Editorial

In den ersten Lektionen ist das Wichtigste enthalten!

Seit über 16 Jahren erlebe und lebe ich nun täglich WingTsun, als sogenannte „Hausschülerin“ von SiFu (Kernspecht). Bei ihm dreht sich buchstäblich alles um WingTsun, alle anderen Themen sind nur Stichworte für ihn, um wieder zum WT zurückzukommen.

Als Familienmitglied habe ich alle Studienphasen hautnah miterlebt, wurde immer mit einbezogen und fühle mich insbesondere mit dem ReakTsun verbunden, das ich mitdesignen durfte. ReakTsun ist so weich, so mühelos, dass es ideal für Frauen und leichter gebaute Männer ist. ReakTsun war mein Ein und Alles.

Aber SiFus Motto ist: „Das Bessere ist des Guten Feind!“ und sobald er etwas erfunden oder gefunden hat, beginnt er sofort damit, das Gegengift zu finden oder zu erfinden:

Kaum hatte er Jujitsu/Judo gemeistert, faszinierte ihn 1959 das roboterartige Karate. Erst Kyokushin (Oyama-Stil), dann Shotokan. Dann erfand er sich selbst Wege, es zu neutralisieren. Nachdem er seine eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, fand er das „Gegengift“ wing chun in der Person seines ersten SiFus Joseph Cheng in London, der ihn dann 1976 an SiFu Leung Ting (WingTsun) in Hongkong „überwies“. Er nannte es sogar in den 1970er Jahren das „Anti-Karate“. Später bereute er diesen unglücklichen Ausdruck, denn er ist alles andere als ein Karate-Gegner, denn er hat dem Karate viel zu verdanken, insbesondere den Kampfgeist der Samurai, den er seinen WingTsun-Schülern bis heute weitergibt, auch wenn er heute nicht mehr in die Zeit zu passen scheint.

Seine kritiklose Zufriedenheit mit wing chun/WingTsun hielt neun Jahre, bis ihm das Buch „Between Wing Chun und Jeet Kuen Do“ von Jesse Glover in die Hände fiel. Ein paar Wochen später war SiFu schon mit Simo in Seattle (USA) und studierte als damals 3. TG/HG WT den Vorläufer von Bruce Lees nicht-klassischer wing chun-Variante „Jeet Kuen Do“ bei Bruce Lees erstem Schüler, erstem Assistenten und bestem Kämpfer Jesse Glover.

1984 konfrontierte SiFu dann seinen eigenen chinesischen SiFu Leung mit Jesse Glovers blitzschnellem „Angriffs-wing chun“. Es ging ihm darum herauszufinden, welche Abwehren das WingTsun (zumindest theoretisch) dagegen zu bieten hat. Das Resultat befriedigte SiFu offenbar, denn er setzte seine eigenen Studien im WingTsun mit seinem chinesischen SiFu im Einzeltraining bis 2008 fort, sogar noch, nachdem er im Jahre 2000 den 10. Meistergrad erhalten hatte.

Seitdem interessiert sich SiFu für „innere“ Stile, die er vorher als „Spinnerei“ ablehnte, weil ihn Vertreter dieser Richtung nicht praktisch überzeugen konnten.

Auch hier begann er mit eigenen Experimenten, weil er sich von bestehenden Ideen – z.B. des hier schon gut vertretenen Taiji – nicht ablenken und in seiner eigenen Phantasie einengen lassen wollte. Irgendwann traf er einen nordchinesischen (!) Meister, der ihm sogar eine innere Version des wing chun zeigte.

SiFu wollte nicht glauben, dass das ihm im Hongkong-wing chun bzw. WingTsun Gezeigte, alles sein sollte, was es zu lernen gebe, denn er ist ein Verfechter des lebenslangen Lernens.

Er war bei seinen eigenen Experimenten auf Phänomene gestoßen, die ihm im Kampf überraschende Vorteile verschafften, ohne dass er sie damals in Worte fassen konnte.

Dabei half ihm dann sein Mentor und späterer Freund, Prof. Horst Tiwald aus Hamburg, der ihm eine Aufstellung mit Soll und Haben skizzierte, was sein WingTsun schon hatte und was ihm noch fehlte, um ein kompletter innerer Stil zu sein, und wo er es sich besorgen konnte.

