EWTO

Die WT-Schule von nebenan: Schwarzenberg, Annaberg, Stollberg und Zschopau

Sifu Andreas Goldhahn eröffnete 1989 seine erste WT-Schule in Schwarzenberg und baute bis heute einen kleinen Schulverbund auf.

Ich war in der ehemaligen DDR Judo-Kampfsportler und Dan-Träger. In erster Linie sah ich damals den Wettkampfaspekt meiner Kampfsportart. Erst nach und nach kamen bei mir die Aspekte der Selbstverteidigung dazu. Kampfsport und Selbstverteidigung ist das Gleiche, so war meine damalige Meinung. Nach einigen Jahren des Übens merkte ich schließlich, dass Judo für die Selbstverteidigung nur begrenzt anwendbar ist.

Ich wechselte also den Kampfstil. Durch Zufall kam mir der „alte“ Albrecht Pflüger in Form von zwei Büchern zu Hilfe. Karate schien meine Probleme zu lösen. Hier fand ich, was ich suchte: Faust -und Beintechniken. Obwohl Karate in der DDR nicht gerne gesehen oder gar verboten war, fand ich doch überall Gleichgesinnte. So lernte ich Gruppen in Zwickau, dem damaligen Karl-Marx-Stadt, Magdeburg, Berlin und Schwerin kennen. Gemeinsam wurde trainiert und Erfahrungen ausgetauscht. In dieser Zeit lernte ich auch Dr. rer. nat. Hufnagel aus Klingenthal im Vogtland kennen – einen der wenigen Karate-Dan-Träger der damaligen DDR. Seine Betrachtungsweise der Anwendbarkeit von Karatetechniken war schon damals – 1983 – wesentlich lockerer als von vielen eingefleischten, aber auch festgefahrenen Karatekas. Seine Techniken mussten nicht millimetergenau „stehen“, sondern effektiv sein. Bei ihm kamen auch zum Teil nicht ganz so „herrliche“ Karatetechniken heraus. Aber sie waren anwendbar.

Trotz aller verschiedenen Ansichten über das Karate, die mir in der DDR über den Weg liefen, ging ich den klassischen Weg: Kihon – Kata – Kumite. Die ersten beiden Stufen hatte ich sehr ausgiebig trainiert, im Freikampf jedoch war von Kihon- und Kata-Techniken fast nichts mehr erkennbar. An diesem Punkt half mir wiederum besagter Dr. Hufnagel weiter. Er drückte mir das englische Lehrbuch „Wing-Chun-Kung-Fu“ von Yimm Lee in die Hand. Hier war sofort zu erkennen, dass dieser Stil für die Praxis gemacht worden war. Besonders beeindruckte mich der Begriff und die Sequenzen des Chi-Sao. Wenngleich mir die aufgezeigten Techniken optisch nicht so exakt vorkamen, wie die Karatetechniken, waren sie aber bestimmt wirkungsvoller.

Gleich nach der „Wende“ im November 1989 suchten ich und mein damaliger Trainingspartner Malte Leistner im „Westen“ eine WT-Schule und fanden diese in Nürnberg. Was wir hier gezeigt bekamen, war für uns Anlass, sofort mit unseren bisherigen kampfsportlichen Aktivitäten Schluss zu machen und von neuem mit WingTsun zu beginnen. Seit Dezember 1989 bin ich dem WingTsun mit großem Enthusiasmus treu geblieben. Seitdem ist mein Si-Fu K. R. Kernspecht.

Endlich WT-Profi

1996 habe ich mir meinen Traum erfüllt und mein Hobby zu meinem Beruf gemacht: WT-Lehrer. 2003 wurde ich zum „Sifu“ ernannt – für mich auch eine moralische Herausforderung gegenüber meinen Schülern. Seit 2001 bin ich 2. TG im Leung Ting-WingTsun und arbeite seit dieser Zeit „verbissen“ an meinem 3. TG. Mein nächstes Ziel ist diese Graduierung bis April 2006 zu meistern.
Trotz meines schon fortgeschrittenen Alters (55 J.) habe ich mich nochmals zu einem Studium aufgeschwungen. Seit April 2004 bin ich WT-Fernstudent an der Universität Plovdiv. Hier habe ich mir meine eigenen Ziele bereits abgesteckt. Doch das ist ein anderes Thema.

