Gerichtsurteile und BlitzDefence - Teil 3
Ein 52-jähriger Diplomingenieur hat seine ehemalige Lebensgefährtin in Südbaden zwischen 1998 und 1999 täglich mit Anrufen terrorisiert. Er stellte ihr nach, bedrohte sie, plakatierte obszöne Zettel mit ihrer Telefonnummer und fand später auch ihre neue telefonische Geheimnummer heraus. Schließlich eskalierte die Situation, als sie mit ihrem neuen Freund auf einem Motorrad unterwegs war und er mit seinem Auto beide auf die Gegenfahrbahn abdrängte. Mit viel Glück passierte nichts.
Die 40-jährige Frau wagte sich zu einer Strafanzeige. Im ersten Verfahren wurde der Mann freigesprochen. In einer Revision verurteilte das Oberlandesgericht Karlsruhe den Ingenieur wegen Körperverletzung, Beleidigung, Hausfriedensbruch und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Strafe von Führerscheinentzug und 18 Monaten Haft, wenn er sich nicht in Therapie begibt. (Aktenzeichen 3 Ss131/00 Beschluss vom 24.Januar 2001)
In der kriminalpsychologischen Fachsprache haben wir es hier mit einem Stalker bzw. mit Stalking zu tun. Dieser Begriff bedeutet Nachstellen bzw. Heranpirschen.
Viele Stalkinghandlungen erfüllen Straftatbestände wie Beleidigung, Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch.
Dem Weißen Ring zufolge wird etwa jede/-r Zehnte wird im Lauf seines Lebens einmal gestalkt. Über 80 Prozent der Stalker sind männlich, über 80 Prozent der Stalking-Opfer sind weiblich. In etwa der Hälfte der Fälle bestand vorher eine Paarbeziehung. In anderen Fällen handelt es sich um Nachbarn, Arbeitskollegen, (flüchtigen) Bekannten oder Unbekannten.
Einer Studie zufolge kommt nur ein Bruchteil (Schätzzahl 7%) aller Delikte zur Anzeige, da die Betroffenen meistens eingeschüchtert sind. Etwa 70 % sind zur Veränderung ihrer Lebenssituation gezwungen. Auswirkungen von Stalking sind posttraumatische Stresssymptome, Angstzustände und körperliche Schädigungen.
In den USA ist Stalking seit vielen Jahren ein Thema und es gibt eine eindeutige Rechtsprechung. Einige Sicherheitsunternehmen haben sich dort darauf spezialisiert, Stalking-Betroffene zu beraten und ein umfassendes Hilfeprogramm aufzustellen.
Hierzulande hat in Fachkreisen erst innerhalb der letzten Jahre eine Auseinandersetzung mit Stalking begonnen. Inzwischen entstehen Stalkingberatungsstellen. Rechtlich wurde auf diese Problematik erst im Januar 2002 mit dem so genannten Gewaltschutzgesetz reagiert. Es beinhaltet zivilrechtliche Maßnahmen im Sinne von Schutzanordnungen, die Kontakt-, Näherungs- und Aufenthaltsverbote zur Folge haben. Der Verstoß dagegen ist strafbar und wird mit Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis sanktioniert. Im Frühjahr diesen Jahres wird im Bundesrat über ein Strafmaß bis zu drei Jahren entschieden.
Das Bewusstsein von Stalking ist in unserer Gesellschaft noch nicht ausgeprägt. Vielleicht war das der Grund, warum der Ingenieur in der ersten Instanz freigesprochen wurde.
Immer wieder wird permanentes Nachsetzen gesellschaftlich als „Liebesbeweis“ gedeutet. Man(n) ist der Meinung, eine Frau müsse trotz ihrem „Nein“ „erobert“ bzw. „überzeugt“ werden. Auch in Kinofilmen wie z.B. „Die Reifeprüfung“ wird Stalking gesellschaftsfähig gemacht. Andererseits fehlt es oftmals an klarer Kommunikation der Betroffenen. Genau hier kann BlitzDefence ansetzen.
