Mensch, trau' dich!
Eine Amtstierärztin entdeckt Anfang der neunziger Jahre in einem Schlachthof in Schleswig-Holstein Kühe, die komisch torkeln. Ihr Verdacht, BSE. Ihre Untersuchungen bestätigen die Diagnose, die Vorgesetzten reagieren nicht. Die Ärztin wird ausgegrenzt, kaltgestellt, gefeuert. Zwei Jahre später erschüttert der BSE-Skandal die Welt. Die Ärztin wird nicht wieder eingestellt. Sie lebt jahrelang von Sozialhilfe, dann von einer kleinen Rente.
1999 richtet ein Steinmetz mutwillig verwüstete Gräber auf einem jüdischen Friedhof wieder her. Es sind 103 Gräber und das alles unentgeltlich. Daraufhin wird in seinem Unternehmen eingebrochen und alles verwüstet. Der Anschlag bringt seine vierköpfige Familie an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Er würde aber trotzdem wieder so handeln.
Eine junge Frau bekommt mit, wie ein Kind auf einem Spielplatz von älteren Kindern misshandelt wird. Sie greift verbal in diese Situation ein. Daraufhin wird sie ebenfalls attackiert. Nur mit Hilfe von anderen Passanten, die das beherzte Eingreifen der jungen Frau beobachtet hatten, und nun ebenfalls eingriffen, konnte Schlimmeres verhindert werden.
Diese Fälle lassen ein mulmiges Gefühl zurück. Hätte ich auch so gehandelt? Muss ich gleich das ganz große Rad drehen und Job, Existenz oder sogar mein Leben aufs Spiel setzen? Nicht jeder kommt als Held auf die Welt – woher dann den Mut nehmen, aktiv zu werden? Und wann? Und vor allem: wie?
„Menschen mit Zivilcourage sind meist keine Helden. Sie sind weder besonders stark noch besonders reich", sagt Dieter Lünse, Leiter des Institutes für Konfliktaustragung und Mediation in Hamburg. Sich gegen Unrecht wehren, hängt weder vom Alter noch von der körperlichen Konstitution noch vom Geschlecht ab. Die Größe der Tat ist nicht entscheidend. Für eine Schülerin kann der Befreiungsschlag darin bestehen, dem Aggressor ins Gesicht zu sagen, dass er sie nicht unsittlich berühren soll. Im Job kann die „Heldentat" schon darin bestehen, als Einziger im Team die unausgegorene Budgetplanung des Projektleiters zu kritisieren. Alles das sind Beispiele für eine funktionierende Zivilcourage. Denn Zivilcourage bedeutet aus der Masse herauszutreten und sich für hilflose Dritte einzusetzen. Häufig unterbleibt Hilfe, weil alle denken, die anderen würden aktiv werden.
Als Lohn für die Tat winkt das gute Gefühl, das Richtige bewirkt, oder zumindest versucht zu haben. Klar ist aber, wer handelt, geht das Risiko ein, nicht zu wissen, wie sich die Situation entwickelt. Genau an diesem Punkt bleibt der Impuls, helfen zu wollen, oft stecken. Angst übernimmt die Regie. Ein schlechter Ratgeber? Keineswegs. Angst ist erst mal gut, denn sie zeigt uns die Gefahr. Wir müssen die Angst akzeptieren und nicht erst warten, bis wir sie überwunden haben: Dann wird Angst zur Kraft!
Was aber, wenn es ernst wird:
Drei Faktoren der Konfliktbewältigung sind wichtig, besonders in Situationen, in denen Gewaltanwendung droht.
* Standfest sein und bleiben. Nachdruck und Entschlossenheit geben dem Handeln eine ungeheure Wucht.
* Die eigene Kraft geschickt einsetzen. Der Anruf bei der Polizei, der laute Schrei, das Mobilisieren von anderen Passanten. All das hilft Opfern von Gewalttaten. Alles, was Täter ablenkt, ist sinnvoll.
* Ein möglichst positives Verhältnis zum Gegenüber bewahren.
