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Wer sich mehr anstrengt, kommt später ans Ziel

Optimales Bewegen und Leistungsdruck widersprechen sich: Spätestens in der Schule versucht man uns weiszumachen – gerade im Sport! –, dass nur Anstrengung uns weiterbringt. Für die Leistungsgesellschaft zählt nur schneller, höher, weiter, mehr, besser. Dass nur Druck und Qual uns zum Ziel bringen, ist jedoch ein Trugschluss, denn diese Strategie bewirkt nicht selten das Gegenteil.

Was nicht leicht und locker erfüllt werden kann, da meinen wir, uns mehr anstrengen zu müssen, ein Wort, welches Anspannung schon in sich trägt. Die Spannung schlägt sich körperlich nieder, was mit der Zeit zu Verschleiß führt.

Gerade dort, wo Bewegung erwünscht ist, nämlich überall, wo man vorwärts kommen möchte, erreicht ein zu viel an Spannung, ein zu viel an Kraft genau das, was man verhindern möchte: Bewegungseinschränkung, Misserfolge, Rückenschmerzen, Nackenverspannungen, Angstgefühle und weitere Stresssymptome.

Die Aufforderung: „Reiß dich zusammen!“, beschreibt ziemlich genau den körperlichen Zustand, in dem man sich dann befindet; denn die gesamte Muskulatur zieht sich zusammen, vor allem die vordere Beugemuskulatur lässt uns vornüber sinken, den Kopf hängen lassen. Wir erstarren förmlich und auch unser Denken und Handeln. Das Nervensystem aktiviert primitive Verhaltens- und Bewegungsmuster. Überlebensreaktionen treten zum Vorschein: Man möchte sich tot stellen, fliehen oder gar kämpfen – Reaktionen, die sich weder im Sport noch im Alltag als nützlich erweisen konnten. Geschweige denn, dass sie uns helfen, mit den komplexen Anforderungen des Lebens zu Rande zu kommen. Derart eingeschränkt können wir nur noch grob auf grobe Anforderungen reagieren, jegliches Feingefühl ist ausgeschaltet. Die permanent angespannte Muskulatur verpufft unsere Energie, ohne viel Positives bewirkt zu haben. Hält so ein Zustand über längere Zeit an, sprechen wir von Burn-out, werden mutlos und depressiv.

Spielerische Neugier, geduldiges Ausprobieren ergeben die reibungsloseste Bewegung, das effizienteste Vorwärtskommen

Paradoxerweise kommen wir schneller ans Ziel, wenn wir uns nicht anstrengen und dafür entspannt und locker bleiben, wenn wir uns keine Mühe im Sinn von Schwerarbeit geben, sondern uns in experimentierfreudigem Vorwärtsstreben dem Ziel nähern. So erhält unser Körper den nötigen Spielraum, die Gelenke erhalten die volle Beweglichkeit, unser Nervensystem ist empfänglich für all die feinen Reize, die uns viel genauer zeigen, wo es langgeht und wie. Bewegungen können zielgerichtet angesteuert werden und unser Denken ist kreativ und lösungsorientiert. Freude am Tun stellt sich ein.

Doch so paradox ist das gar nicht. Stellen wir uns vor, in einer komplexen Apparatur klemmt etwas: Papierstau im Drucker, der Automotor zeigt erhöhte Temperatur, der Computer schaltet nur langsam, das neue Gerät verweigert die Funktion. Hier wissen wir: Es nützt nichts, noch zehnmal auf „drucken“ zu klicken, mehr Gas zu geben oder auf die Tastatur zu hämmern – der wütende Tritt hilft auch selten. In vernünftigen Momenten nehmen wir uns in solchen Fällen die Zeit, den Fehler zu finden, zu beheben, die Gebrauchsanweisung zu lesen und dürfen uns anschließend an einem reibungslos funktionierenden Gerät erfreuen. Nicht mehr Anstrengung, sondern genaueres Hinsehen löste das Problem.

Geht es um unseren Körper oder ganz generell um unsere eigene Funktionalität, ist genau das gleiche Prinzip erfolgversprechend: Ruhe bewahren, herausfinden, wo es klemmt und wie es optimal bedient wird, die Signale wahrnehmen und sich entsprechend verhalten. Respektieren wir die körperlichen Müdigkeitssignale, steigert sich die Belastungsfähigkeit sogar schneller, als wenn wir uns dauernd überarbeiten, uns im Training überanstrengen.

Fazit: Ein aufmerksames, spielerisch-neugieriges Bei-der-Sache-Bleiben ist die richtige Einstellung, gerade wenn es um anspruchsvolle Herausforderungen geht – und so macht es definitiv auch viel mehr Spaß. Und der ist der beste Motivator überhaupt!

Text: Regula Schembri
Fotos: Fotolia