EWTO

WingTsun-Schulen im Lockdown I

Ein Interview mit Andreas Klostermann, Schulleiter der WingTsun-Schulen Hockenheim und Reilingen

An diesem sonnigen Morgen scheint alles in Ordnung zu sein. Es hat gefühlte 20°C und trotzdem ist doch erst der 21.02.2021 – und damit mitten im Lockdown.Ich begebe mich auf zu einem Termin mit Andreas Klostermann, Schulleiter der Schulen Hockenheim & Reilingen. Die paar Meter zum Laptop sind schnell geschafft, schließlich läuft heute alles corona-konform virtuell ab.
Covid-19 hat unsere Welt fest im Griff, aber auch weiter digitalisiert. So auch Bran-chen und Bereiche, von denen man es so nicht erwartet hätte: die Kampfkunstszene. Heute möchten wir euch Einblicke aus Sicht eines Schulleiters gewähren. Wenn ihr also wissen wollt, was Klorollen und Supermario mit WingTsun zu tun haben und warum nichts machen keine Lösung ist, dann solltet ihr dieses Interview bis zum Ende lesen.

WTW:
Hi Andreas, es freut mich, dass es geklappt hat. Ein Schlüsselprinzip im WingTsun ist es ja sich anzupassen. Das macht der Verband gerade in diesen Zeiten, mit den Großmeistertalks, den Work-Out-Angeboten, und vielem mehr. Ich bin neugierig, wie es mit den Schulen selbst aussieht, was treibst du als Schulleiter während des Lockdowns?

Andreas Klostermann:
Der erste Lockdown letztes Jahr kam schon ziemlich überraschend für uns - wir haben aber direkt sehr früh, ab dem 2. April angefangen, ein Online-Angebot auf die Beine zu stellen! Dies wurde zum Glück schnell und gut aufgenommen. So konn-ten wir diesen Lockdown direkt aus den Vollen schöpfen und direkt online einstei-gen. Mittlerweile sind auch die Eltern unserer Kids oft Teil des Trainings und machen bei Partnerübungen mit.
Uns ist es besonders wichtig, dass es den Kindern Spaß macht und wir für jedes Kind einen Berührungspunkt schaffen. Aus diesem Grund bieten wir mehrmals in der Woche verschiedene Programmpunkte an. Zum Aufwärmen spielen wir beispielsweise immer Supermario. Natürlich nicht an der Konsole. Wie im Spiel erleben die Kinder als Supermario spannende Aufgaben, wie Radfahren, Hüpfen oder auf der Stelle rennen, die gemeistert werden müssen. Das hat sich so gut etabliert, dass die Kinder schon immer rufen: „Supermario!!!“. Mittwochs habe ich angefangen WingTsun Geschichten vorzulesen, so ist für alle etwas dabei. Einmal hat ein Onli-netraining damit geendet, dass sämtliche Eltern und ich komplett mit Klopapier ein-gewickelt wurden (lacht).

WTW:
Alle Achtung. Das klingt ja nach jeder Menge Arbeit, aber auch Spaß. Wie ist es denn mit dem Feedback der Mitglieder generell?

Andreas Klostermann:
Das ist durchweg positiv und manchmal auch sehr herzerwärmend. Da geht es von „vielen Dank für deine Mühe“ bis zu „Super, dass du für uns da bist und für die Kinder da bist“ bis zu „das war wieder eine Stunde in der der Lockdown ausgesetzt wurde“. Ich möchte mich da nicht selbst loben, sondern einfach zeigen, wie dankbar unsere Mitglieder für jede Möglichkeit sind, am Leben „außerhalb“ teilzunehmen und mit anderen in Kontakt zu kommen.

WTW:
Das stimmt, das kennen Schulleiter so nicht. Gibt es denn weitere für dich besondere Momente während dieser WingTsun-Zeiten im Lockdown?

Andreas Klostermann:
Klar, eine besondere Aktion hatten wir zum Neujahrstag geplant. Da habe ich mir ein KungFu-Panda-Kostüm aus China bestellt und die Mitglieder zu etwas großem eingeladen: „An Neujahr wird ein internationaler Hollywood-Star, ein bekannter KungFu-Meister das Training halten!“ Keiner hatte eine Ahnung, nicht mal mein Ausbilderteam hat da etwas spitz gekriegt (grinst). Naja, und dann habe ich mich in das Kostüm gepackt und den Unterricht als KungFu-Panda gegeben. Geschwitzt und gepumpt wie ein Maikäfer, aber egal es hat allen Spaß gemacht.


