Mit Punkttheorie und Nasenspray gegen Pickelausquetscher und verstopfte linke Nasenlöcher
Wiesbaden
Eigentlich wollte sich Zabit H. (29) nur gepflegt rasieren lassen. Im Salon stellte sich plötzlich der Bruder des Friseurs vor den Spiegel und drückte sich einen Pickel aus ...
Empört lief der Kunde hinaus zum Auto, holte ein Staubsaugerrohr und schlug damit auf Friseur Okan K. (20) ein. Der zerschnitt ihm aus Rache mit dem Rasiermesser das Gesicht. Blutüberströmt rannte der Kunde wieder hinaus und stieg in seinen Opel Ascona. Er wollte in die Scheibe des Friseurladens fahren. Das Auto blieb aber an einem Sockel hängen. Der Fahrer geriet noch mehr in Wut – und zertrümmerte die Windschutzscheibe seines Wagens.
Dann kam die Polizei und nahm ihn mit – unrasiert.
Nachdem ich in den letzten Monaten über mein Lieblingsthema der 1. Ebene schrieb, nämlich über „lebendiges“ Chi-Sao-Training und wie es – richtig betrieben – unsere Selbstverteidigungsfähigkeit verdoppeln und verdreifachen kann, möchte ich heute mit Euch zwei Stufen höher steigen und vor dem gefährlichsten Feind überhaupt warnen: vor der blindmachenden Wut in uns selbst.
Mehr Schaden und Unglück sind durch solch scheinbar unkontrollierbare Wutausbrüche aus nichtigem Anlass entstanden als durch Überfälle von Kriminellen und Terroristen. Dabei würden gezielt eingesetzte Nasensprays die Gefahr sofort beenden. Aber ich will nicht vorgreifen.
Blinde Wut ist außerdem ein Energieräuber erster Klasse. Manch hoher WingTsun-Meister – aus verletztem Ego zum Sklaven seiner Wut geworden – war tagelang unfähig zu denken und zu handeln. Und dabei hätte er schon Stunden später nicht mehr erklären können, weshalb er so wütend war. Man kann sich nur schwer wehren, wenn die Wut über einen herfällt, falls man die Anzeichen (z.B. verstopftes linkes Nasenloch) nicht rechtzeitig bei sich bemerkt
Der Meister aber sollte die Fähigkeit entwickelt haben, sich wieder an sich zu „erinnern“, nachdem er sich kurzfristig „vergessen“ hat. Dann wäre es auch möglich, diese Energie umzuformen und für Positives zu benutzen, z.B. zur Schaffung von neuem Leben. So jedenfalls gestaltet sich bei manchen Paaren erfolgreiches Konfliktmanagement: Make love not war!
Wer sich aus seiner blinden Aggression nicht rechtzeitig befreien kann, ist kaum weniger zu bedauern als sein Opfer. Denn oft wendet sich die Wut am Ende aus Verzweiflung und Scham gegen den Täter selbst.
Aber noch häufiger schlägt er weiter auf das Opfer ein, weil (!) der blinde Wüterich – zur Besinnung gekommen – sich seiner Tat schämt. Er prügelt weiter, weil ihm nichts anderes einfällt, er sieht keine Alternative. Er ist blind und selbst zur personifizierten Wut geworden. Außerhalb der Wut existiert er nicht mehr.
Jemand, der WingTsun meistern will, weiß, dass die für uns wichtigste Geschwindigkeit die ist, mit der wir uns auf Neues umstellen können: vom Fauststoß zu Bong-Sao, von Bong zu Tan, von innen nach außen, von Angriff zur Abwehr, von Vorgehen zu Zurückweichen, von aktiv zu passiv, und wieder zurück .
Diese Fähigkeit, (sich selbst) zu ändern, in möglichst vielen (Entscheidungs-)Punkten eines Prozesses, macht den Meister aus, sollte ihn ausmachen.
Aber man muss sie immer wieder üben, indem man sie anwendet, diese „Punkttheorie der 3. Ebene“, sonst verlernen wir sie.
Jede Gelegenheit, wo uns die unheilvolle Kraft der „Identifikation“ (wie sie ein verstorbener berühmter Mystiker nannte) zu ergreifen droht, sollten wir begrüßen als Trainingsgelegenheit, uns selbst rauszureißen aus diesem dumpfen Schlaf.
Schaffen wir es, uns bei solch einem dummen Wutausbruch zu beobachten, so wie man ein fremdes Tier betrachtet, am besten aus der hohen Warte des Universums, dann werden wir uns so lächerlich und klein vorkommen, dass wir – mit etwas Übung – in ein schallendes Gelächter ausbrechen und – unser Staubsaugerrohr wieder im Kofferraum verstauen ... (Siehe Zeitungsausschnitt oben)
Weitere Tricks, wie man sich selbst (!) de-eskalieren kann, funktionieren nach dem Motto: Innen wie außen, außen wie innen, und Osho unterrichtete sie schon, als er noch Bhagwan hieß:
1.Trick: Mundwinkel hoch!
So wie unsere innere Einstellung unsere äußere Erscheinung bestimmt, so bestimmt unser Äußeres unser Inneres.
