Gerichtsurteile und BlitzDefence -Teil 2
Rechtlich ist das in §127 (1), Vorläufige Festnahme, geregelt. Darin heißt es: „Wird jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann, jedermann befugt, ihn auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzunehmen.“ Dem Gesetz ist es in diesem Fall egal, ob du Ottonormalbürger/in, Taxifahrer, Türsteher oder Kaufhausdetektiv bist.
Wichtig ist, dass sofort die Polizei zu alarmieren ist. Sie übernimmt dann die Personenkontrolle und alles Weitere.
Ein flüchtender Betrunkener nachts im Dorf
Eine vorläufige Festnahmesituation spielte sich im August 1999 bei Grevenbroich ab, in der ein Taxifahrer nachts seinen betrunkenen Fahrgast stellen wollte. Dieser flüchtete aus dem Taxi, ohne seine Rechnung zu bezahlen. Der Fahrer holte den Zechpreller ein und verwickelte ihn in ein Gerangel mit Tritten und Schwitzkasten am Boden.
Während der Geprellte im Kampfgeschehen laut nach der Polizei rief, gelang es dem Angeklagten, sich auf dem Würgegriff zu befreien und erneut zu entfliehen.
Die Verfolgungsjagd ging quer durch das Dorf, bis der Taxifahrer den Fahrgast wiederum stellte und umklammerte. Ein alarmierter Anwohner mischte sich ins Kampfgeschehen ein. Er gab sich als Polizist zu erkennen. Beide versuchten erfolglos, den wild um sich schlagenden Zechpreller zu stellen. Der Polizist wurde niedergeschlagen und der Taxifahrer schaffte es nicht mehr, den Flüchtenden zu erwischen. Erst eine eintreffende Polizeistreife spürte den Täter in einem Garten auf. Er wurde daraufhin wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen von je 40 Euro verurteilt.
Das Amtsgericht Grevenbroich wertete den aktiven Einsatz des Taxifahrers als gerechtfertigt und sah für den zechprellenden Fahrgast keine Notwehrsituation vorliegen. In der Begründung heißt es: „Dieser Angriff (des Taxifahrers, d. A.) war jedoch nicht rechtswidrig, sondern durch ein Festnahmerecht nach § 127 I 1 StPO gerechtfertigt. Hiernach war der Nebenkläger (Taxifahrer) befugt, den Angeklagten auch unter Anwendung physischer Gewalt festzuhalten. Der Angeklagte war offensichtlich flüchtig; andere Möglichkeiten zur Feststellung seiner Identität gab es in der konkreten Situation nicht. Des Weiteren war der Angeklagte vom Nebenkläger auch auf ‚frischer Tat betroffen’ worden. Unter den Tatbegriff des § 127 1 I StPO fällt jedes Verhalten, das eine strafrechtliche Sanktion nach sich ziehen kann, es muss sich daher um eine Straftat oder zumindest eine rechtswidrige Tat handeln, wobei jedoch die Festnahmebefugnis der Privatperson nicht davon abhängt, dass der Betroffene wirklich eine Tat begangen hat. Es genügt vielmehr, dass die erkennbaren äußeren Umstände einen dringenden Tatverdacht nahe legen (vgl. Boujong, in: KK-StPO, Rdnrn. 7, 9 m. w. Nachw.).“ Die Befreiungsschläge des Fahrgastes gegen den Taxifahrer wertete das Gericht demzufolge als vorsätzliche Körperverletzung.
Das 11. BlitzDefence-Programm „Sanfte Mittel“ (und Kommunikation) hätte dem Taxifahrer die Möglichkeit gegeben, den Fahrgast vorläufig festzunehmen und sich im Notfall z.B. mit einem K.-O.-Schlag zu wehren. Immerhin hat er laut nach der Polizei gerufen und somit sein Handeln für Außenstehende nachvollziehbar gemacht. Da sich der Vorfall nachts auf leerer Straße im ländlichen Bereich abspielte, wäre es die „bequemste“ Lösung gewesen, den Fahrgast lediglich (heimlich) zu verfolgen. In dieser Situation ist es einfacher als z.B. tagsüber in Ballungszentren, jemanden aufzuspüren. Die eintreffende Polizeistreife hatte den Flüchtenden ohnehin gestellt.
Die Verfolgung eines Verdächtigen ist aber nicht immer erfolgsversprechend; so z.B. in der Rush-Hour im Kaufhaus einer Kleinstadt. Sei vorsichtig, wenn du einen Dieb stellen willst! Besonders tragisch endete der Versuch eines Kaufhausdetektivs 1999 in Arnsberg, einen Ladendieb vorläufig festzunehmen. Hinter dem Kassenbereich stellte der Sicherheitsmitarbeiter den Mann mit fünf gestohlenen CDs. Dieser widersetzte sich und nahm die Beine in die Hand. Laut Gerichtsakte (BGH, Urteil vom 10. 2. 2000 - 4 StR 558/ 99; LG Arnsberg ) geschah Folgendes: „Als der 13 kg schwerere und 13 cm größere D. sich der Feststellung seiner Personalien widersetzte, nach dem Angeklagten schlug – oder ihn beiseite schob – und die Flucht ergriff, verfolgte ihn der Angeklagte und sprang ihn von hinten an, wobei er seinen linken Arm um dessen Hals legte. Durch den Anprall gingen beide zu Boden. Während der Angeklagte versuchte, den in die „Unterlage" geratenen D. „am Boden zu fixieren", rief er um Hilfe und forderte D. „mehrfach auf, sich zu ergeben und zum Zeichen der Aufgabe mit der Hand auf den Boden zu schlagen". D. zeigte jedoch ‚keine derartige Reaktion’.“ Zwei zu Hilfe gerufene Mitarbeiter halfen dem Detektiv, D. am Boden festzuhalten. Während zwei Männer die Arme und Beine von D. fixierten, nahm ihn der Kaufhausdetektiv in den Würgegriff. „Während der gesamten Zeit hielt der Angeklagte den Hals des D. weiter in seiner linken Armbeuge, wobei er den ertappten Dieb über einen Zeitraum von mindestens drei Minuten ohne Unterlass derart würgte, dass diesem die Luftzufuhr vollständig abgeschnitten wurde."
Als die Polizei eintraf, konnte sie nur noch den Erstickungstod des D. feststellen. Das Landgericht verurteilte den Kaufhausdetektiv wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. In einer Revision hat der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben. Es wurde zur erneuten Verhandlung an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des zuständigen Landgerichts zurückverwiesen. Die Begründung hierfür lautete, dass sich der Detektiv in einer Notwehrsituation nach StGB §32 befand. Der Dieb wehrte sich trotz mehrmaliger Vorwarnung und Beschwichtigung mit allen Kräften. „Die Rechtfertigung des Würgegriffs entfiel jedoch objektiv, als D. in der zweiten Minute der Strangulation bewusstlos wurde und mit Erstickungskrämpfen reagierte. Der Angeklagte war jetzt, soweit Trutzwehr überhaupt erforderlich war, zur größtmöglichen Schonung angehalten (vgl. zu Schuldunfähigen BGHSt 3, 217, 218; BayObLG NStZ 1991, 433, 434; StV 1999, 147 f.; Wessels/ Beulke aaO Rdn. 344; Tröndle/ Fischer StGB 49. Aufl. § 32 Rdn. 19 m. w. N.)“, so der Bundesgerichtshof. Er kam zum Ergebnis, dass es sich um fahrlässige Tötung statt um (vorsätzliche) Körperverletzung mit Todesfolge handele.