Nicht pöbeln, nicht attackieren, nicht tätlich eingreifen. Kleine Taten, große Wirkung. Nochmals Dieter Lünse: „Aus der Gewalt- und Konfliktforschung wissen wir, dass deeskalierendes Eingreifen immer zur Auflösung einer aggressiven Situation führt." Also nicht wie Supermann dazwischengehen, wenn ein Typ in der U-Bahn ein Mädchen belästigt. Besser ist es, die Situation aufzulösen. Den Mann nach der Uhrzeit fragen oder das Mädchen in ein Gespräch verwickeln. Das gibt der Person die Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust zu verschwinden. Und auch für den Fall, dass vor unseren Augen wirklich mehrere Menschen einen Wehrlosen niederprügeln, gibt es klare Regeln, wie Zivilcourage sinnvoll ist.
Welche Strategien gibt es in diesem Fall? Kriminalpolizei, Psychologen und Konfliktberater haben diesbezüglich die wichtigsten Punkte herausgearbeitet. Diese Erkenntnisse wurden alle in der Praxis gesammelt.
Eingreifen, ohne selbst in Gefahr zu geraten:
1. Vorbereitung: Gewalt in der Öffentlichkeit erwischt uns immer überraschend. Deshalb ist Trockentraining wichtig: eine Gewaltsituation konstruieren und die Rolle als Helfer durchspielen. Selbstbriefing, ergo Selbstprogrammierung, ich kann immer irgendetwas tun.
2. Spielregeln: Warten sie nicht darauf, dass die anderen aktiv werden. Erfahrungen zeigen, dass das alle denken. Also selbst aus der Masse heraustreten. Das oberste Gebot: Gewaltfreiheit. Fäuste und Waffen lassen die Situation eskalieren und verschlimmern die Bedrohung für das oder die Opfer.
3. Maßnahmen: Laut schreien. Kostet Überwindung, denn niemand will auffallen oder sich blamieren. Schreien sie „Hilfe!" oder „Feuer!". Das setzt immer eine Hilfskette in Gang. Das Opfer fühlt sich nicht mehr allein und der oder die Angreifer werden verunsichert. Hilfe organisieren: Sprechen sie konkret Passanten an: „Sie dort in der blauen Jacke, helfen Sie mir." Wenn möglich, den oder die Täter offen anschauen, damit klar ist, dass man sie erkannt hat und beschreiben kann. Die Polizei rufen oder dafür sorgen, dass jemand anruft.
4. Gesicht zeigen: Erstatten Sie Anzeige und stellen Sie sich als Zeuge zur Verfügung. Sagen Sie der Polizei alles, was Sie über den Täter wissen. Die Devise heißt immer: Handeln statt Wegschauen. Polizei und Gewaltexperten bieten Schulungen für jedermann an.
Mehr Informationen zu diesem Thema – speziell auch für Opfer von Übergriffen – gibt es unter www.aktion-zivilcourage.com. Dort findet man Hilfe und Anregungen, Erklärungen und Informationen. Außerdem gibt es viele interessante Beiträge diesbezüglich unter www.sicher-stark.de/zeitungsartikel.html. Themenschwerpunkte sind hier vor allem Situationen mit Kindern.
Zusammenfassend sei gesagt, Zivilcourage erlernen ist nicht schwer, den Mut zu finden dagegen manchmal sehr. Nach einer genauen Analyse aller Befragten kam heraus, dass wirklich jeder, zu jeder Zeit, an jedem Ort damit konfrontiert werden kann. Es liegt letztendlich an jedem selbst zu erkennen, was man braucht, um so eine Situation zu bestehen.
Wir haben auf Grund unserer WingTsun-Kenntnisse die Chance, im richtigen Moment das Richtige zu tun. Sozusagen verbal wie non-verbal, sprich mit entsprechenden Worten sowie Gestik und Mimik zu reagieren. Die nötigen Techniken bieten uns die von Großmeister Kernspecht entwickelten „BlitzDefence-Programme".
Die EWTO hat es sich zum Ziel gesetzt, Kinder und Jugendliche sicher und stark zu machen. Eine Zukunftsvision ist, dass die nächsten Generationen Gewaltverbrechen und sexuellem Missbrauch nicht mehr hilflos ausgeliefert sind, sondern sicher aufwachsen. In den Trainings-Programmen für die Erwachsenen ist es das Ziel, die Teilnehmer mit verbalen- und Selbstverteidigungswaffen auszustatten, die diese in einer potentiellen Notfallsituation schützen sollen.
Denn eines ist gewiss: „Nach der Meisterung der Technik und der notwendigen Strategie ist der Mut, sich etwas zuzutrauen, die allerletzte und größte Hürde, die es zu bestehen gilt!".
Text: Mirko Kannenwischer