Treten oder getreten werden – wie schaffe ich Ersteres und vermeide Letzteres?
Mit diesem Artikel beginnen wir eine Artikelreihe zu den verschiedenen Distanzen, die es in einer Auseinandersetzung geben kann. Dabei starten wir mit unserer Waffe, die die größte Reichweite hat: unserem Bein.
Außer den Distanzen während des Kampfs gibt es noch eine weitere Distanz davor bzw. danach: die sichere Distanz. Diese müssen wir einigermaßen einschätzen können, denn sobald unser Gegner zu nahe an uns herankommt, kann er uns treffen. Diesen sicheren Abstand müssen wir erkennen lernen und ihn zu unserem Vorteil nutzen.
Die längste Waffe unseres Körpers: das Bein
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Wir sollten uns merken: Unsere längste Waffe bzw. die unseres Gegners ist das Bein, das tritt. Wenn uns also der Fußtritt unseres Gegners erreichen kann, ist es eigentlich schon zu spät. Wir müssen vorher reagieren und dabei hilft uns eine Theorie des WingTsun: die Magnettheorie.
Es ist wie bei Magneten. Diese reagieren nicht aufeinander, solang ein bestimmter Abstand eingehalten wird. Bringt man nun die Magneten immer näher zueinander, gibt es einen Moment/eine Distanz, in dem/der die beiden Magneten unweigerlich zusammenkrachen. So ähnlich setzen wir das auch im WingTsun um.
Der Abstand, in dem mit den Magneten nichts passiert, ist bei uns die sichere Distanz. Wenn sich unser Gegner uns aber zu weit nähert, uns also treffen könnte, drehen wir den Spieß um und verkürzen die Distanz beträchtlich.
Bevor uns der Gegner also mit einem Tritt erreichen kann, sorgen wir dafür, dass wir an ihm dran sind. Die Distanz können wir unsererseits durch einen Schritt oder einen Tritt überbrücken, wie wir sie in der zweiten Form, der ChamKiu, lernen.
Dabei ist nicht wichtig, dass ein Tritt möglichst athletisch oder gar akrobatisch ausgeführt wird. Vielmehr spielen Funktion und Effektivität eine Rolle. Deswegen reicht für unsere Zwecke, wenn wir treten, ein relativ tiefer Tritt aus, um die Distanz zu überbrücken und unseren nahenden Gegner zu stoppen. Wir haben übrigens die größte Reichweite bei einem Tritt, wenn wir hüfthoch treten.
Die Trittabwehr aus dem sechsten Satz SiuNimTau: LauSao
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Zudem bieten wir durch einen tieferen Tritt weniger Angriffsfläche und sind nicht ganz so leicht auszukontern. Das würde bei einem hohen Sicheltritt schon ganz anders aussehen.
Solltet ihr übrigens einmal von einem Angreifer mit einem hohen Sicheltritt zum Kopf angegriffen werden, denkt daran, dass die größte Kraftwirkung am von der Körperachse fernsten Punkt des Gegners auftritt, also seinem Fuß. Ein beherzter Schritt von euch nach vorn, in Kombination mit einem Stoß wird auch einen recht kräftigen Angreifer ins Wanken bringen. Schließlich steht er ja nur auf einem Bein. Wenn ihr auf Nummer sicher gehen wollt, fangt ihr den Tritt zusätzlich mit einer LauSao-Bewegung ab und werft so gezielt Gegner um.
Damit habt ihr einiges über die erste und längste Distanz im Kampf erfahren. Hoffentlich könnt ihr dieses Wissen zu eurem Vorteil ausnutzen. Aber bedenkt dabei, was bereits Bruce Lee bemerkte:
„Ich fürchte nicht den Mann, der 10.000 Kicks einmal geübt hat. Aber ich fürchte mich vor dem, der einen Kick 10.000 Mal geübt hat.“
Also gilt wieder für uns: Üben, üben, üben!
Text: Sadek Radde/hm
Fotos: mg