Editorial

Den Meister erkennt man daran, wie er sich selbst beherrscht.

Tschischengtse richtete Kampfhähne für den König ab. Nach zehn Tagen fragte der König, ob sein Hahn zum Kampf bereit sei. „Noch nicht“, antwortete er, „der Hahn ist noch voll Streitsucht und Hochmut.“ Nach weiteren zehn Tagen fragte der König wieder, und Tschischengtse erwiderte: „Noch nicht. Er ist noch für Schatten und Geräusche empfindlich.“ ...

... Als abermals zehn Tage vergangen waren, fragte der König wiederum, und er antwortete: „Noch nicht. Seine Augen haben noch einen zornigen Blick, und er ist voller Kampfeslust." Abermals vergingen zehn Tage, und er sprach: „Jetzt ist es wohl soweit. Wenn er andere Hähne krähen hört, kümmert ihn das nicht. Wenn man ihn ansieht, würde man meinen, er sei aus Holz. Sein Charakter ist jetzt ganz. Kein anderer Hahn wird es wagen, mit ihm zu kämpfen; sie werden alle bei seinem Anblick davonlaufen."

Nehmen wir uns an diesem Kampfhahn ein Beispiel. Wir müssen unsere wahren Gefühle, Empfindungen Emotionen beobachten, erkennen und kontrollieren. Nachdem wir es geschafft haben, unsere Gedanken bewusst zu verfolgen, müssen wir nun in ähnlicher Weise, aber noch viel subtiler mit unseren negativen Stimmungen vorgehen.
Wenn es uns gelingt, auch unsere Gefühle und Empfindungen bewusst zu erleben und Kontrolle über unsere Stimmungen zu erlangen, dann wird unser Körper sich wohlfühlen, in unserem Geist findet sich Klarheit, und in unserem Herzen herrscht Zufriedenheit.
„Wenn keine Gefühle der Wut, des Zornes, des Kummers, aber auch des Vergnügens erregt sind, ist das Gemüt im Zustand des Gleichgewicht (in der Mitte)." heißt es im „Mittleren Weg" (Tschun Yung) von Konfuzius. Zur Versinnbildlichung stellen wir uns bitte eine(n) WT-Anwender(in) im SNT-Stand vor. Er/sie befindet sich in perfektem Gleichgewicht. „Erheben sich solche Gefühle und reagiert das Gemüt in normaler, unaufgeregter Weise darauf, so ist es im Zustand der Harmonie." setzt Konfuzius fort. Hier stellen wir uns eine(n) WT-Anwender(in) vor, der/die aufgrund von Chi-Sao-Fähigkeiten, alle Kräfte, die auf ihn/sie einwirken, ausgleicht und „harmonisiert."
Mit anderen zu kämpfen ist aber nicht das wahre und letzte Ziel des Kung Fu. Beim Üben gilt es den Kampf mit sich selbst zu gewinnen. Dann kommt es meistens gar nicht zur körperlichen Auseinandersetzung mit anderen, weil wir uns von unserem „Ego" befreit haben.
Die Menschen wollen anderen befehlen, sich als Meister über andere fühlen, aber wahre Menschlichkeit und Meisterschaft bedeutet über sich selbst zu herrschen und anderen zu helfen, dasselbe für sich zu erreichen.
Wieviele Kampfkunst-„Meister" im Osten und im Westen bleiben „echte" Meister, wenn wir sie an dieser Forderung messen?

 

Liebe Grüße
Keith R. Kernspecht

 

Achtung:
Der Inhalt auch dieses Editorials basiert auf uraltem Wissen, auf Erkenntnissen und Lehren von Wissenschaftlern und Weisheitslehrern, die den WingTsun-Selbstbefreiungsideen sehr nahe standen.
Meine monatlichen Editorials können Euch nur theoretische Anstöße für das praktische Arbeiten an Euch selbst geben. Das bloße Lesen ist nur die erste Vorbereitung, aber noch nicht die Arbeit selbst.