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Selbstverteidigung aus Sicht der Kommunikationswissenschaften – Teil 4

Durch Körperhaltungen und Gestiken wird nicht nur die Selbstverteidigung beeinflusst wird, sondern diese wirken sich auch auf das Unterrichtsgeschehen aus.

Köperhaltung und Gestik

Jeder der WingTsun lernt, kennt die Körperhaltungen und Gesten, die im Unterricht unerwünscht sind. Die Nachfrage des Schülers, warum das denn so sei, wird von vielen Ausbildern nur knapp beantwortet. Grundsätzlich lässt sich der Gemütszustand eines Menschen an einer bestimmten Körperhaltung erkennen. Es wird meist nur kurz erklärt, dass es unhöflich und respektlos sei, diese Körperhaltung einzunehmen. Nachfolgend wird die Köpersprache entschlüsselt, so dass jeder die notwendige Einsicht bekommen kann:

Das Armeverschränken
Die Hände und die Arme haben eine bedeutende Schutzfunktion. Daraus hat sich wahrscheinlich das Armeverschränken vor dem Körper entwickelt. Durch die verschränkten Arme wird die eigene Körpervorderseite verschlossen. Diese Haltung soll zum einen dem Schutz des empfindlichen Körperzentrums gegen Angriffe dienen. Zum anderen werden die Hände versteckt, so dass dort Waffen verborgen sein könnten. Auch wird durch die Verringerung der Körperoberfläche weniger Wärme abgegeben, daher schützt man sich so meist gegen Kälte. Somit ist das Armeverschränken auch körpersprachlich eher als eine Abwehrhaltung anzusehen. Oftmals wird diese Körperhaltung verwendet, wenn jemand kritisiert wird. Der Kritisierte zieht sich dann hinter seinen durch die Arme aufgebauten Schutzwall zurück, da er nicht mit Aggression reagieren darf. Oftmals ist das Armeverschränken mit einer nach hinten geneigten Körperhaltung verbunden. Dies ist oft ein Zeichen von übersteigerter Selbstsicherheit, Distanz oder Überheblichkeit. Diese Körperhaltung wirkt als verschlossen und nicht zur Kommunikation bereit und daher eigentlich eher aggressiv. Man kann sie auch als Gesprächskiller verwenden. Jedoch sind Arroganz und Überheblichkeit oftmals auch nur gestellt, um nicht allen die eigene Unsicherheit zu zeigen und um sein Gesicht zu wahren. Oft will derjenige auch nur sich selbst das Gefühl der Sicherheit geben. Diese nonverbalen Signale laufen meistens unbewusst ab und passen sich in das körpersprachliche Repertoire eines Menschen ein. In seltenen Fällen kann diese Köperhaltung aber auch ein Zeichen für eine angespannte Aufmerksamkeit sein. Es wird jetzt recht deutlich warum diese Körperhaltung nicht erwünscht ist und in asiatischen Ländern als Herausforderung angesehen wird.

Arme in die Hüfte stemmen
Diese Geste nehmen Menschen ein, um imposanter zu erscheinen. Überall auf der Welt macht diese Geste deutlich, dass der betreffende zu entschlossenem Handeln bereit ist. Durch diese Körperhaltung wird mehr Raum eingenommen. Die spitzen Ellenbogen sollen Angreifer davon abhalten, sich vorbeizudrängeln. Die Hände sind halb gehoben und signalisieren Kampfbereitschaft. Bereits eine Hand auf der Hüfte reicht aus, um die Botschaft zu übermitteln. Besonders deutlich werden diese Drohgebärden auch bei Wettkämpfen wie z. B. beim Sumoringen. Es wird meistens mit einer ablehnenden Einstellung verbunden, wie z.B.

„Es interessiert mich nicht, was Du zu sagen hast!“

Dadurch wird sehr deutlich, dass diese Geste im Unterricht einer Kampfkunstschule nichts zu suchen hat. Der Schüler soll sich getreu der konfuzianischen Lehre dem Lehrer unterordnen und aufmerksam dem Unterricht folgen. Diese Körperhaltung lässt ein Lernen nicht zu. Es wurde in wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt, dass Schüler die im Unterricht Ihre Arme verschränken, sich geistig ebenfalls auf Ablehnung einstellen. Der Lernerfolg sinkt dadurch erheblich. Dieser Effekt dürfte auch für diese Geste gelten. Es wird überaus deutlich, dass hier kein Lernwille, sondern Konfrontation im Vordergrund steht. Einem Schüler, der sich so benimmt, entgehen nicht nur wesentliche Unterrichtsinhalte, sondern er stört durch sein Verhalten auch den Unterricht der anderen Schüler. Abgesehen davon, dass es sehr unhöflich dem Lehrer gegenüber ist, wird ein erfahrener Lehrer dieses Verhalten nicht dulden können und daher im Keim ersticken. Ein Schüler, der nicht bereit ist, sich an die geltenden Regeln zu halten, wird auf Dauer sein Verhalten doch anpassen oder gehen müssen. Ein Lehrer kann sein Wissen nur dann vermitteln, wenn der Schüler es auch annehmen möchte. Dies ist bei einer derart ablehnenden Einstellung jedoch nicht möglich.

Löcher in die Luft starren
Diese Geste nehmen Menschen ein, wenn die Aufmerksamkeit auf andere Dinge gerichtet wird. Das bedeutet dann jedoch auch, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Unterricht gerichtet ist. Nicht nur dass diese Körperhaltung schlicht unhöflich dem Lehrer gegenüber ist, sondern sie symbolisiert, dass die Bemühungen des Lehrers den Schüler zu unterrichten vergeblich sind. Durch diese Körperhaltung wird Desinteresse offensichtlich zur Schau gestellt. Die Teilnahme am Unterricht kann eigentlich nicht das Interesse am Unterrichtsinhalt sein, sondern es müssen niedrigere Motive sein, denn sonst würde die Körperhaltung Achtung, Vertrauen und Aufmerksamkeit ausstrahlen. Im Übrigen gehört dazu auch das Schauen zu anderen Schülern, wenn man gerade von seinem Lehrer unterrichtet wird. Ebenfalls sind an dieser Stelle auch die verbalen Ausprägungen der Schüler zu erwähnen, wie z.B.

