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Der heimliche Star der EWTO

Wing Tsun ist für Stefan Schmaltz mehr als nur eine Kampfkunst. Nach einem schweren Autounfall war sie es, die den heute 36-Jährigen ins Leben zurückgeholt hat. Diesen Kredit scheint er ihr heute zurückgeben zu wollen. Mehr noch: Seit er WingTsun 1991 eher zufällig entdeckte, hat für Stefan Schmaltz eine neue Zeitrechnung begonnen.

Das Leung Ting-WingTsun ließ Stefan nicht mehr los. Denn durch das tägliche unermüdliche Training erkämpfte er sich Stück für Stück Lebensqualität zurück. Heute trainiert Stefan WingTsun nicht nur für sich alleine, zielstrebig erarbeitete er sich die Qualifikationen, auch als Lehrer tätig sein zu können. Mit Erfolg: 2002 wurde dem Husumer in Kiel der Titel eines „Sifu" verliehen. „Das sei das Höchste, was er als Lehrer erreichen könne", sagt er stolz, „nach elf Jahren, zwei Monaten und 27 Tagen WingTsun".

Rückblick...

Knapp zweieinhalb Jahre zuvor (1989) hatte Stefan Schmaltz bei einem schweren Autounfall auf der B 200 zwischen Husum und Tönning neben Knochenbrüchen auch eine so genannte Ataxie erlitten. Darunter verstehen Mediziner Lähmungserscheinungen, die auf eine Prellung des Kleinhirns zurückzuführen sind. Die Folge: motorische Beeinträchtigungen auf fast allen Ebenen. So werden als Konsequenzen des Unfalls etwa „eine Hirnsubstanzschädigung, Sprachstörungen sowie Beeinträchtigungen des Bewegungsablaufes mit allgemeinen Koordinationsstörungen sowie Behinderungen beim Gehen und Schreiben" anerkannt.

Die Sekunden, die sein Leben veränderten ... Ein Auto schnitt die Kurve, Stefan konnte mit seinem Opel nicht mehr ausweichen. Erinnern kann er sich nur noch an einen schrecklichen Knall. Den jungen Mann hatte es schwer erwischt, zwölf Tage lag er im Koma, weitere drei Monate im Bett. Es folgten ein halbes Jahr im Rollstuhl und zehn Monate an Krücken.

Von einem Tag auf den anderen konnte Schmaltz – vor dem Unfall ein erfolgreicher Leichtathlet – weder schreiben noch greifen, geschweige denn gehen oder Fahrrad fahren. Dennoch ließ er sich nicht unterkriegen, probierte immer neue Therapien. Allerdings ohne den erwünschten Erfolg. Ein spezielles Krafttraining, von dem er sich eine Verbesserung des Bewegungsapparates erhoffte, schlug sogar ins Gegenteil um. Bis er im November 1991 sein WingTsun-Studium aufnahm. Schon nach der ersten Stunde bei seinem Lehrer Sifu Peter Thietje, der ihn bis heute unterrichtet, „wusste ich, dass ich das Richtige gefunden habe". Sieben Jahre trainierte Sifu Peter mit Stefan, baute ihn wieder auf. Denn auch Rückschläge musste Stefan verkraften: „Nach sechs Monaten machte ich die ersten Schritte an Krücken, aber natürlich fiel ich noch oft hin ..." Mit eisernen Willen hielt er aber durch. Und dann, nach zwei Jahren, die ersten Schritte ohne Krücken: „Es war wie ein Triumph für mich, ich kann es gar nicht beschreiben!" Besondere Fortschritte erzielte Stefan Schmaltz durch das Chi-Sao-Training: „Durch das Chi-Sao konnte ich unter anderem meine Sehfähigkeit verbessern: auf dem linken Auge immerhin um 50, auf dem rechten um 40 Prozent." Auch sein Gleichgewichtssinn wurde stabilisiert. „Dank WingTsun kann ich heute wieder fast alles machen", sagt er.

Sifu Stefan Schmaltz hat mit seinem Sport sogar Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde gefunden hat: als einziger schwerbehinderter WingTsun-Lehrer weltweit.

Eine weitere, ganz besondere Anerkennung war es für Stefan, sich in das offizielle Gästebuch seiner Heimatstadt Husum eintragen zu dürfen. Denn 1982, damals noch Schüler, belegte Stefan den zweiten Platz im Wettbewerb „Leichtathletik – Jugend trainiert für Olympia" in Berlin. Und obwohl durch den Unfall seine erste Karriere als Sportler jäh beendet wurde, ging er doch einen außergewöhnlichen sportlichen Weg. Für diese außerordentlichen sportlichen Leistungen ehrte ihn seine Heimatstadt.

Doch all die erreichten Ziele und Auszeichnungen veranlassen Stefan nicht, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Ganz im Gegenteil: Er hat seine Berufung im WingTsun gefunden. Der „Sifu"-Titel ist ihm eine ehrenvolle Verpflichtung. „Jetzt muss ich meine Schüler nicht mehr nur in WingTsun-Techniken unterrichten, sondern sie obendrein den richtigen Umgang mit Menschen lehren," meint Stefan.
Für viele Menschen, die auch schwere körperliche Behinderungen meistern müssen, ist Sifu Stefan ein lebendiges Beispiel der eigenen Hoffnung und der beste Ansporn, sich nicht aufzugeben.

Text: Mirko Kannenwischer