EWTO

Die WingTsun-Schule von nebenan: Brandenburg

Heike Jacobs trainiert seit 1993 WingTsun und leitet seit 1995 die WT-Schule in Brandenburg.

Ich trainiere seit 1993 WT – also nunmehr 11 Jahre. Ich habe mit einem Pauschalvertrag auf Trainer 2 begonnen und bin ca. 4 Jahre lang direkt in Heidelberg von Sifu Andreas Gross, Sifu Heinrich Pfaff und Sifu Bernd Wagner unterrichtet worden. Seit 1998 trainiere ich auch regelmäßig in der Schule von Sifu Peter Vilimek in Berlin. Was mich am WingTsun besonders fasziniert, ist das philosophische WT-Konzept, seine Übertragbarkeit auf andere Lebensbereiche und die durch WT gesteigerte Lebensqualität für Frauen. Eines meiner Lieblingshobbys ist, alleine Fernreisen mit dem Fahrrad zu unternehmen. Ich war in Mexiko, Sizilien, Indien, Nepal, Norwegen – um nur ein paar Reiseziele zu nennen. Als Frau ist es da nicht unproblematisch, allein zu reisen. Zum einen hat mir WT in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit weniger gastfreundlichen Einheimischen schon so manches Mal geholfen – z.B. habe ich partout keinen Spaß verstanden, als mir fünf indische Halbstarke nachts mein Zelt abbauen wollten. Ein Lap-Sao-Fauststoß konnte die Sache schneller klären als meine rudimentären Hindi-Kenntnisse. Zum anderen hilft mir die Philosophie im WT, speziell die taoistische Seite, meine Reisen so durchzuführen, wie ich sie durchführe (spontan sein, sich anpassen, Gelegenheiten nutzen, Planungen auf ein minimales Maß zu begrenzen ...) und die mentalen und physischen Belastungen auf dem Fahrrad im Hochgebirge zu bestehen.

WingTsun-technisch wachse ich langsam in den Bereich des Biu-Tse-Chi-Sao hinein und da fasziniert mich die Ausgefeiltheit der Bewegungen, die Präzision – und, es klingt vielleicht komisch, das so zu sagen – die Abgebrühtheit, mit seiner Gegenaktion bis zum letzten Moment zu warten, aber dann dafür um so effektiver zu (Re-)Agieren.

Wir feiern im Februar 2005 das 10jährige Jubiläum unserer Schule in Brandenburg. Ich habe unsere erste Gruppe zusammen mit meinem Bruder Ingo (1. TG WT) vor fast 10 Jahren in einer Turnhalle am Dom zu Brandenburg begrüßt – sozusagen auf historischem Boden. Ich selbst hatte damals erst den 6. SG und war noch in Ausbildung in Langenzell.

Ich bin in Brandenburg/Havel geboren – da habe ich halt eine spezielle Bindung zu diesem Ort. Zugegeben, er ist nicht unbedingt einer der schönsten Flecken im Land Brandenburg, aber er hat seine schönen Seiten, vor allem im Sommer (viel Wasser und Wald). Ich hatte mir deshalb damals gedacht, dass man es hier ruhig mal versuchen könne. Aber begonnen habe ich eigentlich nicht mit dem Ziel, in Brandenburg eine Schule zu eröffnen. Denn 1993 war die Gebietsreservierung für Brandenburg schon an zwei andere Pauschalschüler vergeben. Da die beiden aber nach Thailand ausreisten, war der Weg plötzlich frei. Und ich habe das genutzt – erstes Kampfprinzip eben.

Auch auf die Gefahr hin, hier jetzt das ewig alte Lied vom „armen, strukturschwachen Osten“ zu singen: Die Infrastruktur ist denkbar schlecht. Seit Gründung unserer Schule haben ca. 15.000 Leute (brutto) unsere Stadt aus Gründen der fehlenden Perspektive verlassen. Das sind fast 20% der Gesamtbevölkerung! Und das war vor allem unsere primäre Zielgruppe – also jüngere, mobile, leistungs- und erfolgsorientierte Menschen. Wir haben derzeit ca. 24% Arbeitslosigkeit, was sich im Erscheinungsbild der Stadt deutlich bemerkbar macht.

