Editorial

Nur Idioten oder Psychopathen kennen keine Furcht!

In einem Brief an mich schrieb Kaicho Jon Bluming im September 2013 Folgendes: „Wer keine Furcht kennt, muss ein Idiot oder ein irgendwie Geistesgestörter sein.
Im Korea-Krieg habe ich oft richtige Furcht verspürt,…

… aber ich habe trotzdem gehandelt und Freunde aus der Gefahr geholt. Dafür wurde ich von den Special Forces Rangers mit einer Medaille geehrt.

Vor Sportkampfen war ich immer nervös, aber sobald ich auf der Matte stand, war das vorbei.

Bei Straßenkämpfen war ich nur zornig und habe alle erbarmungslos verprügelt, die mich falsch behandelt oder unverschämt beleidigt hatten.

Aber als man in Holland wusste, wer ich war, machte man einen großen Bogen um mich.

Meine Schüler habe ich zu Kämpfern geformt, indem ich sie hart rannahm, aber auf ihre Kämpfe mental vorbereitete.
Für den Wettkampf habe ich aber auch nur die ausgewählt, die mental dafür geeignet sind, aus den anderen machte ich gute Lehrer.

Und ich war immer für meine Schüler da.

Ohne Kokoro, das Herz des Kämpfers, ist die ganze Kampfkunst nur eine leere Schale.“

Jon Bluming
10. Dan Oyama-Karate, 9. Dan Judo

 

Der Tod raubte uns 2018 zwei große Kämpfer:

Zuerst Meister Uwe Kopplin (Berlin) im November und dann Kaicho Jon Bluming (Holland) im Dezember.

Ihre Größe und Kampfstärke waren nicht nur körperlich, sondern auch geistig, sie besaßen Herz und Geist eines Kämpfers.

Sie hatten Kampfgeist, aber sie waren nicht furchtlos, sondern angesichts der aussichtslosen Situation mutig und willensstark. Echter Mut kann sich nur dort entfalten, wo er gegen Furcht und Angst bestehen muss. Mut ist nicht die Abwesenheit von Furcht.

Jon Bluming und Uwe Kopplin wussten von ihrem baldigen Lebensende und sie bekämpften die Verzweiflung, die sie gehabt haben mussten: Warum ich? Warum so früh? Was geschieht mit mir? Was bleibt von mir? Was wird aus meinen Lieben, die ich zurücklassen muss?

Die beiden Kämpfer gaben sich nicht den Schreckensbildern ihrer Fantasie hin, sondern blieben bis zuletzt für ihre Lieben und Schüler Planende und Handelnde.

Uwe Kopplins letzte Gedanken z.B. galten seiner Frau Marion, seiner Berliner EWTO-Akademie und seinen Schülern.

Auch mein Mentor und Freund Prof. Horst Tiwald blieb angesichts seines ihm bekannten Todes trotz seiner „Angst“ handlungsfähig: Er rechnete mir aus, wie viele Monate ihm noch blieben und führte mit mir und Natalie nicht nur ein hochintensives „organisches“ Sport- und Bewegungsstudium durch, sondern er sah alle meine künftigen Buchprojekte durch und versah sie mit kritischen Anmerkungen und Ergänzungen. Oft schickte er mir nachts 30 bis 40 Seiten, die ich immer wieder als sein Vermächtnis lese.

Was diesen drei großen Männern gemeinsam war, war die jahrzehntelange intensive Beschäftigung mit der asiatischen Kampfkunst und deren Philosophie, dem Zen bzw. Chan, die helfen kann, die Konfrontation mit seiner eigenen Endlichkeit zu verkraften.

Mein neues Buch ist gerade erschienen. Die „Großen Sieben Fähigkeiten“ beginnen mit Achtsamkeit und Bewusstheit und gelangen über den Rückfall zum tierischen Überlebenskämpfen wieder zum echten menschlichen Kampfgeist zurück, der sich durch Kaltblütigkeit angesichts der Gefahr, Stoizismus, mentale Härte, Fokussiertheit, Energie und Entschlossenheit auszeichnet und mit

Geistesgegenwärtigkeit, Empathie und Achtsamkeit den Kreis vollendet.

Dazu gehören, wie wir auch am Beispiel dieser drei großen Kämpfer erkennen können: Liebe, Mitgefühl, Treue und Zuverlässigkeit über den Tod hinaus.
 

Euer SiFu/SiGung
Keith R. Kernspecht