WingTsun

Aktivität ist der Schlüssel zum Erfolg

WTW-online im Gespräch mit Dai-Sifu Andreas Gross, der nicht nur an der Trainerakademie Schloss Langenzell unterrichtet, sondern auch die Verantwortung für das Hauptbüro und die Mitgliedsverwaltung der EWTO trägt.

WTW-online: Dai-Sifu Andreas, du bist der dienstälteste Ausbilder an der Trainierakademie Schloss Langenzell. Wie kamst du dazu?
 
Dai-Sifu Andreas Gross: Durch Zufall. Ich kam mit dem 9. Schülergrad WingTsun nach Schloss Langenzell, um hier eine Berufsausbildung zum WT-Lehrer zu absolvieren. Als Zeitsoldat konnte ich nach Beendigung meiner Dienstzeit das Berufsförderungsprogramm der Bundeswehr in Anspruch nehmen.
WingTsun hatte ich bei der Bundeswehr kennen gelernt. Ich interessierte mich schon immer für asiatische Kampfkünste, auch wenn ich noch nie Probleme hatte, mich zur Wehr zu setzen. Nachdem ich mir bereits einige Kampfkunststile angesehen hatte, u.a. Karate und Jiu-Jitsu, empfahl mir ein Soldat WingTsun. Ich war sofort überzeugt und trat in eine WT-Schule ein. In verschiedenen Schulen im Saarland trainierte ich dann mehrere Jahre lang, und mit der Zeit entwickelte sich die Idee, später professioneller WT-Lehrer werden zu wollen.
So begann ich 1987 meine Ausbildung an der Trainerakademie Schloss Langenzell. Aufgrund eines verletzungsbedingten Ausfalls des damaligen Trainers bat mich Si-Fu, aushilfsweise zu unterrichten. Zusammen mit Siegfried Altmayer unterstütze ich von nun an meinen Lehrer als Assistenzausbilder. Als die Stelle des Trainers später frei wurde, bot er mir an, diese ganz zu übernehmen, was ich natürlich als eine große Ehre empfand.

WTW-online: Neben deiner Ausbildertätigkeit hast du ja auch die Verantwortung im Hauptbüro der EWTO und der Mitgliedsverwaltung. Kamst du dazu auch durch Zufall?

Dai-Sifu Andreas Gross: Mehr oder weniger schon. Zunächst bat mich Simo, ob ich nicht einmal in der Woche (immer Donnerstag abend) den Telefondienst im Büro übernehmen könnte. Das Büro war damals noch in dem kleinen Raum, den wir heute als Lager nutzen.
Im Laufe der Jahre wuchs die EWTO immer mehr und damit nahmen auch die Verwaltungsaufgaben zu. So wurde mein Aufgabenbereich nach und nach größer.
Sehr anschaulich lässt sich diese Entwicklung anhand der Personalzahlen zeigen: Heute sind in der Mitgliedsverwaltung und dem Büro auf Schloss Langenzell 15 Leute Voll- und Teilzeit beschäftigt.

WTW-online: Kommt dein eigenes WT-Training dadurch zu kurz?

Dai-Sifu Andreas Gross: Jeder, der administrative Aufgaben zu erledigen hat – das gilt für alle Leiter größerer WT-Schulen – weiß, dass dafür viel Zeit eingeplant werden muss. Selbstverständlich kann ich während dieser Zeit nicht trainieren. Für mich ist aber Unterrichten immer auch eigenes Training. Von jedem Schüler kann ich selbst etwas lernen, während ich ihn unterrichte.

WTW-online: Man sieht dich während Lehrgängen häufig in „zivil“ damit beschäftigt, dieses oder jenes zu erledigen. Wie schätzt du selbst das Verhältnis zwischen der lehrenden und der organisierenden Tätigkeit ein?