Wegen dieser strukturellen Probleme haben wir derzeit leider einen Rückgang in der Schülerzahl zu verzeichnen – ein Trend, den wir auch bei anderen Kampfkunstschulen der Stadt beobachten. Es wird halt eifrig gespart. Wir haben derzeit noch ca. 15 reguläre Schüler. Darüber hinaus sind wir aber in die Projektarbeit von Ganztagsschulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen und Vereinen zur Integration von Umsiedlern und Emigranten mit wechselnden Teilnehmerzahlen eingebunden. Auch bieten wir Kurse an der VHS an. Der Weiterleitung von Teilnehmern dieser Projekte zum Unterricht in unserer Schule (vor allem bei Kindern und Umsiedlern) erwies sich aber als schwierig.

Allen konjunkturellen und strukturellen Widrigkeiten zum Trotz versuchen wir, durch regelmäßige Werbung verschiedenster Art Menschen für WingTsun zu begeistern. Eine Web-Page ist derzeit in Arbeit. Wir hatten längere Zeit Anzeigen in lokalen Zeitungen geschaltet, die Resonanz war jedoch gering. Wir legen die offiziellen Mehrfarb-Prospekte der EWTO an entsprechenden Stellen aus (Kino, Disco, Eiscafe, Brandenburg-Information, Copy-Shop etc.). Auch haben wir einen Großteil unserer WT-Literatur als Spende an die Stadtbibliothek weitergereicht, was uns etwas Feedback bescherte. Jedes Jahr veranstalten wir mehrere öffentliche Präsentationen. Für gelegentliche Postwurfwerbung kooperieren wir mit einem örtlichen Träger für Jugendfeiern, mit dessen Programm wir zusammen Info-Flyer entwerfen, drucken und verteilen.

Die beste Resonanz hatten wir bisher auf Kurzprojekte (z.B. Projekttage mit Jugendlichen). Insgesamt ist unsere Erfahrung mit Werbung aber eher ernüchternd – wir hatten schon oft die ganze Stadt mit offizieller Verbandswerbung (Poster) eingedeckt oder Dauerinserate geschaltet (zusammen mit der WT-Schule in Rathenow) – und es gab keine Reaktion. Dann gab es aber auch Fälle, dass wir auf Aktionen oder Werbung angesprochen wurden, die wir vor Jahren mal ausgebracht hatten. Völlig unvorhersehbar.

Wie gestalte ich den Unterricht in meiner Schule?

In der Regel folge ich dem klassischen Unterrichtsaufbau: Form, Grundschule, Chi-Sao, Lat-Sao, Blitz-Defence. Von den Unterrichtsinhalten her profitiere ich noch sehr von meiner Schlossausbildung. Ansonsten hole ich mir gerne Anregungen von meinem Si-Hing Georgios (3. TG WT). Im Moment arbeit ich mit meinen Leuten verstärkt am Bong-Sao. Zum Abschluss eines jeden Trainings mache ich gerne eine von zwei Übungen: Entweder baue ich einen kampfkunstspezifischen (Schnell-)Kraftkreis auf, den ich dann zweimal durchlaufen lasse (ca. 10 Minuten). Oder ich lasse einen Kreis bilden, in dessen Mitte ein Schüler steht, der dann mit entsprechenden Blitzdefence-Programmen konfrontiert wird, was die Schüler sowohl realistischeren Stress-Momenten aussetzt als auch einen Einblick in ihr „wahres Können“ ermöglicht. Zweimal die Woche leitet ein Schüler von mir (Thomas, 12. SG WT) ein auf Ausdauer, Pratzentechnik und Kontakt orientiertes Zusatztraining.

Meine persönlichen Ziele für die Zukunft sind: Weitergehen – Biu-Tse-Chi-Sao ausbauen – und ich verspreche mir viel von der Holzpuppe: bessere und stabilere Positionen zum Beispiel. Ich als schwächere Frau kann davon sicher sehr profitieren. Darauf freue ich mich. Ach ja – endlich meine theoretische Arbeit zum 2. TG abschließen und einschicken. Die praktische Prüfung habe ich schließlich schon seit fast einem Jahr bestanden (Asche auf mein Haupt!).