Durch mein eigenes Kampfsporterleben (Judo und Karate) habe ich mir auf diesem Gebiet meine eigenen Erfahrungen intensiv erarbeitet. Ich habe erfahren müssen, dass Kampfsport und Selbstverteidigung zwei unterschiedliche Richtungen sind. Je mehr Bewegungen oder Techniken man lernen muss, umso mehr Zeit braucht man, sie zu beherrschen. Je mehr Techniken man zur Auswahl hat, desto größer ist die Verwirrung im Ernstfall. Denn in einer Selbstverteidigungssituation muss man sich in Bruchteilen von Sekunden für eine Lösung entscheiden. Je weniger Entscheidungen man in dieser Situation treffen muss, desto schneller kann man reagieren. Deshalb gilt in der praktischen Selbstverteidigung das Motto: „Weniger ist mehr“. Diejenige Selbstverteidigung ist die Beste, die mit den wenigsten Bewegungen den meisten Angriffssituationen begegnen kann (Ich glaube, dass ich das so von meinem Si-Fu schon mehrfach gehört habe).

Im WingTsun habe ich diese Anforderungen ideal gefunden, denn hier brauche ich mich nicht auf vorher festgelegte Bewegungsfolgen zu verlassen, ich reagiere auf mein „Gefühl“, das heißt, ich versuche mit der Kraft des Gegners zu arbeiten. Für mich als ein etwas älteres „Kampfkunstmodell“ eine ideale Lösung, ohne Kraft zu arbeiten. In den harten Stilen wäre ich bestimmt in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ich glaube, da gibt es nur noch wenige in meinem Alter, die zu „Hochform“ auflaufen. Im WingTsun ist das aber doch etwas anderes. Meine Schüler versichern mir immer wieder, das „Leuchten in meinen Augen“ zu sehen, wenn es mich mal wieder überkommt.
Andererseits: So einleuchtend das Prinzip des „Siegens durch Nachgebens“ theoretisch auch ist, so schwer ist es in die Tat umzusetzen. Ich versuche meinen Schülern zu erklären, dass „der Weg das Ziel ist“. Das Training soll Spaß machen, die sportlichen Bewegungen, koordinative und konditionelle Fähigkeiten sollen erarbeitet werden, es soll ein völlig neues Körpergefühl entwickelt werden. Das große Ziel, die Verteidigungsfähigkeit, steht natürlich immer im Mittelpunkt.

Die erste eigene WT-Schule

Seit Dezember 1989 wird in Sachsen, genauer im erzgebirgischen Schwarzenberg, WingTsun trainiert. Durch die Aktivitäten meines langjährigen Trainingsfreundes Malte Leistner sowie meiner eigenen und die meiner Schüler sind WT-Schulen im ganzen Erzgebirge, in weiteren Teilen von Sachsen und in Thüringen entstanden.
Mitte der 90-iger Jahre sind wir gemeinsam auf die Idee gekommen, einen Schulverbund, die „Gesundheits- und Kampfkunstschulen Erzgebirge“ zu gründen. Es gehören dazu die folgenden WT-Schulen: Annaberg, Aue, Freiberg, Schwarzenberg, Stollberg, Reichenbach, Zschopau und Zwickau.