"Ja, genau!", "Ja, ich weiß", "Ich hab das schon verstanden!"

und noch einige andere Formulierungen. Diese Formulierungen bedeuten eigentlich das gleiche, wie „Ich will nicht hören bzw. sehen, was du mir sagen bzw. zeigen möchtest“. Jedem Lehrer ist klar, dass die Umsetzung logischer Bewegungen manchmal sehr schwierig sein kann. Richtig wäre als Antwort auf eine Korrektur oder auf Anweisungen ein einfaches Danke und die knappe Version der traditionellen Verneigung.

Das Heranwinken der Lehrer
Nicht nur, dass in China mit nach unten gerichteten Handflächen gewunken wird, welches dann für Europäer eher wie ein „Wegschicken“ aussieht, sondern es werden nur Bedienstete oder Personen niederen Ranges herangewunken. Im traditionellen Schüler-Lehrer-Verhältnis kann es daher nicht sein, dass ein Schüler seinen Lehrer heranwinkt. Daher versteht sich von selbst, dass die Anrede „Ey!“ oder das Heranpfeifen ebenso zu bewerten sind.

Das Schulterklopfen
Das Schulterklopfen ist augenscheinlich eine gut gemeinte Geste eines Schülers. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, denn wer die Bedeutung kennt, wird auch verstehen, dass es dabei um das Machtverhältnis zwischen zwei Personen geht. Ursprung dieser Geste ist der Handschlag und zwar mit beiden Händen. Man kann beim normalen Handschlag schon merken, ob jemand die „Oberhand“ behält, indem er die Hand des Gegenübers dreht oder die Hand bereits mit der nach unten zeigenden Handfläche anbietet. Diesem kann man durch einen Positionswechsel entgegenwirken. Eine andere Möglichkeit ist der „Beidhänder“. Dabei umschließt man mit der linken Hand die rechte des Gegenübers und dreht diese wieder in die vertikale Position. Diese Art des Händedrucks wird auch „Politiker-Handschlag“ genannt. Der Beidhänder ist eine Art Miniaturumarmung. Die linke Hand wird dabei verwendet, um die Tiefe der Gefühle auszudrücken. Dabei gilt die Faustregel, je höher die linke Hand auf dem rechten Arm des Gegenübers liegt, desto stärker sind die Gefühle. Die Problematik liegt darin, dass die linke Hand in die Intimzone des Gegenübers eindringt. Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung wird dadurch eingeschränkt. Dies ist bei langjährigen Vertrauten kein Problem. Der Beidhänder führt aber zu Problemen, wenn ein derart vertrautes Verhältnis nicht besteht. Üblicherweise besteht ein derart vertrautes nicht von Haus aus zwischen dem Si-Fu und seinen Schülern, sondern es wächst langsam. Was langjährige Schüler, Ausbilder oder Privatschüler, die ihrem Si-Fu nahe stehen, dürfen, ist kein Freibrief für jeden anderen Schüler, das gleiche zu tun. Die Variante des Klopfens ohne Handschlag funktioniert ähnlich, sie ist aber eher wie ein Lob zu verstehen. Dabei liegt die Problematik darin, den Lehrer für etwas zu loben, dessen Wert der Schüler teilweise noch gar nicht bemessen kann. Die Botschaft lautet oftmals eher:

„Hast Du gut gemacht, aber ...!“

Im Übrigen ist auch dieses Verhalten als respektlos einzustufen. Es sei daher empfohlen, seinem Lehrer oder Ausbilder nicht unvermittelt auf die Schulter zu „klopfen“ oder ihn unaufgefordert anzufassen.

Das Zeigen der Fußsohlen
Die Bedeutung des Zeigens der Fußsohlen scheint vielen WingTsun-Schülern unbekannt zu sein, denn auf den größeren Lehrgängen beobachte ich immer wieder auch Ausbilder und Lehrer, die auf dem Boden sitzen und deren Fußsohlen in Richtung des Lehrers, Meisters oder sogar Großmeisters zeigen. Die körpersprachliche Bedeutung sagt:
„Du bist mir soviel wert, wie der Schmutz unter meinen Schuhen.“
Es dürfte jedem deutlich werden, dass so ein Verhalten nicht erwünscht ist. Ich kann mich noch an Lehrgänge vor 15 Jahren erinnern, bei denen Ausbilder mit einem leichten Tritt gegen die Füße des Betreffenden, der Einnahme einer korrekten Körperhaltung nachgeholfen haben. Diese Methoden stammen noch aus Zeiten, als WingTsun noch recht unbekannt war. Heutzutage werden Verletzungen der Grenzen nicht mehr so hart sanktioniert wie früher, wenn gleich respektvolles und höfliches Auftreten auch heute nicht aus der Mode kommen sollte.

Im Übrigen sei hier erwähnt, dass die Bilder von meinen Schülern Kai Fölster und Jörg Spreu stammen. Jörg wurde von mir zur Darstellung der Gesten „genötigt“, da er sich ansonsten immer vorbildlich und respektvoll verhält. An dieser Stelle nochmals vielen Dank lieber Kai und lieber Jörg, für Eure Mitwirkung an diesem Artikel.

Sifu Thorsten de Vries,
3. Lehrergrad WingTsun