wollte jetzt wieder ein bisschen mehr Zeit mit mir verbringen. Dazu kommt meine Arbeit als Kriminalbeamter, die ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf. Ich selbst sehe es nicht als schlimm oder nachteilig an, „erst“ 1.TG zu sein. Meine Schüler kommen nicht wegen meines Titels. Sie kommen wegen dem, was ich unterrichte, wegen der Person, die dort unterrichtet, wegen der Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zur Schule.

Du bist bei der Kriminalpolizei. Welche Erfahrungen kannst Du aus Deinem Beruf im WT-Unterricht einbringen?
Ich musste WT erst ein Mal einsetzen. Allerdings war das 1992, als ich noch „blutiger Anfänger“ war. Es war ein spontaner Polizeieinsatz gegen eine Rumänenbande, die aus einem Asylheim heraus agierte und regelmäßig Panzerschränke in umliegenden Einkaufsmärkten mit brachialer Gewalt nachts entwendete und dann aufbrach. Nach einem Insiderhinweis rückten wir dort ins Asylheim ein, machten alles „platt“ und fanden auch das gestohlene Geld komplett. Durch eine falsche Abstimmung mit einem Kollegen stand ich plötzlich allein in einem kleinen Zimmer zwei gewalttätigen Rumänen gegenüber. Ohne große Worte und das Überraschungsmoment ausnutzend, brachte ich beide zu Boden und kontrollierte sie bis Verstärkung kam.
Mein berufliches Wissen lasse ich im WT außen vor. Das hat dort nichts zu suchen. WT betrachte ich da ganz neutral. Ich möchte beides nicht miteinander verbinden.

(Wie) Unterrichtest Du Polizisten anders als Deine anderen Schüler?

Polizeibeamte unterrichte ich nicht anders als andere Schüler. Sie bekommen von mir nebenbei intern Hinweise, wie sie bestimmte Techniken polizei- bzw. bürgerfreundlich einsetzen sollten und können.

Wie ist das Verhältnis Männer/Frauen/Kinder (in Prozent) in Deiner Schule?
Ich unterrichte 50 % Männer, 10 % Frauen und 40 % Kinder. Ich wünschte, der Frauenanteil wäre höher.

Du bietest auch „Baby-KungFu“ (4-6 Jahre) an, bei dem auch schon mal 3- bis 4-Jährige mitmachen. Was unterrichtest Du so jungen Teilnehmern?
Meine „Babys“ haben ein Mal in der Woche für 45 Minuten Unterricht. Spiele stehen im Vordergrund. Die Kinder sollen lernen sich in eine Gruppe einzufügen, die anderen Kinder als gleichberechtigt zu akzeptieren, Regeln und Normen des Unterrichts einzuhalten. „Babys“ lernen, was eine Faust ist und wie man sie hinbekommt, wie man auf einem Bein steht, wie man das Gleichgewicht hält. Es gibt auch Aktions- und Reaktionsübungen, und sie üben schon einmal ganz vorsichtig den ersten und zweiten Satz der SiuNimTau. Der vierte Satz macht den Kleinen am meisten Spaß, weil ich diesen mit gesprochenen, kindgerechten Bildern begleite.

Was ist für Dich wichtig beim Kids-Unterricht?
Ich beginne einmal mit dem, was für die Eltern wichtig ist, die ihre Kinder in meine Obhut geben: In der Schule, im Hort und in den Kindertagesstätten sind hauptsächlich Frauen mit der Erziehung unserer Kinder beschäftigt. Männer sind in der Unterzahl.
Daher sehen es Eltern als vorteilhaft an, dass ein Mal in der Woche ein Mann mit einer kräftigen autoritären Stimme die Erziehung der Kinder übernimmt. Aus Gesprächen mit Eltern weiß ich, dass die Kids Regeln und Normen bei einem Lehrer eher bereit sind zu akzeptieren, als bei einer Lehrerin.
Mir selbst liegen in erster Linie die Kinder am Herzen. Ich genieße es, in ihre stolzen und freudigen Augen und Gesichter zu schauen, wenn sie einen kleinen Erfolg für sich verbuchen konnten oder von mir Lob und Anerkennung erhalten. Da sind auch Kinder dabei, die es aufgrund ihrer Leibesfülle oder anderer Umstände nicht einfach haben, sich bei Gleichaltrigen durchzusetzen. Diesen Kindern möchte ich besonders helfen und ihnen aufzeigen, was tatsächlich in ihnen steckt, auf was sie stolz sein können und dass sie etwas Einzigartiges bei mir lernen.
Kinder sollen ein Gespür für Gerechtigkeit, gegenseitige Achtung und Hilfsbereitschaft untereinander entwickeln. Dabei möchte ich ihnen helfen und Partner sein.
Ich bin ehrlich, ich unterrichte mit einer gewissen Strenge, aber auch mit sehr viel Spaß, Spielen und Toben. Ich denke, die richtige Mischung macht‘s und die Schülerzahlen und die Erfolge bei Schülergradprüfungen geben mir Recht.