Wie hätte BlitzDefence der 40-jährigen Frau eine Hilfestellung bieten können?
Grenzen wahrnehmen – Grenzen ziehen:
Der Schritt, Grenzen in einer „ungleichen“ Beziehung zu ziehen ist für die meisten Frauen (und auch Männern) sehr schwierig. Wer von Stalking betroffen ist, sollte sich unbedingt professionelle Hilfe suchen (Frauennotruf, Weißer Ring, Stalkingberatungsstellen). Eine WT-Schule kann nur begleitend dazu Hilfestellungen geben.
Eine US-amerikanische Studie kommt zum Ergebnis, dass Stalking-Verhaltensweisen bereits in der Partnerschaft auftreten und nach deren Beendigung verstärkt fortgeführt werden und oft zur Eskalation führen. In diesem Fall sollten möglichst frühzeitig das Machtgefälle innerhalb der Beziehung erkannt und Grenzen gezogen werden.
Die ersten BlitzDefence-Programme bieten die Möglichkeiten, eigene Körpergrenzen wahrzunehmen, ein positives Selbstwertgefühl in einem angenehmen Unterrichtsklima zu stärken und mit WT-Techniken langfristig zu mehr Selbstsicherheit zu verhelfen.
In Rollenspielen können Situationen geübt werden, sich (verbal/mental) gegen aufdringliche Annäherungsversuche zu schützen. Es gibt Stimmen, die dazu auffordern, dem Stalker gegenüber sehr direkt zu reagieren. Der Umweg über vorgeschobene Freunde, die Polizei oder zweideutigen Aussagen kann einen „Jagdinstinkt“ bei ihm wecken.
Rechtfertigungen oder „Schutzausreden“ sollten am besten vermieden werden. Sie geben dem Stalker Anknüpfungspunkte für weitere Belästigungen und Einschüchterungen. Die direkte Konfrontation sollte ihm ein eindeutiges „Nein“ vermitteln, das sich jeder anderen Interpretation entzieht.
Der Gang zur Polizei bzw. vor Gericht kann die wichtige persönliche Auseinandersetzung mit dem Stalker nicht ersetzen. Nicht alle Stalker geben danach auf. Ein Gerichtsurteil kann aber eine unterstützende Gewissheit bieten, das Recht auf der eigenen Seite zu haben.
Deshalb ist es wichtig, von Beginn an Beweismaterial zu sammeln, um vor Gericht erfolgreich zu sein.
Der Autor ist kein Jurist. Alle o.g. Angaben erfolgen ohne juristische Gewähr.
Wer im Rahmen der EWTO mehr über Frauenselbstverteidigung erfahren will, dem/der rate ich zu den entsprechenden Ausbilder/innenseminaren von Sabine Mackrodt und Emanuel Kellert sowie dem Buch „Verteidige Dich³ – Selbstverteidigung für Frauen“.
Oliver C. Pfannenstiel, 3. TG
Anlaufstellen für Stalkingbetroffene:
www.frauennotrufe.de
www.weisser-ring.de
www.stalkingforum.de
www.stalkingforschung.de
Auszug aus dem Gewaltschutzgesetz
(1) Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Anordnungen sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. Das Gericht kann insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt,
1. die Wohnung der verletzten Person zu betreten,
2. sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten,
3. zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält,
4. Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen,
5. Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen, soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn
1. eine Person einer anderen mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit widerrechtlich gedroht hat oder
2. eine Person widerrechtlich und vorsätzlich
a) in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt oder
b) eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 2 Buchstabe b liegt eine unzumutbare Belästigung nicht vor, wenn die Handlung der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 oder des Absatzes 2 kann das Gericht die Maßnahmen nach Absatz 1 auch dann anordnen, wenn eine Person die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen hat, in den sie sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel vorübergehend versetzt hat.