Halten, Hebeln, Werfen – Willkommen in der vierten Kampfdistanz
Weiter geht es mit unseren Kampfdistanzen. Unser Gegner hat den Abstand weiter verringert, sodass wir uns in einer Entfernung zueinander befinden, die es richtig in sich hat. Hier geht es nicht mehr nur um Schlagen und Treten. Der Angreifer hat weitaus mehr Möglichkeiten.
Nach Ellbogen und Knien kann unser Angreifer zu einer Umklammerung oder einem Hebel übergehen. An einem Beispiel wollen wir euch zeigen, wie ihr die Sache in den Griff bekommt.
Das Klammern ist eine gefährliche Situation, die sofortige Handlung erfordert.
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Viele von euch kennen bestimmt die UFC-Kämpfe und großartige Hebelvideos auf YouTube. Immer wieder sieht man, dass die Kontrahenten in einen Clinch geraten, sich gegenseitig klammern und versuchen einen Hebel anzusetzen.
Die Voraussetzung dafür ist, den richtigen Abstand zu haben – klingt simpel, doch schwierig umzusetzen. Zwar sind die Beispiele aus dem Profisport, doch das Ganze lässt sich auf unsere Selbstverteidigungssituation übertragen.
Wenn man es völlig überraschend mit einem Angreifer zu tun bekommt, der sich vor einem aufbaut und quasi Nase-zu-Nase vor uns steht, dann bieten sich uns – allerdings auch unserem Gegner – viele Möglichkeiten zu reagieren: u.a. mit Hebeln oder Körperumklammern. Das kann in einem so nahen Abstand relativ ansatzlos ausgeführt werden und uns zu Fall bringen. Im Idealfall lassen wir es natürlich gar nicht erst soweit kommen, deeskalieren rechtzeitig und vermeiden so den Kampf. Aber nicht immer geht das. Also was tun?
Auf jeden Fall solltet ihr in einer solchen Situation eure Hände vor euch haben, damit ihr die Arme des Angreifers „kontrollieren“ und bei entstehendem Kontakt sofort auf jeden Impuls des Gegners reagieren könnt. Also Schlafmütze runter, Augen und Ohren auf, Fühler ausgestreckt. Schlaft ihr hier weiter, ist der Kampf für euch entweder direkt vorbei oder ihr landet in der nächsten, noch ungemütlicheren Phase… Nebenbei: Zu der kommen wir beim nächsten Mal.
Je nach WingTsun-Erfahrung kann man unterschiedlich auf eine derart brenzlige Situation reagieren. Für einen WT-Beginner ist präventives Zuschlagen das Mittel der ersten Wahl. Das klingt zwar hart, aber stellt euch vor, eure Kinder oder Partner würden sich in dieser Lage befinden. Wozu würdet ihr raten?
Der fortgeschrittene WT-Anwender kann auch teilweise zunehmend kooperativ reagieren – je nach Übung und Erfahrungslage. Da sich nicht alle Fragen in einem Artikel klären lassen, schauen wir uns als Beispiel eine Umklammerung an:
Egal, wie ihr gegriffen werdet, ihr könnt immer mit einem Tiefschlag den Griff des Angreifers etwas lösen. Damit nicht lang zögern. Nur sofortige Gegenwehr verschafft euch hier einen Vorteil. Werdet ihr von hinten umklammert, so könnt ihr mit der Hand zuschlagen, indem ihr zuvor die Hüfte etwas zur Seite bewegt, um euch für den Stoß freie Bahn zu schaffen. Bei einer Umklammerung von vorn geht auch der klassische Kniestoß. Aber bedenkt: Ihr steht dabei auf einem Bein. Wenn ihr über kein sehr stabiles Gleichgewicht verfügt, lieber nicht machen.
Der Wurf als Antwort auf die Umklammerung des Gegners
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Wenn der Griff gelöst wurde, sind eure Waffen wieder frei einsetzbar und ihr verteidigt euch verhältnismäßig. Wenn wir uns in der nahen Distanz befinden, könnt ihr beispielsweise den Kopf des Angreifers kontrollieren und ihn damit zu Boden führen und fixieren.
So schnell drehen wir den Spieß um. Wollte anfangs der Gegner noch uns mit einem Hebel angreifen, haben wir uns geschickt befreit, kontrollieren ihn gegebenenfalls mit sanften Mitteln. Womöglich schaffen wir es sogar, ihn zu hebeln oder mit einem einfachen Wurf zu Boden zu bringen.
Natürlich braucht auch das alles wieder seine Übung und Erfahrung. Doch wenn ihr am Ball bleibt, werdet ihr merken, wie es immer einfacher wird, Bewegungen zu erkennen und auch in dieser gefährlichen Distanz souverän zu bleiben.
Text: Sadek Radde
Fotos: mg