Die WingTsun-Schule in Schwarzenberg fungiert dabei als „Zentrale“. Hier in Schwarzenberg sind auf ca. 310 m² Trainingsfläche, Fitnessbereich, Umkleideräume, Toiletten und Duschen, eine Bar, sowie ein Büro eingerichtet. Die notwendige Grundausstattung für den Kampfsport ist ebenfalls vorhanden: Boxsäcke, Schlagpolster, Pratzen, Schutzwesten sowie eine Judomatte stehen zur Verfügung. Vier Mal wöchentlich können die Schüler die verschiedensten Angebote im Bereich Kampfsport nutzen, dazu gehören auch Qi-Gong und Tai-Chi.
Alle anderen Schulen unseres Schulverbundes realisieren natürlich eigenständig ihre Angebote und Leistungen. Diese Schulen sind auch alle Mitglieder im gegründeten Verein: „Gesundheits- und Kampfkunstverein WingTsun Sachsen e.V“. Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Hauptzweck des Vereins ist es, die traditionellen asiatischen Bewegungssysteme überregional zu pflegen und weiterzuentwickeln, insbesondere aber die Jugend für diese Systeme zu begeistern und unter den Mitgliedern die Geselligkeit zu fördern (Auszug aus der Vereinssatzung).
Die WT-Schule Schwarzenberg hat ihre Trainingsabende anfangs in Turnhallen durchgeführt, bis 1994 dafür eigene, angemietete Schulräume ausgebaut wurden. Auf Grund steigender Mitgliederzahlen entsprachen diese Schulräume jedoch nicht mehr den Anforderungen, sodass ich 1997 eine kleine Fabrik von der damaligen Treuhand nach großem Kampf erworben habe. Mit Hilfe meiner Familie habe ich dieses Objekt in aufreibender Eigeninitiative zu einer WT-Schule ausgebaut. Jetzt habe ich für mich den Idealzustand hergestellt: Arbeitsstätte, Wohnung und „chinesischer“ Garten auf engstem Raum.

Schwarzenberg ist eine „Große Kreisstadt“ und hat ca. 14.000 Einwohner. Dadurch, dass sich hier meine Arbeitsstelle befand und Schwarzenberg mein Wohnort ist und ich natürlich auch durch meine bisherige Kampfsporttätigkeit bekannt war und bin wie ein „bunter Hund“, lag es natürlich nahe, hier eine WT-Schule zu eröffnen. Bei der Suche nach entsprechenden Räumlichkeiten hat mir mein Bekanntheitsgrad natürlich sehr geholfen.
Die Standorte der anderen Schulen in unserem Schulverbund sind durch meine Schüler entstanden, die anfangs bei mir in Schwarzenberg WT trainierten und auf Grund von Lehrausbildung, Studium oder Beruf in andere Städte weggezogen sind und dort das WT mit eigenen Schulen etablieren wollten.
Meine Schule liegt direkt an der Hauptverkehrsader der Stadt in unmittelbarer Zentrumsnähe. Man kann das Schulgebäude direkt von einer vielbefahrenen Kreuzung aus einsehen. So ist unsere schöne Schule mit seinem Markenzeichen, dem Drachen (der übrigens auch in etwas europäischerer Interpretation im Stadtwappen von Schwarzenberg enthalten ist), weithin sichtbar. Direkt gegenüber der Schule befindet sich ein Einkaufszentrum mit großem Parkplatz, so dass ausreichend Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Trainingsgestaltung

Seit ca. drei Jahren arbeitet unser Schulverbund mit den Ausbildern der Trainerakademie Schloss Langenzell, Dai-Sifu Thomas Schrön und Sifu Bernd Wagner, zusammen, die 3 - 4 Mal pro Jahr bei uns zu Gast sind und unseren Schülern die Schülergradprüfungen abnehmen. An dieser Stelle möchten wir uns für ausgezeichnete Arbeit bei diesen beiden Sifus bedanken.
Um direkt von der „Quelle“ zu lernen, besuche ich verstärkt Lehrgänge mit meinem Si-Fu K. R. Kernspecht und nehme auch die Möglichkeiten wahr, öfters am Schlossunterricht teilzunehmen. Die war auch einer der Gründe, das WT-Studium zu beginnen.