Zum Schwitzkasten resümierte die Revision: „Er war nicht gehalten, auf die Anwendung weniger gefährlicher Abwehrmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft war; auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang brauchte er sich nicht einzulassen.“
Fazit
Der Schwitzkasten, der in beiden geschilderten Fällen zum Einsatz kam, ist eine häufig anzutreffende Technik zur „Vorläufigen Festnahme“.
Er wird bereits unter kleinen Jungs geübt und ist bei Erwachsenen im Kampfverhalten oft zu beobachten. Der Kehlkopf als Schwachpunkt ist auch ein primäres Ziel bei jagenden Raubtieren. Dem Gehirn wird beim starken Würgen die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten und es kommt zur Ohnmacht. Außerdem kann nach wenigen Minuten der Erstickungstod eintreten.
Genau das sollte berücksichtigt werden, wenn die Sanfte Mittel-Technik des Würgegriffs (11. Schülergrad-Programm) eingesetzt wird. Es geht nicht nur um die Kontrolle des Angreifers, sondern auch um Selbstkontrolle. Weiterhin ist es wichtig, mit demjenigen deeskalierend zu kommunizieren, der kontrolliert bzw. fixiert wird; das auch, um Panikattacken und Schockzustände zu vermeiden. Woher soll der Festgenommene wissen, dass es friedlich gemeint ist, wenn ihm die Gurgel zugedrückt oder der Arm fast gebrochen wird? Die Ansage, dass ihm „nichts passiert und alles in Ruhe geklärt wird“, erscheint mir sinnvoller als eine indirekte Kampfaufforderung, dass er „endlich aufgeben soll“. Sowas stachelt u.U. den Kampfgeist an.
Beide Fälle unterstreichen die Wichtigkeit von Rollenspielen im BlitzDefence-Unterricht hinsichtlich von Kontrolltechniken. Sie zeigen, dass Kommunikation und Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Techniken ebenso notwendig sind wie die Selbstkontrolle.
Während der Kaufhausdetektiv aufgrund seines Jobs dazu verpflichtet war, den Dieb zu stellen, hätte der Taxifahrer den schlagfreudigen betrunkenen Fahrgast laufen lassen können. Immerhin hat das Gericht in beiden Fällen anerkannt, dass sowohl der Taxifahrer als auch der Kaufhausdetektiv während ihrer vorläufigen Festnahmeaktion die Notwehr (bzw. Trutzwehr) anwenden mussten, um sich zu schützen.
Natürlich ist es Abwägungssache, wie viel es mir „wert“ ist, einen Täter zu stellen. Die meisten Menschen stellen eine Gegenrechnung auf, bevor sie sich entscheiden, einzugreifen.
Gerichtlich wird eine Gegenrechnung in der Verhältnismäßigkeit der Mittel verlangt, z.B. für den einfachen Diebstahl keine lebensgefährlichen Techniken einzusetzen. Auch Zurechnungsfähigkeit (Promille Alkohol), Aggressionspotenzial, Vorstrafenregister, Körpergröße und Masse beider Kontrahenten werden hier gegengerechnet.
Ferner zeigt der Kaufhausdetektiv-Fall, dass eine ständige Kommunikation wichtig ist, um fortwährend „Lebenssignale“ zu erhalten. Schließlich liegt das Leben des Festzuhaltenden in unseren Händen.
Der Autor ist kein Jurist. Alle o.g. Angaben erfolgen ohne juristische Gewähr. Wer im Rahmen der EWTO mehr über Notwehr erfahren will, dem/der rate ich zum Notwehr-Seminar von Dai-Sifu Peter Vilimek beim Trainerlehrgang, den entsprechenden Büchern von GM Kernspecht oder zu einem der Spezialseminare.
Oliver C. Pfannenstiel, 3. TG
Quellen: Taxifahrer-Urteil: AG Grevenbroich, Urteil v. 26.09. 2000 - 5 Ds 6 Js 136/00, NJW 2002, 1060 f aus: www.kanzlei-doehmer.de/bgb229_1.htm
Kaufhausdetektiv-Urteil: lexetius.com/2000/10/149