25 jähriges Jubiläum der EWTO in Bulgarien
25 Jahre sind seit dem ersten Seminar der EWTO an der Universität Plovdiv vergangen. Aus diesem Anlass haben wir Meister Stanislav Bagalev (6. Meistergrad WT), ein paar Fragen über seinen langjährigen Weg der Verbreitung von WingTsun in Bulgarien gestellt.
Stanislav, wie lautet deine Martial-Arts-Geschichte?
Ich wurde 1972 in Sofia geboren, und begann 1982 mit dem Training von Kampfkünsten unter der Anleitung von Krasimir Dimitrov „The Chinese“. Er war einer der erfolgreichsten Kampfkünstler Bulgariens. Er beherrschte Karate, Taekwondo, Kung Fu, TaiChi und andere Kampfstile. Zu dieser Zeit war er Teil einer Spezialeinheit.
Damals waren Kampfsportarten verboten, und aufgrund der von der kommunistischen Partei erlassenen Beschränkungen, konnte sie kaum jemand ausüben. Man hatte Angst, dass sich jemand gegen die Regierung auflehnen könnte. Nur Polizei und Spezialeinheiten durften Kampfkünste trainieren.
Ich begann mein Training in einer geheimen Gruppe und manchmal im Einzelunterricht. Ich hatte diese Chance, denn Krasimir Dimitrov war ein enger Freund meines Vaters und hat mir deshalb erlaubt, unter ihm zu trainieren. In der chinesischen Sprache und Kultur war Er sehr versiert, was mein Interesse an den chinesischen Kampfkünsten Kung-Fu, TaiChi und natürlich WingTsun weckte.
Wie war die Situation damals in Bulgarien? Vor allem im Hinblick auf Selbstverteidigung und Kampfsport?
Aufgrund des Verbotes konntest mit niemandem darüber reden, dass du so etwas tust. Ich lebte in einem Teil von Sofia, Liulin. Ich kann nicht sagen, dass es die sicherste Gegend war.
Ich musste manchmal nach dem Schulunterricht auf dem Heimweg mit Mitgliedern kleiner Gangs kämpfen. Für mich waren die Kampfkünste damals nicht nur Teil meiner Vorstellung, ich musste sie auch notwendigerweise einsetzen, um zu überleben.
Es gab ziemlich entwickelte Box-, Wrestling- und Sambo-Teams. Chinesische Kampfsportler waren damals nicht so bekannt, auch weil es kein Wissen darüber gab. Wir hatten geheime Videotapes und geheime Bücher, die wir miteinander teilten, um mehr zu erfahren. Das waren harte Zeiten, mit wenigen bis gar keinen Informationen. Zu dieser Zeit trainierte ich sehr hart treten und schlagen, heimlich mit ein paar Freunden, um meine Fähigkeiten zu verbessern.
Wie begann deine WT-Geschichte? Wie bist Du zum WT gekommen? Warum WT?
Ich wählte WingTsun, wegen seiner praktischen Herangehensweise, den schnellen und intelligenten Kombinationen, die ich damals zur Selbstverteidigung auf der Straße nutzen konnte. Ich trainierte WingTsun mit einigen Freunden, die Teil der EWTO waren. Ich habe dann 1989 und 1990 an zwei Seminaren mit GM Leung Ting in Sofia teilgenommen.
Die erste Schule. Wo war die und wie wurde sie eröffnet? Welche Probleme mussten dabei gelöst werden?
Nach meinem Abitur habe ich mich für die Akademie der Bildenden Künste beworben, aber es gab nur sechs Plätze und über siebenhundert Bewerber. Ich konnte da nicht reinkommen, aber gleich danach wurde mir eine Stelle als Lehrer für chinesische Kampfkünste an der Staatlichen Universität Plovdiv angeboten. Das war für mich eine tolle Gelegenheit, chinesische Kampfkünste an der Staatlichen Universität zu unterrichten und gleichzeitig bulgarische Philologie zu studieren. Während meines Studiums begann ich, für die Dauer von fünf Semestern, chinesische Kampfkunst zu unterrichten. Ich lehrte Yang- und Chen Taichi Chan, Taichi-Schwert, Shaolin, Shaolin-Waffen und WingTsun.
Damals war die Universität die einzige staatliche Universität Europas, die Vorlesungen und einen praktischen Teil für Kampfkünste in ihrem Lehr-/Hochschulprogramm hatte. So nahm Großmeister Kernspecht 1995 den Kontakt zur Universität auf und 1986 kam eine große Delegation der EWTO nach Bulgarien. Die Delegationsmitglieder waren Großmeister Kernspecht, Großmeister Bill Newman, Großmeister Oliver, Großmeister Giuseppe, Sifu Roland und Sifu Heinrich. Am 20. März 1996 zeigten vor allen Studenten der Universität eine großartige Demonstration und Präsentation.
