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Beim Lernen von Bewegungen ist langsam schneller

Zum Nachdenken: Wenn du eine Bewegung langsam ausführen kannst, geht’s auch schnell. Umgekehrt ist das gar nicht immer der Fall!

Gerade beim Lernen der komplexen, für den Alltagsmenschen völlig fremden WingTsun-Bewegungen ist es wichtig, langsam vorzugehen. Zu leicht lassen wir uns verleiten, mit Schnelligkeit darüber hinwegzutäuschen, dass wir nicht genau wissen, wie die Bewegung exakt auszuführen ist. Vielleicht merkt es ja der Lehrer nicht – doch mit Sicherheit merkt es unser Nervensystem, dass hier wichtige Informationen fehlen.

Die gute Nachricht
Es gibt eine Lösung: Mache das Ganze langsamer und entdecke die noch unbekannten Anteile der Bewegung!
Gerade das langsame Entdecken macht Bewegungslernen ungemein spannend und viel effizienter. Ein so gelernter Ablauf sitzt, weil das Nervensystem Zeit hatte, die Bewegung genau wahrzunehmen und zu speichern. So kann es sie jederzeit wieder abrufen.
Langsam und leicht unterstützt die Eigenwahrnehmung
Um uns und unsere Bewegungen wahrzunehmen, brauchen wir Langsamkeit und dazu noch Leichtigkeit, denn auch jede Anstrengung steht dem bewussten Erkennen eines Ablaufs entgegen. Warum ist das so?
Die Eigenwahrnehmung des Körpers funktioniert über Nervenzellen, die sog. Propriozeptoren. Diese befinden sich in den Muskeln, Sehnen und Gelenken und haben die Aufgabe, das Zentrale Nervensystem über Länge und Spannungszustand der Muskulatur und – für unser Lernen besonders wichtig – über die Position der Körperteile zueinander und im Vergleich zum Raum zu informieren.

Winzige Unterschiede bei leichter Stimulation
Unsere Sinne können bei leichter Stimulation winzige Unterschiede ausmachen. Eine Reizüberflutung führt hingegen dazu, dass wir nicht mehr differenzieren können. Zum Beispiel ist im Scheinwerferlicht das Auge nicht in der Lage, das Licht einer Taschenlampe zu erkennen. Und in der Diskothek kann unser Ohr das Klingeln des Handys nicht mehr hören (es lebe der Vibrationsalarm!).
Ähnlich funktioniert es mit der Eigenwahrnehmung. Hier übertönen Geschwindigkeit und Kraft die feinen Signale der Nervenzellen. Somit kann das Gehirn nicht mehr feststellen, ob die Position stimmt oder korrigiert werden muss.
Wenn wir z.B. einen schweren Rucksack tragen, können wir weder eine Schachtel Streichhölzer oben drauf als zusätzliches Gewicht empfinden, noch würden wir bemerken, wenn die Schachtel wieder entfernt werden würde. Wie groß kann denn der Gewichtsunterschied sein, damit wir die Differenz noch wahrnehmen können? Das Verhältnis beträgt ungefähr einen Vierzigstel (1/40) des ursprünglichen Kraftaufwandes: Trägt man 40 kg, ist 1 kg mehr oder weniger wahrnehmbar, bei 4 kg nehmen wir 100g Unterschied wahr und wir könnten sogar das Gewicht der Fliege spüren, die sich auf ein Streichholz auf unserer Haut setzt!

Je geringer die Kraftanstrengung und je langsamer das Tempo, desto feiner können wir unterscheiden.

Je weniger wir uns beim Ausüben der Bewegungen also anstrengen, desto schneller geht das Erlernen einer jeden Fertigkeit! Der Perfektionsgrad geht dabei einher mit der Zunahme der Feinheit, die wir erreichen können.

Um schneller zu lernen, Bewegungen feiner und langsamer machen
Wenn du z.B. auf einem Bein stehst und das andere Bein langsam zu einem Tritt streckst, so kannst du viel schneller wahrnehmen, ob deine Körperposition stimmt oder nicht. Stehst du auch nur ein wenig falsch ausgerichtet auf dem Bein, verlierst du das Gleichgewicht. Es erscheint schwieriger, langsam zu strecken, jedoch wird der „Fehler“ sofort festgestellt und kann bewusst korrigiert werden. Streckst du jedoch das Bein sehr schnell, merkst du kaum, dass du überhaupt nicht im Gleichgewicht bist. Hast keine Zeit, dich wahrzunehmen, geschweige denn, etwas zu korrigieren! Wenn du es jedoch mit der Zeit geschafft hast, die langsame Streckung korrekt hinzubekommen, dann bringt dich nichts mehr so leicht aus dem Gleichgewicht und dein Tritt sitzt sicher.

Also: Mut zur Langsamkeit – letztendlich ist dies der schnellere Weg!

(In Anlehnung an den Text: „Das Lernen erlernen“ von Moshé Feldenkrais)

Text: Regula Schembri
Fotos: