Kein Drehbuch für den nächsten Kampf
„Immer wieder versucht der Mensch“, so fand ich es bei Pfarrer Mauch, „seine ungeordnete Welt so lange zu bearbeiten, bis sie ‚in Ordnung‘ ist.“
Danach gilt es, sie genau in dem Moment, da Ordnung erreicht ist, zum Stehen zu bringen. „Verweile doch, du bist so schön“, heißt es in Goethes Faust I. Dadurch will man den Rückfall ins Chaos, in die Unkontrollierbarkeit verhindern.
Haben wir es in einem Glücksaugenblick geschafft, dass wir den Angriff des Gegners erfolgreich abwenden und ihn gleichzeitig treffen konnten, wollen wir aufatmen und uns zurücklehnen und unser Werk betrachten.
Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Wir sind nicht die einzig und allein Handelnden, wie es uns die SV-Lehrbücher und -DVDs ‚wahr’-machen wollen. In der Realität macht der Angreifer nicht einen einzelnen Fauststoß und wartet, bis wir mit ihm fertig sind. Aber diese Vorstellung von ‚Wahrheit’ hat etwas Beruhigendes.
„Zur Wahrheit gehört Ordnung“, auch das lehrte mich der Theologe. Haben wir sie einmal gepackt, dann müssen wir für ihre Absicherung sorgen, sonst verkehrt sich die für uns günstige Situation in eine unklare, vielleicht sogar in unsere Niederlage. Wir müssen alle Möglichkeiten zu neuer Veränderung, das heißt zur Unordnung, ausschalten. Wenn wir den anderen nicht k.o. schlagen konnten, müssen wir uns versteifen und ihn halten, um die Situation festzuhalten; denn ob wir ein zweites Mal wieder so viel Glück haben?
Die größte Sicherheit und Ordnung bieten Drehbücher, die wir selbst geschrieben haben. Pläne, die auch der Gegner strikt befolgt. Deshalb sind Partnerformen so beliebt, mag GM Leung Ting noch so oft schreiben, dass der Kampf kein Tango sei.
Wir wollen, dass der Kampf ein Tango ist und ohne Überraschungen. Wir verschließen die Augen davor, dass der Kampf keine statische Situation ist mit geordnetem Technik-Austausch, wobei wir das letzte Wort haben müssen. Wir wollen nicht ‚wahr’-haben, dass er ein lebendiger, unplanbarer Prozess ist, den man nicht vorher einstudieren kann.
Nachdem ich nun den Gottes- und meinen literarischen Gewährsmann schon so hemmungslos geplündert habe, soll er auch noch das komplette Schlusswort für dieses Editorial liefern:
„So umgeben wir uns mit einer toten Welt. Wir wenden uns von dem ab, was uns wirklich umgibt, und vereinfachen die Welt in unserer Sichtweise so weit, bis sie überschaubar wird, sich nicht mehr verändert und uns nicht mehr überrascht.“
Euer SiFu/SiGung
Keith R. Kernspecht