BlitzDefence

Selbstverteidigung aus Sicht der Kommunikationswissenschaften – Teil 5

Distanzen spielen gerade in Extremsituationen wie einer Selbstverteidigungssituation eine große Rolle. Lesen Sie, wie sich Distanzen auswirken können ...

Distanzzonen in der Nonverbalen Kommunikation

Distanzen haben im technischen Bereich des WingTsun ihre feste Bedeutung. So werden im WingTsun die fünf Phasen des Kampfes bei einer körperlichen Auseinandersetzung wie folgt ablaufen:

• Trittdistanz
• Faustdistanz
• Ellenbogen und Kniedistanz
• Halten, Hebeln und Werfen
• Bodenkampf

Diese fünf Phasen stellen den optimalen Ablauf eines Kampfes dar. Wobei hier optimal bedeutet, dass zur Darstellung optimaler Weise alle Phasen durchlaufen werden. Die optimale Lösung ist selbstverständlich ein vermiedener Kampf. Es können auch Phasen ausgelassen bzw. übersprungen werden, z.B. direkt von der Trittdistanz in die Ellenbogendistanz. Wir müssen hier zwischen dem Bereich der Vorkampfphase und der reinen Kampfphase unterscheiden.
In der Vorkampfphase kommen die psychologischen Besonderheiten der Distanzen zum Tragen. Mit Beginn des Kampfes sind nur noch die Reichweiten der einzelnen „Waffen“ relevant. Es kann auch passieren, dass eine Auseinandersetzung erst in einer persönlichen oder intimen Distanz beginnt. In diesem Fall bedeutet das, dass der Kampf in einem Bereich beginnt, in dem z.B. Tritte nicht mehr möglich bzw. nicht effektiv sind.
Die Distanzzonen sind nicht sichtbar und dennoch umgeben Sie uns ringförmig. Wir können uns diese Zonen vorstellen, wie die Ringe die ein Wassertropfen auf einer Wasseroberfläche verursacht.

Distanzzonen:

Distanzzonen haben sich aufgrund einer möglichen Bedrohung des Menschen durch seine Umwelt im Laufe der Evolution entwickelt. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen den Distanzzonen der Menschen verschiedener Kulturkreise. Aber auch Temperament und gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen die Distanzzonen. Die folgenden Distanzzonen werden in der Literatur überwiegen einheitlich in ihrer Ausprägung beschrieben:

1.) Die direkte Intimzone
Die direkte Intimzone beträgt in der Regel 0 cm bis 15 cm. Wird dieser Abstand unterschritten spricht man von einer direkten Intimzone. Diese Zone darf nur von dem Intimpartner oder sehr engen Angehörigen unterschritten werden.

2.) Persönliche Distanz

Die persönliche Intimzone beträgt in der Regel ca. 15 cm bis 45 cm. Dieser Bereich darf nur von Familienangehörigen oder engen Freunden betreten werden. Diese Zone wird von den Menschen besonders geschützt und verteidigt.

3.) Gesellschaftliche Distanz
Die gesellschaftliche Distanz beträgt in der Regel ca. 45 cm bis 120 cm. Dieser Bereich bezeichnet die im gesellschaftlichen Leben eingehaltenen Distanzen. Die gesellschaftliche Distanz bildet die Brücke zwischen der öffentlichen und der persönlichen Distanzzone. Es ist die Zone, die den größten Entfernungsschwankungen unterworfen ist, da im Geschäftsleben eine kurzfristige Unterschreitung der Distanzen in Kauf genommen wird.

4.) Öffentliche Distanz:
Mit der öffentlichen Distanz ist der Abstand gemeint, der unbewusst von der betreffenden Person fremden Menschen gegenüber eingehalten wird. Das automatische Einhalten dieser Distanzen ist für uns eine selbstverständliche Umgangsform. Es handelt sich dabei um eine mehr oder weniger natürliche Verhaltensweise, die je nach regionaler Zugehörigkeit aber in den Abständen variieren kann. So kann z.B. in Nordamerika in ländlichen Regionen die persönliche Distanzzone durchaus bis zu 9 m betragen, jedoch nur bei Menschen, die allein in einem abgeschiedenen Gebiet leben.