Weil wir traurig sind, hängen unsere Mundwinkel runter. Aber wir sind auch traurig, WEIL unsere Mundwinkel herunterhängen.
Ziehen wir, wenn wir traurig sind, unsere Mundwinkel mit den Fingern mit Kraft nach oben und halten wir sie hoch, dann wird sich unsere Stimmung in wenigen Sekunden ändern.
2. Trick: Augenbrauen hoch!
Gestern war ich im Auto unterwegs und hatte es mächtig eilig. Die Straße war schmal und auf der Gegenfahrbahn parkten Fahrzeuge. Dennoch quetschte sich ein frecher Zeitgenosse mit seinem Gefährt auf meine Spur und wollte mich mit Lichthupe dazu nötigen, zwanzig Meter zurückzusetzen.
Natürlich tat ich ihm nicht den Gefallen. Die Autoschlange hinter ihm und hinter mir wuchs und ungeduldiges Hupen begann, weil sich nichts rührte. Unsere Wagen standen Stoßstange an Stoßstange und als er mir drohte, verspürte ich eine leise Lust, sie genau zu diesem Zweck einzusetzen. Natürlich unterdrückte ich diesen Impuls, aber als mein Kontrahent offenbar Anstalten machte, das Fahrzeug zu verlassen, gurtete ich mich schnell ab, um handlungsfähig zu sein. Meine Tür verriegelte ich aber absichtlich nicht, was mir zeigte, dass mein Wunsch, ihn am Kragen zu packen und durchzuschütteln, immer mächtiger wurde.
Nun fiel mir gerade noch rechtzeitig mein erprobter Standardtrick Nr.2 ein: Ich atmete zunächst ruhig und tief, bis ich mich etwas beruhigte. Dann zog ich bewusst die Augenbrauen hoch. Meine Aggression und der Drang, mir den Typ zu krallen, war schnell verschwunden.
Man zieht die Augenbrauen sonst nur hoch, wenn man erstaunt ist und dringend Informationen braucht, um die Welt um sich herum zu verstehen. Wer aggressiv ist, zieht die Augenbrauen nicht hoch. Wer die Augenbrauen hochzieht, kann nicht (mehr) aggressiv sein: Innen wie außen.
Der Trick hat gewirkt. Nach einem Zeitraum, der wie eine Stunde erschien, aber wahrscheinlich nur wenige Minuten gedauert hatte, fuhr mein Kontrahent zurück und ich freundlich grinsend an ihm und einer langen Schlange wartender Autos vorbei.
3. Trick: Lippen lecken!
Ich hätte mir auch die Lippen lecken können, denn wer sich genussvoll die Lippen leckt, verliert ebenfalls jede Aggression. Zum Aggressivsein gehören zusammengepresste Lippen, also Verbissenheit. Genüssliches Lippenlecken und Aggressivität passen einfach nicht zusammen.
4. Trick: Ein Nasenloch zuhalten
Wenn man sich daran hindern will, wuterfüllt auf den anderen loszugehen, dann halte man sich das rechte Nasenloch zu, und die Wut wird innerhalb von Sekunden verschwunden sein.
Will sich frau aber selbstbewusst durchsetzen, dann soll sie sich das linke Nasenloch zuhalten und durch das rechte atmen. So wollen es einige Experten wissen. Dieses „Geheimnis“ war den östlichen Weisen schon lange bekannt, bevor die westliche Wissenschaft die beiden separaten Gehirnhälften mit ihren verschiedenen Funktionen erkannte. Atmet man(n) durch das linke Nasenloch, dann beteiligt man(n) (über Kreuz) die gefühlvolle, rechte weibliche Gehirnseite. Atmet man(n) durch das rechte Nasenloch, dann aktiviert er seine männliche, kriegerische Seite.
Vermutlich hatte mein Frechling Schnupfen und sein linkes Nasenloch war verstopft ...
5. Trick: Kiefer hängen lassen
Schon an anderer Stelle empfahl ich, zur Abwechselung einmal den Kiefer dümmlich herabhängen zu lassen und durch den Mund zu atmen, weil das vom Denken befreit, indem es die Gehirnhälfte(n) nicht so aktiviert wie Nasenlochatmen, so dass wir die Dinge anders sehen.
Auch bewusstes Hängenlassen des Kiefers nimmt uns sekundenschnell die Aggressivität, so dass manches Unglück vermieden werden kann.
Vergessen wir nicht: Jede körperliche Auseinandersetzung kann schlimme und unvorsehbare Konsequenzen haben, die kleine Tricks wie diese vermeiden können.
Unglücklicherweise haben wir meistens niemand dabei, der uns im Adrenalinrausch daran erinnern kann, dass wir tief atmen, und zwar durchs linke Nasenloch, bis zehn zählen, unsere Mundwinkel oder Augenbrauen hochziehen, unsere Lippen lecken oder den Unterkiefer fallen lassen sollen.
Dabei wären diese Fertigkeiten gerade zur Weihnachtszeit besonders gefragt, denn es gibt kaum einen beliebteren Zeitpunkt für Familientragödien. Deshalb mein letzter Tipp für die Festtage: Haltet stets „Nasic“-Spray bereit und das linke Nasenloch frei.