Dai-Sifu Andreas Gross: Verbandsarbeit bringt nun einmal viele organisatorische Aufgaben mit sich. Erfolg liegt nicht nur in einer korrekten WT-Technik. Viele WT-Lehrer unterschätzen die Bedeutung der organisatorischen Seite beim Aufbau einer Schule. Sie legen besonderen Wert auf gute Techniken und wundern sich dann, wenn ihre – vielleicht sogar herausragenden – Fähigkeiten als Kampfkünstler nicht von selbst zum Erfolg führen.
Man muss der Größe einer Schule und erst Recht der eines Verbandes Tribut zollen. Man ist dann nicht mehr nur WT-Lehrer.

WTW-online: Du bist schon lange in der EWTO, sitzt sozusagen an der Quelle und bekommst dadurch viel mit. Was hat sich geändert im Vergleich zu früher?

Dai-Sifu Andreas Gross: Mit zunehmender Größe müssen sich Dinge ändern. Das fängt schon bei der Unterrichtsgestaltung an. Zehn Schüler können bzw. müssen anders unterrichtet werden als einhundert. Eintausend Mitglieder erfordern einen anderen organisatorischen Aufwand als zehntausend.
Jede Veränderung bringt die Notwendigkeit neuer Veränderungen mit sich. Manche Leute haben Angst, dass die Dinge sich ändern und sie sich den neuen Gegebenheiten anpassen müssen.
Doch gerade wir WT-ler üben in jedem Training, uns flexibel an Veränderungen anzupassen.
Das ist eines der wichtigsten Prinzipien des WingTsun, deswegen ist es für mich weniger entscheidend, was sich im Vergleich zu früher geändert hat, sondern wie wir mit Neuerungen umgehen.

WTW-online: Was macht der Privatmann Andreas Gross außerhalb des WTs?

Dai-Sifu Andreas Gross: Er ist Andreas Gross und nicht Dai-Sifu Andreas Gross. Es ist mir wichtig, im Privatleben auch Menschen um mich zu haben, die nichts mit WT zu tun haben. Ich verstehe mich nicht nur in der Rolle eines Lehrers, der stets anleitet. Ich möchte in meinem Privatleben einfach nur „normal“ sein.

WTW-online: Wie sind deine zukünftigen Ziele definiert?

Dai-Sifu Andreas Gross: Ich versuche stets, meine Fähigkeiten einzusetzen, um den Verband nach vorne zu bringen. Das bedeutet für mich, weitere Verbesserungen zu verwirklichen, damit die Größe des Verbandes nicht zum Nachteil wird. In meinen Augen erreichen wir das insbesondere durch mehr Miteinander. Dafür sollte jeder bereit sein, etwas zu tun. Mein Motto lautet: „Gemeinsam sind wir stark!“

WTW-online: Welche Lehren hast du aus der Kampfkunst WT gezogen?`

Dai-Sifu Andreas Gross: Ich versuche den fortgeschrittenen WT-Lehrer während der Ausbilderseminare beizubringen, die WT-Prinzipien auch im Alltag umzusetzen. Kräfte kommen nicht nur in Form von Fauststößen auf uns zu. Aktivität ist der Schlüssel zum Erfolg gemäß dem 1. Kampfprinzip des WingTsun: „Ist der Weg frei, geh’ vor!“ Das lässt sich auf alle möglichen Lebenssituationen beziehen. Aktivität bedeutet nicht automatisch, dass man das Richtige tut. Aber man bewegt sich wenigstens. Durch WT kann man Menschen animieren, ihr Leben aktiv zu gestalten.
WingTsun gibt einem alle Lösungsansätze für ein erfolgreiches Leben. Aktiv sein, wenn möglich – passiv sein, wenn nötig.
Immer prallen Kräfte aufeinander, WingTsun gibt einem die Schlüssel, damit umzugehen. Man muss Beharrlichkeit lernen (dran bleiben), neue Wege sehen und nutzen (folgen). WingTsun ist Lebensmanagement.
Das ist aber nicht, was ein Schüler als erstes lernen sollte. Erst einmal soll er lernen, sich verteidigen zu können.