EWTO

Fünf Tage-Intensiv-Lehrgang mit Großmeister Keith R. Kernspecht und Großmeister Bill Newman auf Teneriffa

Fünf Tage lang schoss der europäische WT-Cheftrainer ein Feuerwerk von raffinierten Chi-Sao-Techniken ab und teilte mit der kleinen Schar von Teilnehmern in einem nahezu intimen Kleingruppen-Unterricht mit großem Vergnügen und rückhaltlos sein Wissen mit ihnen. Ganz offensichtlich genoss er es, sich so kurz nach Weihnachten wieder intensiv körperlich betätigen zu können. Da Spanien noch im Weihnachtsschlaf war, kamen die Teilnehmer, die aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien gekommen waren, alle in den Genuss mit dem Vater des WT in Europa stundenlang Chi-Sao machen zu können, denn darauf lag der Schwerpunkt des Seminars. Hier nun ein kurzes Interview:

WTW: Dr. Kernspecht, im Namen der Spanischen WingTsun Organisation danke ich Ihnen dafür, Ihnen einige Fragen stellen zu dürfen.

GM Kernspecht: Con mucho gusto.

WTW: Ich sehe, Sie sprechen Spanisch. Seit wann?

GM Kernspecht: Seit ich am Flughafen von Teneriffa „Spanisch in 30 Tagen" kaufte und täglich in den Pausen durcharbeite. Ich bin jetzt bei Lektion 28 und habe es mir zum Ziel gesetzt, bis zur Abreise damit durchzukommen.

WTW: Wie kann man so schnell eine Sprache lernen?

GM Kernspecht: Indem man sie vorher schon beherrschte und sich wieder daran erinnert. Nein, ich spreche nicht von einem früheren Leben. Haha. Ich habe vor 40 Jahren eine Ausbildung zum Verhandlungsdolmetscher für Spanisch (und zwei weitere Sprachen) absolviert, weil mein Vater in Kontakt mit spanischen Bühnenzauberern (Illusionisten) stand und ich ihm bei der Korrespondenz helfen wollte.

WTW: Richtig. Mir fällt jetzt wieder ein, dass ich mal irgendwo gelesen habe, dass Sie in den 80er Jahren sogar ein Rundfunkinterview in spanischer Sprache gegeben haben sollen.

GM Kernspecht: Das war in Barcelona. Das Tonband hab ich sogar noch irgendwo. Aber da war mein Spanisch auch schon eingerostet. Es ist wie im WT, was man nicht regelmäßig übt, das verliert man. Auf Teneriffa lebt ein lieber Cousin von mir, der hatte in 7-jähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien die russische Sprache perfekt erlernt, um zu überleben, Aber nachdem er heimgekehrt war, hatte er eine so starke Abneigung dagegen, dass er nie wieder ein Wort Russisch sprach. Und nun bedauert er es, als ich ihm erzählte, dass ich jetzt Russisch-Unterricht nehme.

WTW: Aber bei Ihnen lag doch keine Abneigung gegen Spanisch vor?

GM Kernspecht: Aber ganz im Gegenteil, ich liebe diese Sprache, und es tat mir weh, sie ganz verdrängen zu müssen, als ich Ende der 80er Jahre meinen 2. Wohnsitz in Italien nahm, um dort meinen Meisterschüler Sifu Cuciuffo zu unterstützen und Italien nach Deutschland zur zweitstärksten WT-Nation der Welt zu machen. Spanisch und Italienisch sind sich zu ähnlich, so dass man, um Verwechselungen zu vermeiden, sich auf eine der beiden Sprachen konzentrieren muss. Deshalb habe ich erst jetzt, nachdem ich über zehn Jahre leidlich Italienisch spreche, es gewagt, einen Spanisch-Crash-Kurs zu machen. Aber nun nehmen an dem Teneriffa-Lehrgang mit Sifu Cuciuffo und Sifu Stellato (NT Malta) vier Italiener teil, so dass ich ständig zwischen Deutsch, Italienisch und Spanisch wechseln muss, was mir aber besonders viel Spass machte.
WTW: Sie sagen, Italien ist Nr. 2, an welcher Stelle steht dann Spanien mit, glaube ich, über 5.000 aktiven Mitgliedern? Auf Platz drei?

GM Kernspecht: Das kann sein, aber ich kenne die derzeitigen Statistiken nicht.

WTW: In China selbst soll es nicht sehr viele WT-Praktizierende geben. Woran liegt das?

GM Kernspecht: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land, sagt man, und auch in China bzw. Hongkong haben amerikanische Sportarten einen höheren Stellenwert als eigene traditionelle Künste.

WTW: Ja, das glaube ich gerne. Amerika ist der Trendsetter, was dort „in" ist, schwappt nach kurzer Zeit auch nach Europa. Seit wann gibt es WingTsun in Amerika, ich glaube auch seit Ende der 70er Jahre, oder? Aber stimmt es, dass es in USA nicht einmal ein Zehntel soviele WT-Aktive gibt wie in Spanien?

GM Kernspecht: Ich bedaure, keine Zahlen zu kennen, die kennt nur der Leiter des amerikanischen Verbandes, Sifu Leung Ting, und der betont ja auch wohl zu Recht, dass USA ein „anderes Land ist, wo andere Gesetzmäßigkeiten herrschen, so dass europäische Maßstäbe nicht anzulegen sind". Sifu Leung Ting hat mir im vergangenen Jahr angeboten, USA für ihn zu verwalten, was mir sehr schmeichelte, aber ich habe dankend abgelehnt. Ich mag das alte Europa und will mich nicht verzetteln, auch kann ich nur gute Arbeit leisten, wenn ich eigenverantwortlich schaffen und walten kann, wie ich es für richtig halte, das heißt ohne Einmischung.

WTW: Wie sehen Sie die Leistung des spanischen Nationaltrainers Victor Gutierrez?

GM Kernspecht: Viktor stellt hier viel auf die Beine, worüber ich mich genau so freue wie mein Freund Bill Newman, der ein ausgemachter Teneriffa-Fan geworden ist.

WTW: So werden wir Sie beide auch nächsten Januar wieder hier erleben?

GM Kernspecht: Wir denken daran, eventuell unseren Globetrottern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und natürlich Italien 2005 zur Abwechselung einmal Lanzarote zu bieten. Aber eine Entscheidung ist noch nicht gefallen und wir werden Teneriffa nicht untreu werden. Auf jeden Fall treffen wir uns zum Jahresbeginn 2005 wieder auf einer Kanarischen Insel.