Editorial

Unsere Gesellschaft leidet an zuviel Selbstsucht! Aber sie kann überwunden werden durch die Arbeit in drei Richtungen!

Blicken wir doch einmal auf den Grund der Dinge.
Räumen wir einmal alles ab, welche Einstellungen und Verhaltensweisen Einzelner (!) uns den Tag verderben und die Sicht versperren:

* Anderenorts geschaffene Probleme, die nicht von uns verschuldet sind, aber mit denen wir leben müssen;
* die Dummdreistigkeit gewisser Mitbewerber und deren Abkupfern unseres Originals;
* Si-Fus (leider auch in unserem Verband), die – gestützt auf die Autorität ihres von uns verliehenen Titels – vertrauensvolle Schüler schamlos ausbeuten;
* Ausbilder, die nach oben buckeln, nach unten treten;
* die andere nicht hochkommen und niemand an die Krippe lassen, selbst wenn sie selbst keinen Hafer mögen;
* die untergraduierten Schülern höhere Techniken anbieten, mit denen die in der Praxis nichts anfangen können, nur um mit diesem Trick den Kollegen vom Nachbarort auszustechen und ihm vielleicht neugierige Schüler abzuwerben oder um konkurrenzfähig zu bleiben, weil der Nachbar damit angefangen hat;
* die eigenen Technik-Kreationen nicht als das, was sie sind, nämlich als Produkt wünschenswerter Schöpfungskraft, sondern als „authentische chinesische Geheimtechnik“ bezeichnen und damit Verwirrung stiften und die Mitglieder anderer EWTO-Schulen anlocken;
* die immer wie das hypnotisierte Kaninchen gebannt auf das Problem „Mitbewerber“ starren, statt sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen, vor denen sich die Mitbewerber viel mehr sorgen müssten. Denn – warum nur immer das Problem sehen, warum nicht lieber WT-mäßig alle Aufmerksamkeit auf die Lösung zu konzentrieren, die da lautet: Unterrichte Deine Schüler ehrlich, menschlich und hilf ihnen, ihre Ziele zu erreichen!
* Ein „Meister" (Ex-Nationaltrainer und inzwischen aus dem Verband ausgeschlossen), der EWTO-Prüfungs-Urkunden fälscht und eigene Ausbilder-Urkunden herstellt. (Siehe das jüngste Beispiel, das wir dem Artikel beigefügt haben, man beachte auf der Schülerurkunde im Graduierungskästchen den verräterischen Schnitzer „M´yttelstufe“ statt „Mittelstufe“.)