Damals entstand SiFus These, dass sich alles an einem System verbessert, wenn man es zu einem inneren transformiert. Solch eine Transformation schließt dann sogar die „Großen Sieben“, die für SiFus WingTsun unerlässlich zu entwickelnden Fähigkeiten, ein und überschreitet sie noch!

Nach dem Tai Ki Ken, das SiFu schon während seiner Kyokushin-Karate-Zeit begegnet war, begann er 2012 auf Prof. Tiwalds Rat hin, sich mit dem Yi Chuan zu beschäftigen, einem Derivat des Hsing-I, allerdings ohne dessen Formen. Wir beide studierten es bei SiFus Freund und Kollegen, dem inneren Meister Yang Lin Sheng aus der Mongolei.

Außerdem ließen wir uns von Meistern ihres Faches in Yang und Chen Tai Chi, Hsing-I, Pakua, Südlicher Gottesanbeterin und Weißer Augenbraue usw. einführen.

2014 entdeckte SiFu dann in der Person von GM Sam Chin das in Europa bis dahin weitgehend unbekannte I Liq Chuan/Zhong Xin Dao, in dem SiFu und ich bis Ende 2019 ca. 2000 Privatstunden absolviert haben werden.

Dieser innere Stil gewann SiFus Interesse, weil er perfekt zu seiner eigenen Gestänge-Theorie, die Tiwald so sehr lobte, passte und weil SiFu ihn für die beste Vorbereitung ins innere Kämpfen und zum Verstehen aller inneren Stile hält.

Viele EWTO-Mitglieder fragen uns nun verunsichert, ob sie ZXD lernen müssen, um WT zu verstehen. Natürlich ist das nicht der Fall. WingTsun erklärt sich aus sich selbst heraus!

SiFus eigener Antrieb beruht auf seinem Wunsch, sein WingTsun zu einem inneren System, also zu dem höchsten WingTsun zu entwickeln, dazu benötigt er Übungen und Aufgabenstellungen.

ZXD/ILC bietet schon in den ersten zwei Programmen die wichtigsten Grundlagen aller inneren Stile. Es verfügt über gezielte Übungen, um die meisten essenziellen sieben Fähigkeiten und insbesondere die erste, nämlich Achtsamkeit, zu entwickeln und anzuwenden.

Wie SiFu jedem seiner Schüler empfiehlt, vom Escrima die ersten beiden Programme, die Grundschläge und -abwehren zu erlernen und vom Grappling/Bodenkampf ebenfalls, so sollte nach seiner Meinung jedes WT-Mitglied diese inneren Grundlagen (Achtsamkeit, Struktur, Ausrichtung, Energie usw.) kennenlernen.

Inzwischen haben fast 100 WT-Lehrer die Einführung in das innere KungFu erfahren, so dass dieses Wissen innerhalb der EWTO verfügbar ist.

Die Kreisenden Arme (ZXD-Programm 5), denen wir uns besonders widmen, sind vielleicht der größte Schatz des ZXD. Im alten wing chun von Dr. Leung Jan gab es auch Kreisende Arme. Sie haben im vietnamesischen wing chun überlebt, während es in Hongkong und in den meisten Teilen von Festland-China leider nur noch die üblichen Rollenden Arme (PoonSao) gibt.

SiFu ist der Meinung, dass unser WingTsun ursprünglich ein innerer Stil war, und möchte ihm möglichst viele der inneren Qualitäten zurückgeben, von denen er glaubt (glauben möchte), dass sie um 1850 herum noch vorhanden waren.

Wer aber nur WingTsun lernen möchte, um WingTsun zu lernen, muss sich solche Gedanken nicht machen.
Er muss sich weder Grundkenntnisse des Escrima, noch des Grappling, noch des ChiKung, noch des ZXD/ILC aneignen.

Für (künftige) Meister können sie als Hilfswissenschaften dienen, ohne dass man sie aber komplett erlernen müsste. Die ersten ein bis zwei Programme reichen aus!

SiFu hat einmal irgendwo geschrieben, dass in jeder Einführungsvorlesung an einer Universität das Wichtigste gesagt wird, wenn der Professor seine Aufgabe ernst nimmt.
 

Als Vertreterin des ZXD/ILC in der EWTO freue ich mich natürlich über jeden, der dann nach dem ersten Programm weiter in die Materie eindringen will …
 

Eure Natalie
ZXD-Instruktorin
5. HG WingTsun

Fotos:aw/hm