Ich war mit einigen Schülern dort. Wir haben unsere Fähigkeiten präsentiert und alle Meister waren beeindruckt. Am Abend des gleichen Tages hielt Großmeister Kernspecht ein Seminar in der Universitätshalle von Plovdiv. Danach wurde beschlossen, einen EWTO-Zweig in Bulgarien zu gründen und dafür die WingTsun-Gruppe an der Universität Plovdiv einzurichten. Bei diesem Seminar nahm mich Großmeister Kernspecht als seinen Privatschüler an. Es war sehr aufregend und spannend für mich, Teil dieser bewundernswerten Traditionslinie zu werden. Es war die erste WingTsun-Gruppe an einer Universität in Europa.
1998, nach der Armee, entschloss ich mich, professioneller Kampfkunstlehrer zu werden und begann mich ganz darauf zu konzentrieren, WingTsun im ganzen Land voran zu bringen.
Ich hatte gute Verbindungen zu einigen Journalisten, also startete ich eine monatliche TV-Show nur für WingTsun, auf einem privaten Fernsehsender. Es gab eine Radiosendung für Kampfsport, an der ich teilnahm. Einige Zeitungen veröffentlichten Artikel und jedes Wochenende Bilder zur Selbstverteidigung.
Ab 1999 begann ich als 1. TG verschiedene Vorführungen und Präsentationen für WingTsun im ganzen Land zu abzuhalten. Während dieser Zeit hatte ich mehr als 12 erfolgreiche Schulen und Lehrer in den verschiedenen Städten: Sofia, Plovdiv, Russe, Dobrich, Varna, Burgas, Stara Zagora, Haskovo, Dimitrovgrad, Vidin, Montana, Karlovo, Yambol, Svilengrad …
Wie war es, in einem Land, in dem das Ringen eine so große Tradition hat, in dem selbst die Schaufensterpuppen „dicke Arme machen“, eine chinesische Kampfkunst einzuführen? Musstest du dich beweisen? Gab es Herausforderungen oder ähnliches?
Während meiner Zeit in der Armee musste ich ab und zu mein Können unter Beweis stellen, weil es dort viele Leute gab, die verschiedene Kampfsportarten wie Ringen und Boxen trainierten. Jeder fragte sich, was WingTsun ist, und ob es überhaupt funktioniert. Ich hatte die Gelegenheit das zu beweisen, und das tat ich auch.
Es gab so viele Menschen, die in Bulgarien Erfahrung in verschiedenen Kampfkünsten hatten. Sie wollten sehen, wie WingTsun funktioniert, es gab viele Kampfsituationen, in denen wir beweisen mussten, dass WingTsun funktioniert … Einige meiner Schüler waren ehemalige Boxer oder ehemalige Wrestler-Champions oder sogar Teil der Special Forces der Armee und der Polizei. Das waren sehr harte Jungs, die von der Schnelligkeit und Effizienz von WT beeindruckt waren.
In diesen Jahren arbeiten wir mit den Spezialeinheiten der Polizei und den Spezialeinheiten der Armee zusammen – Wir hatten einige offene Trainings mit Großmeister Kernspecht und Großmeister Bill in Sofia mit dem Team der Polizei-Spezialeinheiten.
Wie denkst du über die Entwicklung des WingTsun über die Jahre?
WingTsun hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Ich war Zeuge aller Veränderungen und Neuausrichtungen, der Entwicklung und Wiederentdeckung der verborgenen Elemente des Systems. Sifu Kernspecht ist ein Mann mit einer Vision und dem offenen Geist, um die tiefe Bedeutung der Tradition zu entdecken. In den chinesischen Kampfkünsten sind viele Ideen wirklich versteckt. Wenn Du nicht den richtigen Lehrer oder den richtigen Schlüssel hast, kannst Du die geschlossene Tür vor Dir nicht öffnen.
Ich bin sehr glücklich über all die neuen/alten Ideen, die wir jetzt im System haben. Ich bin viel zuversichtlicher in Bezug auf das Wissen, das wir vermitteln, und die Art und Weise, wie wir die Vergangenheit verstehen. Dies ist eine großartige Reise der Entwicklung und Wiederentdeckung.
Wie hat Covid deine Arbeit beeinflusst?
Während der Pandemie haben wir die Möglichkeit, in kleinen Gruppen live zu trainieren, da die Regierung beschlossen hat, dass in einem Sportverein registrierte Personen frei trainieren können.
Wir haben auch viele Online-Lektionen gemacht. Ich habe mehr als 600 Trainingsvideos gefilmt, um den Schülern zu helfen, zu Hause zu üben und weiterhin ein Teil der EWTO-Bulgarien zu sein.
Gibt es sonst noch etwas, das du sagen willst?
WingTsun ist für mich nicht nur ein Job, sondern eine Leidenschaft. Teil meiner Entdeckung der Philosophie, der Tradition, des Wissens über den Geist & die Energie. Wie das Innere und das Äußere im Leben zusammen sein können.
Allen meinen Lehrern und insbesondere Großmeister Kernspecht möchte ich meinen Dank für all die Jahre des Lehrens und der Motivation aussprechen!
Ich bin stolz, Teil der EWTO zu sein!
Interview: mg/wtw
Bilder: EWTO-Bulgarien/EWTO