Räumen wir das alles einmal ab, blicken wir auf den Grund der Dinge – und wir schauen eine Kraft, die sich am stärksten in den Vordergrund drängt: Selbstsucht. Die klaren Vorteile, die die Zugehörigkeit zur EWTO bietet, werden gerne genutzt, aber selbst tut man wenig für seinen Verband, man betrügt ihn sogar, ebenso wie die eigenen Schüler, wenn es nur kurzfristig Profit verspricht.
Selbstsucht und ihre hässliche Schwester Materialismus haben wie in allen Bereichen unserer Gesellschaft weithin die Herrschaft übernommen. Opferbereitschaft, Nächstenliebe und Sinn für die Gemeinschaft sind ihre Feinde, Anstand und Ethik bleiben auf der Strecke.
Für Selbstsüchtige ist das eigene Wohlergehen der höchste Wert. Mehr Geld bei weniger Pflichten, mehr Vergnügen bei weniger Verantwortung! Höhere und schnellere Graduierungen, mehr Geld für weniger Arbeit. Mehr, mehr, mehr; schneller, schneller, schneller, haben, haben, haben; ich, ich, ich! Aber doch nicht Erkenntnisse mit den Kollegen teilen, für andere arbeiten oder gar den Kopf für sie hinhalten! Wenn man Erfolg hat, hat man ihn nur sich zu verdanken, nicht der jahrzehntelangen Arbeit der EWTO, die den Boden durch Pionierarbeit, Veröffentlichungen, PR, Werbung, Ausbildung Lehrgänge, Universitätsarbeit bereitet hat.
Jede kleine Technik, jede Kombination, auf die man glaubt, selbst gekommen zu sein, weil man, wie von einem Lehrer zu erwarten ist, die Prinzipien richtig anwendet, hält man für das ureigenste Produkt seiner Einzigartigkeit und Genialität als „Kampfkünstler“. Deshalb hält man sie geheim und bezichtigt jeden des geistigen Diebstahls, der es wagt, sie ungefragt und unlizenziert vorzuführen. Dass man selbst nichts konnte, bevor man von seinem eigenen Si-Fu lernte, ist ausgeblendet und vergessen. Dankbarkeit ist unnötige Gefühlsduselei. Auf seiner Webseite oder DVD nennt man deshalb natürlich weder seinen Si-Fu, noch die EWTO und BlitzDefence wird zur eigenen Schöpfung.
Selbstsucht ist ein machtvoller Urtrieb des zweibeinigen Dreihirners Mensch. Nur drei Institutionen konnten ihm in der Geschichte Paroli bieten: Die Religion, die Gemeinschaft (ob Stamm, Stand oder Staat) und die Familie. Den dreien gelang es zeitweilig, die selbstsüchtigen Interessen des einzelnen seiner Moral unterzuordnen.
Die drei gaben dem Leben einen Sinn. Sie bildeten das Fundament, auf dem Kultur und Zivilisation des Abendlandes erblühten. Selbstsucht, so weit sie den einzelnen auch tragen mag, hätte nie Griechenland oder Rom zu bauen vermocht. Doch heute stecken Gott, Gemeinschaft und Familie im Altersheim. Glaube, Religiosität und Spiritualität ist selbst dort oft an der Garderobe abgegeben worden oder werden als heuchelnde Lippenbekenntnisse wie ein Schild vor sich hergetragen, um unter seiner Deckung Leichtgläubige noch besser ausnutzen zu können. Gleichzeitig suchen Ausverschämte nur ihre Vorteile in der EWTO, statt an einem Strang zu ziehen und die Gemeinschaft zu stärken. Individualismus überall. Selbstsucht hat Oberwasser.
Wie können wir dem entgegenwirken oder spiegelt sich bei uns in der EWTO nur die moderne Gesellschaft wieder, von der wir ein Querschnitt sind?
Alles das hat es auch in der Historie schon ähnlich gegeben.
„Die Seele der Bürger wird empfindlich“, beobachtete Plato (427-347 v. Chr.) über den Individualismus in Griechenland, „so dass sie, wenn ihnen jemand auch nur ein wenig Zwang antut, unwillig werden und das nicht ertragen können. Schließlich kümmern sie sich auch nicht mehr um die Gesetze, weder um die geschriebenen noch um die ungeschriebenen, um ja auf keine Weise mehr einem Rechenschaft geben zu müssen."
Und über Selbstsucht in Rom notierte Amerikas größter Historiker Will Durant in seiner 18bändigen „Kulturgeschichte der Menschheit“: „Die Geschlechtlichkeit hatte sich in Freiheit ausgetobt, während die politische Freiheit verfiel.“
Klingt fast vertraut. Leider sind dies alles keine Verhaltensweisen, die den Aufbau und Erhalt einer großen Gemeinschaft gewährleisten.
Vielleicht sollten wir uns doch lieber wieder mit dem Quatsch und Qualm beschäftigen, der uns den Tag verdirbt und die Sicht versperrt, statt zu versuchen, einen Blick auf den derzeitigen Zustand der Wurzeln der EWTO zu werfen. Der erste Schritt der Heilung besteht darin, dass man sich selbst als erkrankt erkennt. Dann muss man die Ursachen der Erkrankung finden und – wie uns Konfuzius lehrt – bei sich selbst anfangen.