Für mich sind solche Aktionen eine Herzensangelegenheit. Gerade den Leidtragenden im Lockdown, unseren Kindern, etwas Abwechslung zu bieten und dafür zu sorgen, dass sie bei WingTsun am Ball bleiben.
Was haben wir noch gemacht? Eine Weihnachtsaktion gestartet! Denn auch zu Weihnachten sollten unsere Kinder Geschenke bekommen, da wollten wir uns von Corona nicht aufhalten lassen. Sondern einfach wie im WingTsun üblich, sich anpassen. Und wenn die Kinder nicht zu uns kommen, gehen wir eben zu ihnen. Drei Tage lang sind mein Assistenztrainer und ich von Haus zu Haus gezogen und haben den Kinder persönlich ein Geschenk überreicht!!
Die Hände in den Schoß legen ist einfach die falsche Message in meiner WingTsun-Welt, naja (winkt ab) vielleicht kommen wir später nochmal darauf zurück.
Demnächst habe ich noch einen Zauberer eingeladen, der online eine Zaubershow gibt und mit den Kindern einen speziellen Trick übt - also bei uns wird es so schnell nicht langweilig.

WTW:
Das klingt ja so, als ob du mehr zu tun hast als vor dem Lockdown. Aber das ist er-freulich, was du da für die Schüler alles in Bewegung bringst. Hast du denn einen Tipp für Schüler, wie sie am Ball bleiben und den inneren Schweinehund überwinden? Man kennt es ja von sich selbst, man steht vorm Sofa und soll Übungen ma-chen, anstatt sich drauf zu legen und zu chillen. Wie löst man das Dilemma?

Andreas Klostermann:
Keine Frage, die aktuelle Situation ist motivationstechnisch eine noch schwerere Sache, als sonst.
Ich versuche da einfach über mein tägliches Angebot einen Teil zu leisten. Indem ich Trainingspläne mit „Home-Übungen“ erstelle, quasi Hausaufgaben für die Schüler. Dabei mache ich jede Übung selbst vor und verschicke diese dann an die Mitglieder. Und wer das nicht schafft, der hat die Möglichkeit, ein Motto-Poster der EWTO mit seinen Eltern zu besprechen oder ein WingTsun Ausmalbild ausmalen.
Ich weiß nicht, ob die Leute zuhause zusätzlich trainieren, aber ich sehe zumindest die vielen toll ausgemalten Bilder, die die Kinder voller Stolz in die Kamera halten. Durch dieses vielfältige Online-Trainingsangebot ermögliche ich hoffentlich jedem mal vorbei zu kommen und mit zu trainieren.
Und wer das alles nicht nutzen mag, der kann immer noch allein üben. Oder mit einem Partner. Immer öfter entwickeln sich Trainingspaare, die dann zusammen trainieren.
Ich glaube es kommt einfach darauf an, sich zu Beginn nicht zu viel vorzunehmen. Geht es langsam an – übt dass, worauf ihr Lust habt! Damit motiviert ihr euch Stück für Stück selbst immer mehr. Habt ihr Lust auf Kettenfauststöße, dann übt diese, wollt ihr lieber Form üben, dann das! Dann macht das Ganze viel mehr Spaß und das sollte doch das wichtigste aktuell sein. Am wichtigsten ist es ja, dass man etwas macht, bevor man gar nichts macht.

WTW:
Alles von dem, was du erzählt hast, klingt richtig gut und es scheint sowohl dir als auch deinen Mitgliedern Spaß zu machen, trotz Corona und trotz Lockdown. Hast du gleichermaßen einen Tipp für andere Schulleiter in diesen Zeiten?

Andreas Klostermann:
Am Ende des Tages, und das sollten wir nicht vergessen (kurze Pause): Wir WingTsun´ler sind Kämpfer! Das ist, was uns auszeichnet. Wir sind nicht die, die bewegungslos bleiben, wenn sie angegriffen werden. In der WingTsun Lehre spricht man von Adaption. Hier sehe ich Parallelen zur aktuellen Situation. Wir müssen uns dem stellen, was kommt und was auch immer beschlossen wird, müssen wir zu unserem Vorteil nutzen und in jede Lücke fließen, die sich uns bietet.
WingTsun ist darüber hinaus ein Familiensystem, das sollte man nicht vergessen! Also muss sich jeder Sifu oder Schulleiter heute fragen, welche Verantwortung er seiner WingTsun-Familie gegenüber hat. Für mich gab oder gibt es die Alternative nicht, weniger oder gar nichts zu tun. Und das kann ich auch nur jedem sagen: Seid mutig, traut euch! Es geht nicht darum, ob das Bild, das Mikro oder die Haare perfekt sind. Es gilt etwas zu tun. Unsere Erfahrung zeigt uns, die Mitglieder sind wirklich sehr dankbar für alles was wir tun.

WTW-Online:
Vielen Dank für deine Zeit lieber Andreas! Danke für die vielen Eindrücke und Anekdoten und weiterhin viel Erfolg. Ich hoffe, du gehst als inspirierendes Beispiel für viele voran, die sich vielleicht noch nicht aufraffen konnten oder schlichtweg noch zu viele Zweifel hatten. Hoffentlich bis bald mal wieder auf einem Lehrgang!

Interview: Sadek Radde
Fotos: Andreas Klostermann