Bei uns wird nicht getrickst!
Ein bekanntes Jiu-Jitsu-Buch aus den 50er-Jahren hatte den Titel „Tricks und neue Würfe“. Dort geht es darum, was man macht, um jemanden zu Boden zu zwingen – etwa mit einem eleganten Hebel oder mit einem gezielten Druck hinters Ohr.
Eine mechanisch und mit Vorsatz ausgeführte Technik ist ein „Trick“. Manche sog. SV-Stile bestehen nur aus solchen Tricks. Eine Technik, die als Selbstzweck ausgeführt wird, ist ein Trick.
Es ist wie bei einem gelungenen Fall von improvisierter Situationskomik. Das richtige Wort, die richtige begleitende Geste: Alles muss in der richtigen Weise im richtigen Moment erfolgen, um den Effekt – das befreiende Lachen – zu bewirken. Der Moment muss reif sein – und er ist nicht wiederholbar.
Eine Bewegung, die angepasst und als Mittel zum Zweck eingesetzt wird, ist kein Trick. Sie ergibt sich aus einer spezifischen Situation, und nur in diesem Kontext, zu diesem Zeitpunkt und unter den gerade vorliegenden – so nie wiederkehrenden – Umständen, stimmt sie.
Ich weiß das und mein Lehrerteam auch. Aber der hoffnungsfrohe Neuanfänger, der in eine WT-Schule kommt, um Tricks zu lernen, mit denen er einen Angreifer „schnell mal aufs Kreuz legen“ kann, ohne ihm wehzutun (!), der weiß das nicht.
Sollen wir nun dem Neuen geben, was er will?
Der traditionelle Unterricht setzt sich über die Wunschvorstellung des neuen Schülers besserwissend und damit auch besserwisserisch hinweg.
Ähnlich wie viele begnadete (und von mir geliebte) italienische Köche, die grundsätzlich davon ausgehen, dass der Gast nicht weiß, was gutes Essen bedeutet und den Tyrann geben, der bestimmt, was dem Gast zu gefallen hat.
Dazu folgende Anekdote:
Da ich glaube, besser essen zu können, als die meisten kochen können, lege ich mich beim ersten Besuch oft mit Kochkünstlern an. Einmal – im Saarland – lud mich ein besonders bellikoser Gastronom sogar ein, mit ihm nach draußen vor die Tür zu kommen, denn er habe ja den soundsovielten Schwarzgurt im „Hackiknacki“-Stil. Und er war glücklich, dass ich nicht darauf einging, als ihm meine Begleitung nach dem Essen verriet, mit wem er hinausgehen wollte. Ebenso glücklich wie ich, denn seine Kochkunst war außergewöhnlich.
Aber genug abgeschweift.
Will ein Neuinteressent von mir konkret wissen, was er machen kann, wenn ein Rowdy ihm bei der Begrüßung die Hand zerquetschen will, wie es ihm gerade gestern passierte, dann will er jetzt nicht von mir hören, dass das Problem ganz woanders liegt.
Erst einmal muss ich auf das unmittelbare Bedürfnis des „Kunden“ eingehen. Nach der – in unseren Augen oberflächlichen – Befriedigung des Wunsches, der ihn zu uns führte, können wir dem guten Mann unsere fachmännischen Konzeptionen offerieren. Beispielsweise indem wir auf dem Handquetschproblem aufbauen und vielleicht zeigen, wie man im Vorfeld verhütet, dass es zum Greifen oder zum Quetschen kommt.
Man kann den Kunden (denn ein Schüler oder gar „Todai“ ist er noch nicht, der Interessent, der im Hauptberuf Buchhändlerin, Bankdirektor, Kneipenwirt, Medizinstudentin oder Hilfskraft im Solarium ist) auch da abholen, wo er gerade ist. Man muss ihn nicht erst erniedrigen und zwingen, seine Tasse komplett zu leeren.
Aber natürlich gehört dazu mehr Erfahrung, Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen, als der durchschnittliche Jungausbilder hat.
Aber Ähnliches gilt auch für fortgeschrittene Schüler und Technikergrade. Kommt ein TG zu mir und will unbedingt von mir den kompletten Ablauf der 7. Partner-Form im Chi-Sao-Kontakt in ganzen zwei Privatstunden erlernen, dann stelle ich mich nicht hin und erkläre ihm, dass er mehr davon hätte, wenn ich ihm in den zwei Stunden zwei oder drei Reaktionen einpflanze, statt dass er von mir eine Partner-Form erlernt, die ihm ein 5. PG wahrscheinlich für seine Bedürfnisse genauso gut zeigen kann.
Ich mache mit ihm die Partner-Form und schon nach einer Stunde wird seine Neugier (!) auf die neuen Bewegungen intellektuell befriedigt sein, so dass es ihm dann um Wirksamkeit geht, die aus dem Unbewussten kommt und nicht aus auswendiggelerntem Kopfwissen.