EWTO

„Karlheinz, kommst du bitte mal ...“

Das sind die Worte von Dr. Hubert Beitler und wieder geht es auf die Bühne zu einer Demo, von der ich selbst meist nicht genau weiß, wie sie ablaufen wird.

Wir sind auf dem Internationalen Lehrgang 2013 der EWTO in Hockenheim – auch in diesem Jahr, um Neues zu lernen, Bekannte zu treffen, neue Bewegungsabläufe zu üben, den Horizont zu erweitern und auf vielen Ebenen weiterzuwachsen.

Die Grundlagen dazu werden u.a. für mich in den Einheiten von DaiSifu Jürgen Kestner gelegt, der alle vier Wochen in Heidelberg Wochenendunterricht in der EWTO-Zentrale Heidelberg gibt. Dort übt er mit den Teilnehmern verschiedene Einheiten und Abläufe und diese unter Stresseinfluss. Es geht dabei immer darum, den aktuellen persönlichen Stand zu erkennen, um dann Schritt für Schritt besser zu werden und an sich zu arbeiten.
Da Körper und Geist zwei Seiten einer Medaille sind, verändern sich auch das Denken und die inneren Einstellungen, je mehr man im Training am Körper und an sich arbeitet. Genau wie der Muskel ist der Geist oder das Nachdenken etwas, was stärker wird, je intensiver man es nützt und in der Praxis anwendet.

Internationaler Lehrgang 2013

Spätestens seit diesem Internationalen Lehrgang ist der Satz von Dr. Hubert Beitler: „Karlheinz, kommst Du bitte mal …“, zum geflügelten Wort geworden. Immer, wenn Sifu Beitler durch praktische Beispiele seine theoretischen Ausführungen erläutern will, wird Karlheinz mit diesem Satz auf die Bühne gerufen.
So auch dieses Mal am Samstagmorgen zu Beginn der Veranstaltung, als alle Teilnehmer sich zum Vortrag „Die Distanz in der Vorkampfphase“ im großen Saal der Stadthalle versammelt hatten.
Das, was hier zunächst als kleines Beispiel mit Karlheinz Schmidt gezeigt wurde, konnten dann alle im Laufe der folgenden drei Tage selbst in den Einheiten mit DaiSifu Jürgen Kestner ausprobieren.

Natürlich umfasste das komplette Lehrgangsprogramm noch weit mehr: die traditionellen Schüler- bzw. Lehrergradprogramme, die von Großmeister Giuseppe Schembri und den Meistern Dr. Oliver König und Thomas Schrön unterrichtet wurden.

Die internationale Schülerschar aus vielen Ländern hatte natürlich außerdem die Gelegenheit von der Quelle – Großmeister Kernspecht – an die heutige Zeit angepasstes WingTsun zu erfahren. Es war für alle wieder ein Erlebnis, so geballtes Wissen vom höchsten EWTO-Großmeister vermittelt zu bekommen.

Selbstverständlich durften die Escrima- und ChiKung-Einheiten nicht fehlen. Escrima für die einen zum Reinschnuppern und für eingefleischte Escrimadores sogar als kompletter dreitägiger Lehrgang.
Im ChiKung-Unterricht konnte man wieder erleben, mit welchen Übungen man seine WingTsun-Fähigkeiten unterstützen und auch weiter verbessern kann.
Wer immer noch nicht ausgelastet war, hatte am Samstagabend noch die Gelegenheit sich einen interessanten Vortrag von Dr. Uwe Füllgrabe mit dem Thema „Wissenschaftliche Grundlagen der Survivability“ anzuhören oder beim Sensory-
Awareness hineinzuschnuppern.

Was auch dieses Jahr nicht fehlen durfte, war die Abendveranstaltung. Hier hatte sich das Organisationsteam um DaiSifu Andreas Groß und Ina Trampert, die auch für den gesamten Lehrgangsablauf  von – der technischen Ausstattung – bis zu den Urkunden verantwortlich zeichneten, wieder ein tolles Programm einfallen lassen. Es war eine gelungene Mischung aus WingTsun- und Escrima-Demos, einer Superattacke auf die Lachmuskulatur durch den Bauchredner Kai Scheffel und einem umfangreichen Buffet zur Stärkung. Allerdings hatten die Kalorien keine Chance sich auf die Hüften zu setzen, denn nach einer gelungenen Hiphop-Vorführung kamen die einmal aktivierten Teilnehmer der Abendveranstaltung dank der Musikmischung des DJs nicht mehr von der Tanzfläche und hielten bis in die frühen Morgen-
stunden des Pfingstmontags durch.

