Raus aus den Federn um Null Sechshundert!
Die GST war eine Organisation der damaligen DDR zur wehrsportlichen und vormilitärischen Ausbildung und Erziehung von Jugendlichen. Sie war ab 1956 dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt.
Gestärkt durch dieses Wissen fuhren die „Härtesten” der WT- Schulen Dessau, Gräfenhainichen und Bitterfeld los, um den sportlichen Aspekt des Lagers wieder aufleben zu lassen. Mein Si-Hing hatte Prospekte gesichtet und anfänglich sah es auf den Bildern wie ein Feriendorf mit unzähligen Bungalows aus. Zugegeben, der Preis für Übernachtung und Vollverpflegung war lächerlich gering.
Bei unserem Eintreffen am späten Freitag Nachmittag traf uns fast der Schlag – ein Paradies für DDR-Nostalgiker. Nach dem ersten Rundgang klammerten wir uns an einem Gedanken fest: „Wir sind hier zum Trainieren und zum Schlafen. Dafür wird’s allemal reichen!“
Wer kennt ihn nicht, den Luxus der vergangenen Republik – Wellasbest gedeckte Dächer, dreiteilige Matratzen, die ca. 1 cm nachgeben, wenn man sich darauf legt, Gemeinschaftsduschen und den von allen geliebten „großen Speisesaal“ mit Wachstuchdecken auf den Tischen, die wahrscheinlich Egon Krenz persönlich aufgelegt hat.
Nach ein paar Minuten Ruhe ging es dann auch schon mit der ersten Trainingseinheit um Achtzehnhundert los.
Alle versammelten sich auf einer großen, von einzelnen Bäumen begrenzten Wiese inmitten des Lagers. Si-Hing hatte mal wieder tief in Trickkiste gegriffen und ließ uns verwegene WingTsun-Techniken trainieren.
Neue Fingerfertigkeiten wurden erlernt und alte Routinen gefestigt.
Für alle kam dann im Nachgang ein Bonbon in Form einer Escrimaeinheit. Ich glaube, es hat allen WT-Schülern großen Spaß bereitet, einmal mit einer Waffe (Stock) zu kämpfen, und vielen wurde auch klar, welche archaische Macht man damit ausüben kann.
Nachdem sich alle bei den Schlagübungen völlig ausgepowert hatten, freuten wir uns geschlossen aufs Abendessen. Natürlich ganz im Stil der alten Zeit.
In einer geselligen Runde wurde anschließend über Gott und die Welt erzählt und wir ließen diesen Tag amüsant ausklingen.
Kaum jemanden hielt es am nächsten Morgen im Bett und so waren, bis auf ein paar Ausnahmen, alle um Null Sechshundert mehr oder weniger
wach.
Kurzerhand wurde das auf Nullachthundert angesetzte Frühstück eine
Stunde vorverlegt (zur Unlust der Küchendamen – sorry noch mal).
Wir starteten an diesem Morgen mit einigen ausgewählten ChiKung-Dehnungsübungen.
Nachfolgend studierte jeder Schülergrad sein entsprechendes Programm.
Die Techniker und TG-Anwärter verzogen sich in eine Stille Ecke und festigten ihre Sektionen. Untere und mittlere Schülergrade vertieften ihre Angriffs- und Abwehrprogramme.
Zu so mancher handfesten Rauferei kam es, als die Techniker mit eingewechselt wurden, sodass die Schüler sich auch mal richtig austoben konnten.
Besonders erwähnen möchte ich Herbert Bläsing, der an diesem Samstag seine Prüfung zum neunten Schülergrad erfolgreich bestanden hat.
Mit seinen 63 Lenzen ist er der älteste Schüler unserer Schule, erobert aber jeden einzelnen Schülergrad beständig und unerschrocken.
Auch dieser Tag endete am Rand der Erschöpfung.
Zur Neubelebung wurde an diesem Abend gegrillt und jener zog sich wieder bis tief in die Nacht. Der nächste Morgen startete ebenso wie der vorangegangene.
Nachdem auch der letzte ausgiebig gefrühstückt hatte, kurbelte Si-Hing
den Sonntagmorgen mit SNT und ChiKung an. Für die Schüler bestand die letzte Trainingseinheit dieses Sommercamps aus vielen Liegestütze und Kettenfauststößen. Techniker drillten die Hebelsektion, anschließend riss Si-Hing einige Lat-Sao-Programme an, und wir erhielten noch manch super Tipp. Zu schnell endete diese Einheit und damit auch das Wochenende.
Kleinere Grüppchen bildeten sich später, alle ließen das Camp auf ihre Art Revue passieren. Geschafft, aber zufrieden mit dem Erreichten und vor allem neu Erlernten, verließen wir geschlossen das Ferienlager.
Alle hatte sich in intensiven Gesprächen besser kennen und verstehen gelernt.
Ich denke, jedem hat dieses Sommercamp riesigen Spaß bereitet, gerade weil es auf seine Art für die heutigen Stadtneurotiker mal etwas anderes war.
Also, wer wie damals früh, mittags und abends Früchtetee aus dem Tornister genießen möchte, wende sich an meinen Si-Hing Oliver Hofmann und lasse sich den Standort des ehemaligen Lagers geben.
Uns, die Schüler der Kampfkunstschulen Dessau, Gräfenhainichen und Bitterfeld hat es nur stärker gemacht.
Frank Ullmann 1.TG WT