Was passiert körperlich beim Unterschreiten der Distanzzonen:

Das Unterschreiten der üblichen Distanzzonen oder das plötzliche Verringern gleich mehrerer Distanzzonen führt unweigerlich bei dem Betreffenden zu einer Veränderung des körpereigenen Hormonhaushaltes. Es wird dabei Adrenalin ausgeschüttet, das dabei seine typischen Wirkungen, wie Erhöhung des Blutdruckes und der Herzfrequenz, entfaltet. Durch diese hormonellen Veränderungen wird der Körper auf Angriff oder Flucht vorbereitet. Das Bedürfnis zur Wiederherstellung der Distanz ruft bei den Personen ein körperliches Unwohlsein aus. Verbunden damit werden Signale zur Flucht gesendet. Der geneigte Leser kann dies in einem Selbstversuch testen.
Weihen Sie die Versuchsperson kurz in den nachfolgenden Ablauf ein, damit diese nicht zu sehr erschrickt. Sagen Sie der Versuchsperson, sie solle stehen bleiben, egal was passiere. Stellen Sie sich der Versuchsperson gegenüber in einer öffentlichen Distanz von ca. 2 bis 3 Metern auf. Dann Laufen/Gehen sie zügig die drei Schritte auf die Versuchsperson zu. Wichtig ist dabei eine hohe Geschwindigkeit. Überschreiten Sie die intime Distanz, bis sich die Nasenspitzen fast berühren. Sie werden jetzt erleben, dass die Versuchsperson einen Schritt nach hinten macht. Die Person selbst wird ihre Empfindungen als eine Art Flimmern bzw. Schockwellen mit einem hohen Bedürfnis zum Rückzug beschreiben. Dieser Versuch funktioniert nicht so gut mit Personen, die ohnehin das Recht haben, sich in der intimen Distanz aufzuhalten.

Was bedeutet das bei einer Auseinandersetzung?
Der oben beschriebene Effekt wird im Übrigen auch unbewusst von Angreifern verwendet, indem sich diese einschüchternd und drohend auf uns zu bewegen. Die dabei verwendeten nonverbalen Körperhaltungen und deren Wirkungen waren bereits Inhalt dieser Themenreihe. Manchmal kann man an dieser Stelle auch die Offensive suchen und nun seinerseits die Distanz bis auf das Minimalste unterschreiten. Da hier das Risiko einer Kopfnuss bestünde, ist diese Variante nur dann zu empfehlen, wenn man den Angreifer so gut kennt und einschätzen kann, dass man einen körperlichen Übergriff wirklich ausschließen kann.
Diese psychologische „Kriegsführung“ entspricht in etwa der Botschaft: „Kämpf oder halt‘s Maul!“ Gegen einen wirklichen Schläger bietet diese Drohgebärde jedoch keinen Schutz, denn dieser schlägt ohne Ankündigung und ohne Skrupel zu. Hier helfen nur die ausgeklügelten Verhaltensweisen aus dem Repertoire der BlitzDefence-Programme.

Achtung:
Keine der antrainierten Verhaltensweisen bietet 100%igen Schutz, so dass man in einer derartigen Bedrohungssituation jederzeit auf einen Angriff vorbereitet sein sollte.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in denen uns dieses Phänomen begegnet. Nehmen wir z.B. die Enge in einem voll besetzten Fahrstuhl oder das Gedränge bei größeren Veranstaltungen wie Konzerten, Jahrmärkten oder Volksfesten. Hier wird z.B. eine Unterschreitung der öffentlichen Distanz von fremden Personen geduldet. Wer hat nicht schon mal die wie versteinert wirkenden Gesichter im Fahrstuhl oder in der U-Bahn beobachtet. Die Menschen starren und vermeiden den direkten Augenkontakt. Es wird weder gesprochen noch werden Emotionen gezeigt. Durch dieses Verhalten schützen sich die Menschen und reagieren nicht aggressiv auf die Verletzung ihrer territorialen „Rechte“. Diese Verhaltensweise nennt sich „Maskierung“. Wird die körperliche Nähe jedoch größer und die Verletzung des Territoriums proportional immer größer, so steigert sich auch die Produktion des Adrenalins. Aufgrund mangelnder Möglichkeit von Flucht oder Angriff wird das Hormon nicht schnell genug abgebaut. Das führt dazu, dass in einer Menschmasse irgendwann der Punkt erreicht wird, an dem durch den geringsten Anlass eine Panik entstehen kann. Es entsteht oftmals ein hochbrisantes Gemisch aus Adrenalin und Emotionen. Diese Situationen eskalieren nicht selten in Gewalt und Ausschreitungen. Ein Patentrezept für das Verhalten in einer derartigen Menschenmenge gibt es nicht. Wer jedoch das Risiko kennt und sich aufmerksam umschaut, wird rechtzeitig die Stimmungslage erkennen können und die Menge verlassen, noch bevor die Stimmung umzuschlagen beginnt.

Die Kampfdistanzen:

Diese Distanzen sind natürlich individuell abhängig von den körperlichen Voraussetzungen insbesondere von der Körpergröße. Die hier angegebenen Werte sind nur ungefähre Werte. Jedoch kann jeder Leser relativ schnell nachmessen, welche Werte für ihn selbst gelten.