Meine Diagnose mag negativ klingen, aber ich habe überhaupt nicht resigniert, nicht aufgegeben und bin ohne Bitterkeit, denn ein neuer Geist, ein neues Zusammenhaltsgefühl wird – gerade unter den Schulleitern der jungen Generation – immer deutlicher erkennbar! Durch Gespräche auf Lehrgängen, während unserer Uni-Studienwochen und per E-Mail habe ich persönlichen Kontakt mit sehr vielen guten und ehrlichen Schulleitern, für die der Schüler im Zentrum ihrer Anstrengungen steht und nicht nur selbstsüchtige Motive.
Diese guten Beispiele sind meine Hoffnung, denn sie haben erkannt, dass der eigene Erfolg, auch der geschäftliche, sich automatisch ergibt, wenn man sich auf den besinnt, um den es geht: um den Schüler.
Wenn unser Selbstreinigungsprozess erfolgreich ist und es sich weiter herumspricht, dass die Arbeit jedes einzelnen von uns gleichzeitig (!) in drei Richtungen gehen muss, dann wird uns die Arbeit mit dem WT noch mehr Spaß bringen und die Erfolge können nicht ausbleiben.
Hier nun das „Gesetz der drei Richtungen der Arbeit“, das wie das Meiste, nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern Jahrtausende altes Wissen unserer Älteren ist:
1. Jeder muss zunächst an sich und für sich selbst arbeiten, sonst kann er niemand helfen. Wir müssen uns beobachten und immer mehr bessern. Das gilt nicht nur für unsere WT-Technik und Unterrichtsmethodik, sondern auch für unseren Charakter.
2. Jeder muss den anderen, seinem Nächsten helfen, besser zu werden, seinem Schüler, seinem Kollegen – ja auch dem!
3. Jeder muss für seine WT-Familie, seinen Verband, für das WT überhaupt arbeiten. Er muss die übergeordneten Ziele verstehen lernen und mitentwickeln und mittragen.

Und hier nun die Belohnung für die Mühe der Arbeit in drei Richtungen: Nur wer in drei Richtungen arbeitet, und dieses nach einiger Zeit möglichst gleichzeitig, kann sich selbst vervollkommnen.
Paradoxerweise erreicht der, der so arbeitet, wirklich das, was der kurzsichtig Selbstsüchtige nie erreicht: Erfolg auf allen Ebenen und Zufriedenheit.
Ich wünsche allen, die diesen Königsweg noch nicht gelernt haben, das Gefühl tiefer Freude und Befriedigung zu erfahren, das die Arbeit in drei Richtungen schenkt!

In diesem Sinne

Euer

Keith R. Kernspecht

 

P.S.: Ich habe diese Mahnung nicht selbst verfasst!
90 % meines Textes hättet Ihr auch in der Bild-Zeitung vom 12.3.05, Seite 2, lesen können, und zwar im Bild-Kommentar von Claus Jacobi (Mein Tagebuch) „Selbstsucht ist wohl die stärkste Kraft der deutschen Gegenwart“. Es ist also nicht allein unsere EWTO, die an den Wildwüchsen der grassierenden Selbstsucht leidet, wir haben es mit einem Phänomen unserer Zeit zu tun, das ganz Deutschland betrifft! Ich brauchte nur Worte wie „Deutschland“, „Abendland“ usw. durch „EWTO“ zu ersetzen, einige aktuelle WT-Beispiele und das Gesetz der Arbeit in drei Richtungen hinzuzufügen und fertig war mein Artikel.

 

P.P.S: Bei so einem Rundum-Appell bleibt es nicht aus, dass sich auch (oder gerade) die (sensiblen) "Guten" irrtümlicherweise angesprochen und abgestempelt fühlen. Diese sind aber eben NICHT gemeint, denn sie sind das Salz unseres Verbandes!
Mit dieser Ermahnung will ich nicht die Mehrzahl aller meiner tüchtigen und über jeden Zweifel erhabenen Kollegen ansprechen, sondern nur die aufrütteln, die es wirklich betrifft, von denen wir uns zum größten Teil aber auch schon getrennt haben.

Achtung:
Der Inhalt auch dieses Editorials basiert auf uraltem Wissen, auf Erkenntnissen und Lehren von Wissenschaftlern und Weisheitslehrern, die den WingTsun-Selbstbefreiungsideen sehr nahe standen.
Meine monatlichen Editorials können Euch nur theoretische Anstöße für das praktische Arbeiten an Euch selbst geben. Das bloße Lesen ist nur die erste Vorbereitung, aber noch nicht die Arbeit selbst.