Begeistert, mit vielen neuen Eindrücken, dem neuen Buch „Die Essenz des WingTsun“ im Gepäck – manch einer auch mit einer Urkunde als Zeugnis einer bestandenen Prüfung – und der Vorfreude aus nächste Jahr reisten die Lehrgangsteilnehmerinnen und -teilnehmer am Montagnachmittag wieder nach Hause.
 
 

Auf dem Internationalen Lehrgang schloss sich dann der Kreis: Dr. Hubert Beitler lieferte die wissenschaftlichen und fundierten Grundlagen, während DaiSifu Jürgen Kestner das Talent hatte, andere gezielt unter Stress zu setzen und Übungen zu kreieren, die einen immer wieder über die Grenzen der eigenen inneren Komfortzone hinausbrachten; denn was nützt ein nettes theoretisches Modell, wenn es sich an dem rauen Prüfstein der Praxis nicht bewähren kann?

Hier verbanden sich der praktische Kampferfahrung und tägliche Arbeit an sich selbst. Jeder gute Kämpfer kann nur dann besser werden, wenn er sich selbst erkennt, seine eigenen inneren Muster analysiert und diese immer wieder infrage stellt, d.h. den Status Quo niemals als Endposition akzeptieren und immer das Bemühen, über sich hinauszuwachsen. Das kann man sehr gut von DaiSifu Jürgen Kestner und Sifu Dr. Hubert Beitler lernen, selbst wenn man sie nur beobachtet oder in ihrer Nähe ist.

Aktuell hat mein Training mehr mit innerer Harmonie, der Leichtigkeit und den fließenden Bewegungen zu tun, weniger mit Aggression, dem Zwang gewinnen zu wollen oder Kampf. Dadurch kann man dann mit der Arbeit am eigenen Körper den Geist entwickeln, um zu seiner inneren Mitte zu finden.

DaiSifu Jürgen Kestner und Sifu Dr. Hubert Beitler ergänzen sich hier ideal. Sie bringen auf der einen Seite das geistige Fundament und auf der anderen Seite auch die praxistauglichen Anwendungen immer wieder voran, weil auch sie selten mit dem Erreichten zufrieden sind, deshalb jeden Tag neu an sich arbeiten und immer einen Schritt weitergehen wollen: zum einen im Training, aber zum anderen bei sich selbst und bei der Arbeit an sich selbst; denn wie sagte schon Novalis (1772 – 1801): „Körper, Seele und Geist sind die Elemente der Welt.“ Im Training arbeiten wir an dem Prinzip, das schon Juvenal (58 - 140) vor langer Zeit formulierte: „Mens sana in corpore sano – Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper.“

WT bietet hier das ideale Fundament, auf dem wir aufbauend jeden Tag Körper und Geist trainieren können, um immer wieder die eigene Komfortzone zu verlassen, um zu wachsen – und dies in jungen wie auch in fortgeschrittenen Jahren.

Auch der Vortrag von Dr. Uwe Füllgrabe entsprach diesem Anspruch von Körper und Geist, die im Kampf die beiden Seiten einer gleichen Medaille sind; denn wie er feststellte: Wenn man ohne Hoffnung ist, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit im Kampf erheblich. Mit dem ressourcenorientierten Denken steuern wir also den Körper und das Unterbewusstsein zugleich.

Was ist nun Hoffnung und wer hat sie?

Man könnte diese als inneres Bild beschreiben, das man sich von einem Ziel und einem Zustand in der Zukunft macht. Mit einem inneren Ziel formt man seinen Geist in diese Richtung und damit steigt der Kampfeswille und die Überlebenswahrschein-
lichkeit. Die Praxis zeigt somit, dass die Arbeit mit inneren Bildern und Vorstellungen somit auch die Kampffähigkeit erhöhen.

Auch in diesem Sinne war der diesjährige Internationale Lehrgang der EWTO wieder ein perfekter Rahmen, um neue Impulse zu erhalten, um in den kommenden Wochen und Tagen mit diesen zu arbeiten und sie in die Praxis umsetzen zu können.
Ich wünsche allen für die Zeit bis zum Internationalen Lehrgang 2014 im nächsten Jahr Pfingsten optimale Trainingserfolge. Ich persönlich bin schon gespannt darauf, ob es dann vielleicht wieder heißt: „Karlheinz, kommst du bitte mal ...


Text: Karlheinz Schmidt
Fotos: mg/hm