Kopfnuss und Ellenbogendistanz:
Diese Distanz beschreibt den Raum, indem der effektive Einsatz von Ellenbogentechniken möglich ist. Die Positionierung der Ellenbogen werden bereits im 4. Satz der Siu-Nim-Tau Form geübt. Dieser Bereich liegt bei ca. 15 cm. Zur Verdeutlichung: Der rechte oder linke Arm liegt seitlich am Körper an. Die Hand wird nun von der Körperseite an der Brustmitte vorbei zur gegenüberliegenden Körperseite geführt. Dabei schneidet der Ellenbogen von der Körperseite keilförmig zur Körpermitte in die Lan-Sao-Position. Alles, was jetzt noch dichter steht als ca. eine Faustbreite, erfordert den Einsatz des Körpers bzw. der Schulter. In dieser Distanz wird jeder sofort erkennen, dass für einen Fauststoß das Kraftpotential fehlt. In dieser Distanz sind auch notfalls Kopfstöße noch eine effektive Lösung.

Kniedistanz:
Für den effektiven Einsatz der Knie ist eine Distanz zwischen 0 und maximal ca. 40 cm erforderlich. Da die Knie nach hinten ausgeholt und beschleunigt werden können, ist ein effektiver Stoß mit der Kniespitze auch auf engstem Raum möglich. Jedoch endet diese Distanz mit der Länge des Oberschenkels, also ca. bei 40 cm. Da die Oberschenkel mit den kräftigsten Muskeln unseres Körpers ausgestattet sind, ist natürlich auch ein Angriff auf die Oberschenkelmuskulatur des Angreifers unter Umständen schon angriffsbeendend.

Hand- bzw. Faustdistanz:
In dieser Distanz entfaltet der zentrale Fauststoß seine optimale Wirkung. Dieser Bereich beginnt etwa dort, wo im 2. Satz der Siu-Nim-Tau-Form der eigentliche Fauststoß beginnt. Diese Distanz beträgt ca. 15 bis 20 cm je nach körperlichen Voraussetzungen. Diese Distanz endet spätestens am Ende der Streckphase des Fauststoßes ca. 60 cm vom Körper entfernt. Jedoch wird an dieser Stelle keine Wirkung mehr übertragen. Allerdings reicht diese Distanz, um mit einem Fingerstich empfindliche Körperstellen, wie die Augen zu verletzen. Abschließend lässt sich daher feststellen, dass bei ca. 45 cm eine optimale Energieübertragung eines Fauststoßes möglich ist. Spätestens bei ca. 70 cm endet die Distanz für einen effektiven Einsatz der Arme.

Fuß- bzw. Trittdistanz
Abgesehen davon, dass mit speziellen Tritttechniken auch in der Kniedistanz noch effektive Tritte ausgeführt werden können, beginnt die Trittdistanz eigentlich erst mit dem Ende der Kniedistanz. Die Beine sind eher Langstreckenwaffen, jedoch beträgt die maximale Reichweite eines seitlichen parallel zum Boden ausgeführten Trittes beträgt auch nur ca. 120 cm.

Umklammern und Werfen
In dieser Distanz kommt es regelmäßig zu einem Kontakt der Oberkörper. Hier soll durch Vorbeugen eine Vergrößerung der Reichweite erzielt werden. Dieser typische Ringerangriff richtet sich gegen den Schwerpunkt des Körpers und dient der Destabilisierung des Gleichgewichtes und dem anschließenden Werfen. In dieser Distanz helfen kaum Fäuste, Knie oder Ellenbogen, da der Angreifer den Körper umklammert und so den Raum für effektive Treffer nimmt. Der nahtlose Übergang in den Bodenkampf und Fixierung am Boden ist die Strategie dieser Angriffe.

Bodenkampf
Der Kampf am Boden zeichnet sich durch Hebeln, Halten und Blockieren aus. Hier ist das Ziel, den Gegner zu würgen, drosseln oder durch Hebeln ein Gelenk zu schädigen. Im sportlichen Wettkampf wird die Aufgabe des Gegners erzwungen oder durch Positionierung des Gegners z. B. durch Fixierung in der Rückenlage reglementiert.

Achtung:
Ein Kampf in der absoluten Nahdistanz sollte weitestgehend vermieden werden. Also niemals freiwillig am Boden kämpfen. Die meisten Techniken im Bereich des Bodenkampfes sind Not-Lösungen für bereits eingetretene Situationen. Ziel im WingTsun ist es, immer die optimale Distanz einzuhalten und die WingTsun-Prinzipien anzuwenden.

Merke:
Eine Vergrößerung der Distanz wirkt als defensiv-taktische Handlungsalternative. Das gilt sowohl in der normalen Kommunikation, wie auch im BlitzDefence. Durch die Vergrößerung der Distanz wird der Stressfaktor, der durch die zu geringe Distanz entsteht, reduziert.

Sifu Thorsten de Vries
3. Lehrergrad WingTsun