Welche Übungen kommen (bei allen) am besten an?
WT-Kampfanwendungen in Alltagssituationen, kampfbetonte Übungen im Stand und am Boden, gestellte Auseinandersetzungen mit anderen Systemen.
Manche Schüler bringen Problemsituationen, die ihnen selbst passiert sind und für die sie nicht die richtige Lösung hatten, mit ins Training. Wir erarbeiten dann gemeinsam Lösungen und trainieren diese im Anschluss.

Auf was legst Du heute noch Wert, wenn Du an Deinen Unterricht aus zu DDR-Zeiten denkst?
Eigentlich ist da nicht viel übrig geblieben. Ich lege Wert auf Pünktlichkeit, Sauberkeit, Korrektheit, Fairness, einen kameradschaftlichen Umgang untereinander. Ich achte darauf, dass die Werte des WingTsun und die Leistung der Großmeister, die uns dieses fantastische System geschaffen und hinterlassen haben, richtig eingeordnet und gewürdigt werden.

Was nimmst Du mit aus dem Leadership?
Leider hinke ich da ein bisschen hinterher. Ich habe erst das Leadership 1 besucht. Zu meiner Überraschung hat mir das aber doch mehr Impulse für meinen Unterricht gegeben, als ich es gedacht habe. Daher bin ich nun auch bestrebt, nach und nach alle anderen Leadership-Seminare zu besuchen.

Was ist Dein persönliches Rezept für eine erfolgreiche WT-Schule?

Eine WT-Schule muss eigene Räume besitzen, die als Anlauf- und Treffpunkt der Schüler angesehen und akzeptiert werden. Schüler möchten sich mit der „eigenen“ Schule identifizieren. Das Zugehörigkeitsgefühl ist entscheidend. Meine Schüler stammen aus allen sozialen Schichten mit unterschiedlichsten Berufen und Tätigkeiten. Auch Rentner und Arbeitslose gehören dazu und benötigen erst recht dieses Gemeinschaftsgefühl. Der WT-Lehrer muss Vorbild für alle sein. Sein Wort und sein Handeln haben Gewicht. Die Trainingsatmosphäre muss stimmen und jeder muss sich wohlfühlen. Das alles sorgt für positive Mundpropaganda, einen zunehmenden Bekanntheitsgrad der Schule und wachsende Schülerzahlen.

Mit welchen Eigenschaften siehst Du Dich selbst als WT-Lehrer?
Das ist eigentlich eine Frage für meine Schüler und meinen Bekannten- und Verwandtenkreis. Selbstlob war noch nie meine Stärke.

Was bedeutet das Unterrichten für Dich?
Das Unterrichten lag mir schon zu DDR-Zeiten, als ich während meiner Schulzeit eine Lernpatenschaft übernommen hatte. Später beim Abitur war meine Deutschlehrerin davon überzeugt, dass ich ein gutes Händchen dafür hätte, mit Menschen zu arbeiten.
Nach der Wende und dem Einstieg ins WT sah ich endlich eine Möglichkeit, mich selbst zu verwirklichen, indem ich meine eigene Schule gründete. Unterrichten ist für mich ein Ausgleich zur Polizeiarbeit: ein bisschen Abtauchen in eine andere Welt, das Vermitteln einer tollen Kampfkunst, das Genießen, eifrige und lernwillige Schüler zu sehen.

Was sind Deine Pläne für die Zukunft? (bezüglich WT, WT-Schule, EWTO, …)
Da steht an erster Stelle mein 2.TG. Dann habe ich da die eine oder andere Idee für meine Schule und ich werde mich mehr um das Besuchen der Leadership-Seminare der EWTO bemühen.
Neben meinem WT-Unterricht biete ich u.a. auch Workshops zu verschiedenen Themen an. Hier arbeite ich momentan stark mit der EURO-Schule Görlitz zusammen. Diese Zusammenarbeit soll künftig noch mehr ausgebaut und vertieft werden.

Was willst Du den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?
WT bietet die Möglichkeit einen Ausgleich zum Beruf, zum täglichen Stress zu finden. WT bietet die Möglichkeit viele tolle und interessante Menschen kennen zu lernen. WT bietet die Chance, sich selbst zu verwirklichen, indem man eine eigene Schule leitet oder als Ausbilder tätig wird. WT schafft Selbstsicherheit.

Das Interview führte Sifu Oliver C. Pfannenstiel
Fotos: WT-Schule Senftenberg