Gewalt gegen Kinder – Teil 1
Weltweites Alltagsphänomen
Gewalt an Kindern gehört weltweit zum Alltag. Die UNICEF-Studie unterscheidet fünf Bereiche, in denen sie ausgeübt wird:
- Gewalt im Elternhaus und in der Familie
- Gewalt in Schulen und Bildungseinrichtungen
- Gewalt in Heimen und Gefängnissen
- Arbeit und Gewalt
- Gewalt im Alltag der Gemeinschaft
Der Bereich Krieg bzw. Bürgerkrieg wird hier nicht berücksichtigt.
Es ist ein großes Problem, dass manche Formen der Gewalt gegen Kinder als „normal“, kulturell bedingt bzw. traditionell verankert angesehen werden. Folglich handeln viele Täter (hier: meistens Eltern bzw. andere Angehörige) oftmals ohne Unrechtsbewusstsein bzw. mit moralischer Legitimation durch die Gesellschaft.
Das macht diese Form der Gewalt unsichtbar und begründet vielerorts die fehlenden Einrichtungen zum Schutz für Kinder; insbesondere im ländlichen Bereich.
Immerhin ist der UNICEF zufolge in 106 Staaten (darunter auch die USA) die Prügelstrafe in Schulen offiziell nicht verboten. Dabei hat jeder Heranwachsende laut Artikel 19 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes ein Recht darauf, vor Gewalt geschützt zu werden. Das ist in nur 16 Ländern gesetzlich verankert.
Auch hierzulande besitzen nach § 1631 Abs. 2 BGB „Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Bestimmte Formen der Misshandlung stehen nach dem Strafgesetzbuch unter Strafe. Das wird u. a. in § 225 (Misshandlung von Schutzbefohlenen), in den §§ 221 - § 229 (Tötung und Körperverletzung) und in § 177 - § 178 (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung) geregelt.
Ursachenforschung in Deutschland
Nicht zuletzt der Fall des zweijährigen Bremer Jungen Kevin, der letztes Jahr von Mitarbeitern des Jugendamtes tot aus dem Kühlschrank seiner Eltern geborgen wurde, ist die Diskussion in Deutschland über Gewalt an Kindern wieder neu entflammt.
Der Bielefelder Soziologe und Universitätsprofessor Hurrelmann spricht von 100.000 Kindern, die hierzulande täglich dem Risiko von Gewalt und Misshandlung ausgesetzt sind. Für ihn sind Kinderarmut und Gewalt unmittelbar miteinander verknüpft. Bereits ältere Untersuchungen sehen einen Zusammenhang zwischen der Gewalt des Lebenspartners gegen die Mutter und die Gewalt gegen das Kind. Immerhin bekommen die Kinder diese Gewaltform mit und verinnerlichen sie (Form von seelischer Gewalt), wenn sie nicht selbst Opfer werden. Warum sollte der Mann vor dem Kind haltmachen, wenn er Gewalt als legitimes Mittel sieht. Ähnlich argumentiert eine Studie des „Berliner Forums Gewaltprävention“, die kürzlich zur Situation von Kindern aus Berliner Migrantenfamilien veröffentlicht wurde. Sie nennt eine traditionell-autoritäre Erziehung sowie die Gewalt innerhalb der Familie als Ursachen. Das betrifft insbesondere die Gewalt gegenüber Angehörigen bzw. in Paarbeziehungen. Gleichzeitig warnen Mitglieder dieses Forums, bei dem auch Vertreter aus Migrantenverbänden mitgearbeitet haben, vor einer Verallgemeinerung. Statt Rassismus gehe es hier um Realismus. Man müsse dieses Problem konstruktiv und gemeinsam angehen, so der Tenor.
Natürlich sind die Ursachen für Gewalt gegen Kinder wie für Gewalt allgemein sehr vielschichtig und können nicht in drei Sätzen benannt werden. Sozialisation, soziales Umfeld, ökonomische Gründe, Bildung und gesellschaftliche Machtverhältnisse, die sich in familiären Beziehungen ausdrücken, können sicherlich angeführt werden. Selbst „geordnete“ Verhältnisse schützen nicht vor Gewalt. Ein Blick hin zur „Normalbevölkerung“ verrät, dass Gewalt gegen Kinder in allen Bevölkerungsschichten präsent ist. So haben hierzulande etwa 70 bis 80 Prozent aller Kinder mal einen „Klapps“ oder eine Ohrfeige verpasst bekommen. Etwa 20 bis 30 Prozent haben schwerere Formen der Misshandlung, wie z. B. Prügel, erhalten. Natürlich gibt es auch hier eine Dunkelziffer; insbesondere was sexuelle Gewalt anbelangt. Der deutlichste Ausdruck findet sich in der Kinderpornografie.
Die wahrscheinlich häufigste Form der Gewalt gegen Kinder ist die Vernachlässigung. Sie umfasst das Vorenthalten der emotionalen und materiellen Zuwendung seitens der Eltern und anderen Angehörigen sowie des übrigen sozialen Umfeldes. Hinzu kommt die emotionale Misshandlung; also die psychologische Gewalt gegen Kinder.
Gegenüber den USA besteht in Deutschland keine Meldepflicht z. B. bei Psychologen, Ärzten oder Sozialpädagogen, wenn sie Anzeichen für Misshandlung bei Kindern mitbekommen. Diese Gruppe kann aber im Fall der Fälle nach §34 StGB einen rechtfertigenden Notfall anmelden und damit von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Außerdem sind die Jugendhilfeeinrichtungen mit durchschnittlich 150 Fällen pro Sachbearbeiter/in völlig überfordert, so Hurrelmann. Auch sind hier könnte die Qualität der Betreuung bzw. die soziale Kompetenz gegenüber den Familien höher sein. Insgesamt werde in diesem Bereich viel gekürzt. Die Politik und auch die Gesellschaft sind am Zuge, nun mehr für den Schutz für Kinder zu tun.
Mehr dazu im folgenden Teil im Dezember.
// Sifu Oliver C. Pfannenstiel, 4. TG
Der Autor ist kein Jurist. Alle o. g. Angaben erfolgen ohne juristische Gewähr.