Als WT-Lehrer weiß ich, dass das WingTsun-System nur „formlos“ funktioniert. Ich versuche, auch meinen Schülern zu erklären, dass alles letztendlich frei und ohne Technik bzw. technisches Denken funktionieren soll. Am Anfang steht hier jedoch eine harte, formende Arbeit. Für den WT-Anfänger ist das offensichtlich theoretisch noch nachvollziehbar, aber praktisch nicht mehr zu realisieren. Die Schüler wünschen sich genaue Vorgaben in Bezug auf Technik.
Das WT-Prinzip, Kraft nicht mit Kraft zu begegnen, wäre ein richtiger Denk-Ansatz. Die Schüler haben alle ihre eigene Vorstellung von Kampfsport/Kampfkunst bzw. Selbstverteidigung. Diese Vorstellung sollte nicht sofort zerstört werden, da es sonst oftmals zu Enttäuschungen bei den Schüler führt. Unsere Schüler sollen die Trainingseinheiten mit Lust und Freude absolvieren. Frust haben die meisten täglich stundenlang bei der Arbeit, in der Familie oder in der Schule. Das Training in unserer Schule gehört zu ihrer Freizeit, in die keine Probleme gehören. Sie wollen sich zunächst nur gut fühlen und abschalten können.

Für meinen Unterricht ist das Ziel klar: Die Schüler sollen den Unterrichtsraum mit Zufriedenheit, erhöhtem Können und Selbstbewusstsein verlassen. Um dies zu erreichen, haben meine Ausbilder und ich bereits einige Gedanken zu möglichen Lösungsansätzen dargelegt. Diese wurden in einer schriftlichen Arbeit zum 3. TG, eine Gemeinschaftsarbeit mit meinen Schülern Wolfgang Seemann und Thomas Goldhahn (mein Sohn) zusammengefasst. Sie könnten eine Diskussionsgrundlage für künftige Schulleitertreffen oder für das WT-Sportstudium sein.
Wir, meine Ausbilder und ich, sind dabei, auf der Grundlage der EWTO- Schülergradprogramme einen Trainingsplan für jeden Schülergrad zu erstellen. Der Schüler muss bereits am Anfang seiner Ausbildung wissen, wie er das jeweilige SG-Ziel erreichen kann und weshalb das ganze Training notwendig ist. Die einzelnen Schülergrade sind dann gut erreichbare Zwischenziele.
Unsere Stärke sollte also in der ständigen individuellen Betreuung liegen. Mit solch einem Trainingsplan – entsprechend einem Trainingsplan eines Fitnessstudios – ist es möglich, dem Neukunden schon in der Einführung bzw. im Beratungsgespräch klarzumachen, dass unser Angebot qualitativ sehr hochwertig ist. Er sieht sofort, dass hinter dem Ganzen ein System steht, durch das sich ein logischer roter Faden zieht. Auch für junge Ausbilder ist ein solcher Plan sicherlich eine willkommene Hilfestellung, da sie noch nicht soviel Unterrichtserfahrung besitzen.

Zukünftige WT-Ziele

Zunächst möchte ich die Prüfung zum 3. TG ablegen. Mein Fernziel ist es natürlich, ein WT-Meister zu werden. Meinen Schülern will ich noch mehr ein Vorbild werden und sie ebenfalls auf den rechten Weg eines Kampfkünstlers führen. Mein begonnenes WT-Studium möchte ich natürlich ebenfalls erfolgreich abschließen und mit den geforderten schriftlichen Arbeiten bzw. mit den Abschlussprüfungen dazu beitragen, dass unser WT wissenschaftlich analysiert wird und so mit noch mehr modernen Trainingselementen versehen werden kann.
Geschäftlich wünsche ich mir natürlich noch mehr Schüler in meinen eigenen Schulen. Aber auch für meine Ausbilder möchte ich die Möglichkeiten bieten, sich evtl. zukünftig eine eigene Existenz mit WingTsun aufzubauen.