„Es gibt keine festen Reihenfolgen!“
„Sich den Gegebenheiten jederzeit anpassen zu können, das ist eines der wesentlichsten Merkmale des WingTsun“ Immer wieder hörten die Tutorialteilnehmer diese Worte vom Oberhaupt der Internationalen WingTsun-Familie. Dabei spielte es keine Rolle, ob er gerade die Meister an der Tripodalpuppe, im Langstock oder ChiGerk unterrichtete oder Techniker in den Anwendungen der ChamKiu- oder BiuTse-Form unterwies.
Immer wieder werden Großmeister Leung Ting Fragen nach dem genauen Ablauf einer Sektion oder winzigen Details einer Bewegung gestellt. „It depends!“, folgt genau so häufig die Antwort, die schon so manchen WT-Schüler an den Rand der Verzweiflung trieb.
Der natürliche Trieb des Menschen, die Realität durch simple Modelle vereinfachen zu wollen, macht auch nicht vor dem WingTsun halt, das der Komplexität der Wirklichkeit (eines Kampfes) ja gerade dadurch Rechnung tragen will, dass es auf Prinzipien und nicht auf starre Techniken aufgebaut ist.
Es scheint eine der wichtigsten Aufgaben eines WingTsun-Lehrers – insbesondere eines Großmeisters – zu sein, die WT-Lernenden immer wieder an diese Besonderheit zu erinnern. Ganz so als müsste das Lebendige durch ständige Energiezufuhr am Erstarren gehindert werden.
Aussagen wie „Wen interessieren Details!“ oder Änderungen an vermeintlich bekannten Bewegungsabläufen stoßen immer wieder auf Unverständnis bei den WT-Schülern. Hatte er die Sektion beim letzten Unterricht nicht ganz anders gezeigt? Warum ist die gleiche Abwehr jetzt falsch, obwohl sie eben noch als richtig gelobt wurde?
So sieht die „Energie“ aus, durch die ein Großmeister dem einsetzenden Erhärten des Flexiblen immer wieder aufs Neue die Grundlage entzieht.
Text: Markus Senft